9punkt - Die Debattenrundschau

Warum diese Eiertänze?

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.03.2018. Die New York Review of Books fürchtet, dass inzwischen der gesamte militärisch-industrielle Komplex arbeitet wie Cambridge Analytica. In der NZZ stellt Joshua Cohen klar: Wir haben nicht alle dasselbe Internet. Wer braucht Konservative, die sich nicht offen zu Nationalgefühl und Christlichkeit bekennen?, fragt die Welt in Richtung Botho Strauß. In der SZ beleuchtet Leonardo Padura die Lage Kubas am Ende von Raúl Castros Herrschaft. Und die taz serviert die verheerende Ökobilanz der Avocado.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.03.2018 finden Sie hier

Internet

Angela Schader beweist echte Steherqualitäten, wenn der amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen im NZZ-Interview schön provokant gegen Humanismus, brave Schriftsteller oder jammernde Intellektuelle wettert, denen mal ein bisschen Wind ins Gesicht bläst. Mit seinem "Buch der Zahlen" hat Cohen den Internet-Roman der Saison geschrieben, viel Utopie ist ihm nicht geblieben: Das Internet holt das Brutale aus den Menschen heraus, meint Cohen: "Wenn wir vom Internet reden, dann gehen wir davon aus, dass jedermann dasselbe Internet hat. Fakt ist aber, dass totalitäre, repressive Regierungen das Internet dazu nutzen, ihre Bürger und die Information, die diesen zugänglich ist, zu kontrollieren. In sogenannt freien Gesellschaften wird das Internet genutzt, um das Private zu unterhöhlen, um uns Dinge wegzunehmen, die wir haben. Kontrolle im einen System, Erosion im andern."

Im Blog der New York Review of Books fürchtet Tamsin Sha, dass Cambridge Analytica nicht die einzige Firma ist, die auf sinistre Weise hilft, strategische Ziele mit der Kombination von Big Data und Sozialpsychologie durchzusetzen: Tatsächlich arbeite der gesamte militärisch-industrielle Komplex so: "Das Zeitalter altmodischer Agenten geht zu Ende. Im Aufziehen begriffen ist eine obskure Welt kleiner mysteriöser Firmen, die sich auf Datenanalysen und Online-Einfluss spezialisiert haben und vor allem mit Regierungsstellen zusammenarbeiten. Was man über Hedge Funds sagt, gilt auch hier: Wenn die allgemeine Öffentlichkeit deinen Namen kennt, ist das ein schlechtes Zeichen."

Der Guardian recherchiert unterdes weiter in der Affäre um Cambridge Analytica und hat von einer früheren Mitarbeiterin eine Aussage bekommen, die der Firmenführung von Alexander Nix deutlich widerspricht. Demnach hat die Firma doch mit Leave.eu zu tun gehabt: "Brittany Kaiser erklärte, dass sie einige Wochen an der Sache arbeitete und sich mindestens sechs oder sieben mal mit hochrangigen Vertretern von Leave.eu getroffen hat, der von dem Ukip-Spender Arron Banks gegründeten Initiative. Sie sagt, dass die Arbeit Teil der Bemühungen war, mit der Kampagne formal ins Geschäft zu kommen." Nix hatte das wiederholt bestritten und vor dem Parlament erklärt: "Ich will es absolut kristallklar machen. Ich weiß nicht, auf wie viele Arten ich es sagen kann: Wir haben nicht für Leave.eu gearbeitet. Wir haben von ihnen keine bezahlten und keine unbezahlten Aufträge übernommen. OK?"
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Ideen

Immer auf der Suche nach Konservativen Revolutionären, großen Reaktionären und geistigen Richtungsgebern wendet sich Tilman Krause in der Welt jetzt von Botho Strauß ab: Schön und gut, dass Strauß mehr Nationalgefühl, Ernsthaftigkeit und Christlichkeit will, aber warum diese Verdruckstheit? Warum diese Eiertänze? "Alle großen Konservativen in Deutschland, von Luther über Bismarck bis zu Adenauer oder Helmut Kohl - beziehungsweise, um bei den Dichtern zu bleiben, von Goethe über Stefan George, Gerhart Hauptmann oder Hugo von Hofmannsthal (ein Österreicher, zugegeben, aber eben auch für Deutschland sprechend) bis zu Ernst Jünger - waren Bekenner. Sie variierten in ihren Hervorbringungen ein unumstößliches 'Hier stehe ich, ich kann nicht anders'. Und, was ihr Schreiben angeht, so verfügten sie über den Willen zur großen Form. All das fehlt bei Botho Strauß."
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Politik

In wenigen Wochen endet in Kuba die Herrschaft Raúl Castros, das Land bekommt ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. In der SZ schickt der Autor Leonardo Padura einen Bericht zur Lage des Landes, das trotz der Lockerungen der vergangenen Jahre kaum vorankam: "Die vielleicht folgenreichste Reform war, so glaube ich, die Reisebeschränkungen aufzuheben, die es der Mehrheit der Kubaner nun erlaubt, frei zu reisen, etwas, das zuvor nur durch komplizierte und kontrollierte staatliche Mechanismen möglich war. Diese Änderung wurde unter anderem auch zu einer Möglichkeit des Überlebens, die die Kubaner nutzen, um in andere Länder zu reisen, aus denen sie Waren nach Kuba (wo die Zollbestimmungen streng sind) mitbringen, die sie dann auf dem weißen, schwarzen oder grauen Markt verkaufen. Durch eine Reise nach Panama, Ecuador oder Guyana kann ein Kubaner auf diese Weise in einer Woche den Lohn mehrerer Monate verdienen, je nach der Menge, die hereinzubringen ihm gelingt."
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Europa

Nun, da die katalanische Unabhängigkeit abgewendet scheint, sollten sich die Konservativen in Madrid und König Felipe VI. zu versöhnlichen Gesten überwinden, fordert Thomas Urban in der SZ: "Wenn auch die Verfechter einer katalanischen Republik gescheitert sind, gab und gibt es doch gute Gründe für das politische Ziel, auf mehr Kompetenzen gegenüber Madrid zu beharren. "
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Geschichte

Ralf Leonhard erinnert in der taz an den Einmarsch der Nazis in Österreich, der allenthalben von Jubel und hässlichen Szenen begleitet war: "Als Hitler am 15. März auf dem Heldenplatz seine berühmte Rede hielt, in der er den 'Anschluss meiner Heimat an das Deutsche Reich' verkündete, war der Rathausplatz bereits in Adolf-Hitler-Platz umgetauft. In den Straßen erschallten Sprechchöre mit 'Sieg Heil!', 'Schuschnigg an den Galgen!' und 'Juda verrecke!'. In den folgenden Tagen war der Mob vollends entfesselt: Hausmeister oder Nachbarn denunzierten Menschen, die jüdisch aussahen, die man dann zwang, die Parolen des Schuschnigg-Regimes und die Kruckenkreuze des Ständestaats wegzuwaschen. 'Reibpartien' nannte man das zynisch. Menschen begannen, ihre jüdischen Nachbarn aus der Wohnung zu werfen oder deren Wertgegenstände zu plündern."

In der Ausstellung "Sparen" im Deutschen Historischen Museum in Berlin lernt SZ-Autor Gustav Seibt viel über die Entstehung der deutschen Sparkassen, die vor zweihundert Jahren begannen, die winzigen Geldvorräte der Armen "mager, aber verlässlich zu verzinsen". Von der Völkerpsychologie der Ausstellung kann er dagegen nur warnen: "Denn die Deutschen haben zwar in den letzten zweihundert Jahren verlässlich und konstant gespart, aber im europäischen Vergleich keineswegs übertrieben viel. Es hätte sich gelohnt, diese trügerische Selbsteinschätzung zu hinterfragen, die auch eine Wirkung ideologischer, politisierter Sparerziehung ist. Viel höhere Sparquoten als die hier traditionell im Mittelfeld liegenden Deutschen haben nämlich seit jeher - Überraschung! - die Italiener."

Auch Arno Widmann wird nicht glücklich in dieser - von den Sparkassen gesponsorten - Ausstellung: "Nirgends auch nur der Hauch einer Balzacschen Freude an der Charakterologie der Sparertypen. So spielt der Geiz, ohne den doch sonst Sparen gar nicht gedacht werden könnte, hier gar keine Rolle. Das Sparen in der Literatur ist kein Thema. Das in der Kunst nur ganz am Rande. Das Sparen und die Psychoanalyse ist ebenfalls kein Thema für die Ausstellung. Dabei wäre es, angesichts der Begeisterung des Deutschen für Analschimpfwörter, für den, der über eine deutsche Tugend nachdenkt, doch das Nächstliegende."

Der Historiker Clemens Klünemann erkennt in der NZZ, dass sich Nationen mit den unrühmlichen Kapiteln ihrer Geschichte schwertun.
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Gesellschaft

In der taz hat Jörn Kabisch eine große Enttäuschung für die Liebhaber der Avocado parat: So super ist dieses Food nicht. "Die Frucht hat eine verheerende Ökobilanz. Im weltweit größten Anbaugebiet Mexiko werden für die Avocado riesige Waldgebiete gerodet.  In den großen Monokulturen, werden enorme Mengen von Pestiziden verwendet, die ins Trinkwasser gelangen. Um ein Kilo Avocado zu produzieren, werden 1.000 Liter Wasser verwendet, bei der Tomate - auch ziemlich durstig - sind es 180 Liter."
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Stichwörter: Super Food