9punkt - Die Debattenrundschau

Der reale Raum

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.10.2015. In politico.eu fordert Shirin Ebadi, dass sich Unternehmen wie Siemens künftig an ethische Standards halten, um nicht wieder iranische Oppositionelle ins Gefängnis bringen zu helfen. Im Guardian blickt der chinesische Autor Ma Jian fassungslos auf den Roten Teppich, den die britische Regierung für Chinas Präsidenten Xi Jinping ausrollt. In der FAZ begibt sich der Politologe Hans Vorländer auf die Spur der "rechtspopulistischen Empörungsbewegung" Pegida.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.10.2015 finden Sie hier

Kulturpolitik

Drei Jahre lang war das Nationalmuseum von Bosnien-Herzegowina in Sarajewo geschlossen. Nun ist es wieder eröffnet und die Löhne werden wieder gezahlt, jubelt Nadia Pantel in der SZ: "Die Geschichte der Schließung des Nationalmuseums von Sarajevo ist nur in Teilen die Heldengeschichte seiner Mitarbeiter. Sie ist auch eine Geschichte über die Ignoranz der Politik. 700.000 Euro kostet der Unterhalt des Museums im Jahr. Auch für ein armes Land wie Bosnien-Herzegowina ist das keine allzu große Summe. Was fehlte, war nicht Geld, sondern der Wille."
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Politik

Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi unterstützt zwar den Atom-Deal mit dem Iran und freut sich auf die Aufhebung der Sanktionen. Aber sie erinnert in politico.eu auch an die krassen Menschenrechtsverletzungen in dem Land: "Menschen werden häufiger als irgendwo sonst zu Tode gebracht." Von Unternehmern fordert sie, dass sie sich an ethische Standards halten und erinnert an den Fall Siemens: "Als Nokia-Siemens den Iran vor wenigen Jahren mit Telekommunikationstechnologie versorgte, wurde diese benutzt um Aktivisten aufzuspüren, zu überwachen und festzunehmen - einige von ihnen mussten daraufhin für Jahre ins Gefängnis. Siemens und andere europäische Unternehmen, die wieder in den iranischen Markt eintreten wollen, haben eine Pflicht sicherzustellen, dass ihre Geschäfte nicht zu den Menschenrechtsverletzungen der iranischen beizutragen."

Bernard-Henri Lévy schreibt in einem Project-Syndicate-Artikel, den auch die Welt übernimmt, zur russischen Intervention in Syrien: "Glaubt denn irgendjemand auch nur eine Sekunde, dass die russische Intervention die syrische Flüchtlingskrise abmildern wird, statt sie zu verstärken? Putins Methoden zwingen Zehntausende Zivilisten zur Flucht vor rücksichtslosen Luftschlägen, bereiten den Todesschwadronen eines Regimes den Weg, das in den letzten Monaten Anzeichen der Erschöpfung zeigte, und machen jede verbleibende Hoffnung auf die Schaffung effektiver Sicherheitszonen in Nordjordanien und der Südtürkei zunichte."

Fassungslos blickt der in London lebende chinesische Autor Ma Jian auf den Roten Teppich, den die britische Regierung für Chinas Präsidenten Xi Jinping ausrollt: "The leader of the world's largest autocracy will enjoy a 103-gun royal salute and a sumptuous, white-tie state banquet attended by three generations of the royal family; he will address the houses of parliament and at night will sleep in the palace's Belgian Suite, in the very same bed that Duke and Duchess of Cambridge used on their wedding night. It will herald, George Osborne hopes, a 'golden era' in Chinese-British relations. Britain will become China's 'best partner in the west'. They will 'stick together', creating a 'win-win' situation for both countries. But who will be the real winners and losers of this ignoble friendship that puts trade above human rights?"
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Europa

Der Dresdner Politologe Hans Vorländer beschreibt Pegida in der FAZ (politischer Teil) als Protestbewegung neuen Stils, eine rechtspopulistischen Empörungsbewegung" und zieht überraschende Vergleiche: "Als globalisierungskritischer Protest entstanden und von Intellektuellen wie Stéphane Hessel politisch und programmatisch befeuert, haben derartige Formen öffentlich artikulierter Empörung bisher ausschließlich zum eher linken politischen Lager gerechnet werden können... Pegida wurde aber erst in dem Moment zu einer Bewegung, als sie prominente Straßen und Plätze, also den realen Raum, öffentlichkeitswirksam zu besetzen wusste."

Einen "Aufstand gekränkter Bürger" erkennt Daniel Bax in der taz bei jenen Intellektuellen und Publizisten, die gegen Flüchtlingsströme und "unkontrollierte Masseneinwanderung" polemisieren.

Auf Lukas Bärfuss' Generalattacke gegen die bei den gestrigen Wahlen tatsächlich nach rechts gerückte Schweiz antwortet in der NZZ nun auch René Scheu, der als Herausgeber des Schweizer Monats und designierter neuer Feuilletonchef der NZZ sein Fett auch direkt abbekommen hatte: "Ihr Moralismus ist unerbittlich und verlangt von Ihnen die Unterwerfung des Intellekts unter die gute Gesinnung aus höherer Einsicht - jede Form des Zweifels, der Souveränität, ja des echten Verstehens würde bedeuten, sich mit der anderen Seite gemein zu machen. Sie haben für sich irgendwann entschieden: Selbst wenn Sie intellektuell irren, liegen Sie moralisch richtig."
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Medien

In der NZZ stellt Stephan Russ-Mohl Dean Starkmans Journalismus-kritische Studie "The Watchdog That Didn't Bark" vor, die nachzeichnet, wie PR-gesteuertes Acces-Reporting und der Hamsterrad-Betrieb die Journalisten blind für die Korrumpiertheit des Finanzsystems machte: "Dem wissenschaftlichen Beobachter mögen sich zwar die Haare sträuben angesichts der Personalisierung, die hier betrieben wird. Aber so ganz unrecht hat Starkman wohl nicht, wenn er für den amerikanischen Journalismus Al Neuharth, Sam Zell und Rupert Murdoch als die drei Wegbereiter identifiziert, die in den letzten Jahrzehnten dessen antiintellektuelle Wende herbeigeführt haben."
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