9punkt - Die Debattenrundschau

Mit Fabeln, Parabeln oder in der Lyrik

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.11.2016. Der italienische Autor Beppe Severgnini fragt sich in der New York Times, an wen ihn Donald Trump nur erinnert: Ein Siebzigjähriger, der sich mehr Sorgen um sein Haar als über die Weltlage macht? Buzzfeed klärt mit dem Transkript eines längeren Gesprächs von 2014 über die religiösen und politischen Vorstellungen des Trump-Beraters Stephen Shannon auf. Überall wird weiter über den Einfluss von Facebook auf die amerikanischen Wahlen recherchiert und gestritten. Die FAZ feiert sich unterdessen als Nachfolgerin der Frankfurter Zeitung.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.11.2016 finden Sie hier

Politik

Der italienische Autor Beppe Severgnini fragt sich in der New York Times, an wen ihn Donald Trump erinnert: "Die Vereinigten Staaten und andere Länder hatten uns immer erklärt, dass sie niemals einen Mann wählen würden, der Frauen als Sexspielzeuge behandelt. Einen Siebzigjährigen, der sich mehr Sorgen um sein Haar als über die Weltlage macht. Einen Politiker, der seine Privatgeschäfte mit Staatsaffären verwechselt. Einen Mann, der Wahrheit als eine von mehreren Optionen betrachtet..."

Das Problem liegt nicht allein in der Wahl des Verschwörungstheoretikers Stephen Bannon als Hauptberater des Präsidenten, schreibt der selbst konservative Politikberater Eliot A. Cohen in der Washington Post, "die Warnzeichen liegen eher darin, dass republikanische Führungsfiguren für diesen Charakter entschuldigende und relativierende Worte finden und darin, dass andere diese Relativierungen verteidigen. Ein schlechter Boss, kann verkraftet werden. Ein Stall voll von ihnen wird alle Entscheidungsfindungen vergiften. Sie werden  sich gegeneinander wenden. Keine Band of Brothers, sondern permanenter Wahlkampf, betrieben von Aufrührern und Demagogen... Ihre Fehler werden exzeptionell sein."

Buzzfeed präsentiert das Transkript eines längeren Gesprächs mit Stephen Bannon aus dem Jahr 2014, in dem der jetzige Oberberater Trumps vor allem seine religiösen Überzeugungen darlegt: "Ich glaube ganz fest, dass der Säkularismus die Kraft des jüdisch-christlichen Westens, seine Ideale zu verteidigen, untergraben hat."
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Europa

In den baltischen Staaten fürchtet man zunehmend, selbst das Schicksal der Ukraine zu erleiden, seit Donald Trump erklärt hat, er würde die Nato nicht unbedingt zu ihrem Schutz einsetzen, weil sie nicht genug in den Verteidigungsetat stecken, berichtet die litauische Politikwissenschaftlerin Radvile Kasperaviciute im Guardian. "Der Wunsch nach einem strategischen Verteidigungsplan ist keine Überreaktion, sondern reiner Pragmatismus. Litauen ist kein großes oder reiches Land und konnte die finanziellen Vorgaben bis jetzt nicht erfüllen. Einige Litauer, wie der 26-jährige Mikas sehen die Trump-Wahl daher nicht nur ganz schlecht. Er glaubt, Litauen habe jetzt keine Alternative als seine Militärausgaben zu erhöhen und vielleicht eine baltische Verteidigungskoalition zu gründen."


In der Berliner Zeitung erinnert Götz Aly daran, dass Donald Trumps Ansichten den Deutschen zum größten Teil liegen: "Man kann ihn mit guten Gründen als Globalisierungsgegner bezeichnen. Damit kommt er den Vorbehalten von 70 Prozent der Deutschen entgegen, nämlich all derer, die ihr Wählerherz an Die Linke und die AfD verloren haben, auch entspricht Trump damit den Wünschen der meisten SPD-Wähler. Er plädiert für den mit Schutz- und Strafzöllen bewehrten Erhalt heimischer Arbeitsplätze, er gebraucht den Begriff Liberalismus als Schimpfwort und will den berühmten Kleinen Mann vor den Zumutungen der wirtschaftlichen und kulturellen Zugluft schützen. All das war und ist in Deutschland seit Bismarcks antiliberaler Wende 1878/79 höchst populär - quer durch alle Staatsformen, die sich Deutsche seither geschaffen haben."
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Medien

Ein gutes hat die Trump-Wahl: Medien wie die New York Times, das Wall Street Journal und propublica boomen, berichtet Gerry Smith in Bloomberg. "Die gemeinnützige News-Seite Propubica erhält normalerweise drei Spenden am Tag, nun wurde Ihre Website mit drei Spenden pro Minute überschwemmt."

Die Medien haben in ihren Voraussagen für den Ausgang des amerikanischen Wahlkampfs erschütternd falsch gelegen. Warum das so war, darüber denken Nina Rehfeld in der FAZ und der Literaturwissenschaftler Adrian Daub in der NZZ nach. Intellektuelle und Journalisten haben Trump-Anhänger oft gar nicht mehr erreicht, die hatten sich in ihren Facebook- und Twitterblasen verschanzt. Das verfälschte auch die so beliebten Prognosen der Daten-Journalisten und Demoskopen, schreibt Rehfeld. "Durch Trumps Behauptung, die Umfragewerte seien gefälscht, mögen seine Anhänger zudem misstrauisch und weniger geneigt gewesen sein, überhaupt an Umfragen teilzunehmen. Mehr Reporter, landauf, landab, hätten diesen Eindruck vermitteln können. Doch Vorrang hatten vermeintlich sichere Datenanalyse und Statistik."

In den sozialen Medien sind Journalisten eben nur noch "ein Anbieter unter unzählbar vielen Gleichberechtigten", meint Daub in der NZZ. "Es wäre europäische Hochnäsigkeit, so zu tun, als stünde hinter dn Trump-Wählern ein Fehlen von Information. Es fehlt vielmehr der Zugang zu Informationen außerhalb eines von Gleichgesinnten gesponnenen Kokons. Und das ist ein Problem für die Intellektuellen: Was ist noch die Rolle einer Öffentlichkeit, wenn ein mazedonisches Dorf auf die eigentlich sehr clevere Idee kommt, Anti-Hillary-Geschichten frei zu erfinden, um mit ihnen auf Facebook durch Klicks Geld zu verdienen? Wenn so 'Fakten' etabliert werden, die eine Wahl entscheiden? Müssen Intellektuelle nun Clickbait werden?"

Zum 150. Geburtstag der Frankfurter Zeitung lässt sich die FAZ im politischen Teil von Publizistikprofessor Jürgen Wilke als Nachfolgerin im Geiste feiern. Über die Nazizeit schreibt er: "Im Dritten Reich war die Frankfurter Zeitung zu einer Gratwanderung gezwungen. Ambivalent sind die Urteile darüber. Auf der einen Seite hielt man ihr rückblickend vor, sie sei, um weiter erscheinen zu können, zu Zugeständnissen und Kompromissen bereit gewesen. Auf der anderen Seite lassen sich verschiedene journalistische Mittel der Distanzierung nachweisen... Verschlüsselte Kritik konnte in historische Berichte ausgelagert, mit Fabeln, Parabeln oder in der Lyrik ausgedrückt werden. " Im Feuilleton schreibt Tilman Spreckelsen zum Thema.
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Internet

In Zeit online greift  Eike Kühl die Diskussion um Fake News bei Facebook auf (unsere Resümees): "Tatsächlich versprach Facebook bereits vor fast zwei Jahren, gegen Spam, Falschmeldungen und sogenannte Hoaxes stärker vorgehen zu wollen. Dafür führten sie eine Option im Meldesystem ein. Wie bei mutmaßlich illegalen Inhalten können Nutzer einzelne Beiträge in ihrem Newsfeed melden und als 'falsch' markieren. Doch anders als illegale Beiträge, etwa Mordaufrufe oder das Verbreiten verbotener Symbole, werden Falschmeldungen nicht von einem Facebook-Team geprüft und gegebenenfalls gelöscht."

Zeynep Tufekci benennt in der New York Times eines der Hauptprobleme in der Fake-News-Debate: "Nur Facebook hat Daten darüber, wie Fake News, Fälschungen und Desinformation sich ausbreiten, wie viel es davon gibt, wer sie liest und wie groß ihr Einfluss sein mag. Nur leider übt Facebook gegenüber externen Forschern totale Kontrolle über den Zugang zu diesen Daten aus. Es ist, als würden Manager der Tabakindustrie den Zugang zu den Krankenakten lenken."

Zwar haben Facebook wie Google den Seiten, die explizit Fake News verbreiten, die Werbeeinahmen beschnitten, schreibt  Olivia Solon  im Guardian: "Aber trotz dieser Gesten wird Facebook die vielen Optionen, die dem Dienst zur Verfügung stehen, wohl kaum nutzen, denn es hat wenig Motivierung dazu, so Experten. 'Obwohl Mark Zuckerberg sich in dieser Frage höflich äußert, ist es unvorstellbar, dass Facebook die Leute daran hindert zu teilen, was sie teilen wollen. Das ist die Kernidee der Seite', sagt der Autor und Professor Clay Shirky, der soziale Netze erforscht. Das Geschäftsmodell von Facebook liegt darin, dass die Leute auf Inhalte - Fotos, Memes, Meinungen -  klicken und sich damit befassen, unabhängig von ihrer Wahrhaftigkeit."
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Kulturmarkt

Jürgen Gottschlich berichtet in der taz von der Buchmesse in Istanbul: "Noch ist auf der Buchmesse vieles möglich, was in den türkischen Zeitungen oder im Fernsehen längst den Staatsanwalt auf den Plan gerufen hätte. 'Der Buchmarkt ist von der Repression noch nicht in dem Maße betroffen wie der Mediensektor', sagt Müge Sökmen, Verlegerin von Metis. Die Messe ist von einem privaten Verlegerverband, ähnlich dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, organisiert. Staatliche Zensur fand bei der Auswahl der Verlage die sich auf der Messe präsentierten deshalb noch nicht statt."
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