9punkt - Die Debattenrundschau

Auf das nötigste Maß beschränkt

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.09.2018. Das österreichische Innenministerium weist die Polizei an, mit bestimmten Medien nur noch selektiv zusammenarbeiten - sofern die Berichterstattung positiv ist, berichten Kurier und StandardRumänien reiht sich mit einem Referendum gegen Homoehe in die ultrakonservativen Bewegung in Osteuropa ein, warnt die Aktivistin Evelyne Paradis bei politico.eu.  Die New York Times erzählt, wie der stellvertretende US-Justizminister Rod Rosenstein fast gefeuert wurde. Und in der SZ verteidigen zwei Bayern Chemnitz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.09.2018 finden Sie hier

Europa

Rumänien steht ein Referendum bevor, das - selbstverständlich mit Unterstützung der orthodoxen Kirche - die traditionelle Familie zur Norm erklären will, während Homoehen oder Patchworkfamilien der gesetzliche Schutz entzogen wird. Mit dem Gesetz will die aktuelle Regierung von Vorwürfen der Korruption ablenken, gegen die es große, in Europa zu wenig wahrgenommene Proteste gab, schreibt die LGBTI-Aktivistin Evelyne Paradis bei politico.eu: "Die Wähler aufzufordern, andern die Grundrechte einzuschränken, steht in krassem Gegensatz zu den EU-Werten der Würde und Gleichheit. Dies Referendum ist eine Attacke auf Menschenrechte innerhalb der Grenzen der Europäischen Union. Sie wird nicht die Schlagzeilen dominieren, wie es Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn und Polen getan haben, aber sie ist Teil derselben ultrakonservativen Bewegung, die versucht, den demokratischen Fortschritt zunichte zu machen und die Gesellschaften zu spalten."

(Via turi2) Dass auch Länder wie Österreich vor Einschränkungen der Pressefreiheit nicht gefeit sind, wenn eine Partei wie die FPÖ mitregiert, zeigt eine Mail des österreichischen Innenministeriums, die die Polizei anweist, mit bestimmten österreichischen Medien (nämlich dem Standard, dem Falter und dem Kurier) nur noch selektiv zusammenzuarbeiten. Das Innenministerium untersteht dem FPÖ-Politiker Herbert Kickl. Die Mail wurde den Medien zugespielt. Der Kurier resümiert die Mail: Mit den genannten Medien "müsse die Kommunikation 'auf das nötigste Maß beschränkt' werden, weil sie angeblich 'einseitig' und 'negativ' berichten. Beispiele werden nicht genannt… Begleitungen zu Reportagen mit Beamten etwa seien nicht mehr zu ermöglichen, außer es wäre eine 'neutrale oder positive Berichterstattung' im Vorfeld garantiert." Gleichzeitig wird der Sender ATV eine Reality-Polizeiserie bringen, die aus einer Kooperation mit dem Innenministerium enststeht: "Jede Folge wird abgenommen und geht erst nach positiver Abnahme auf Sendung", heißt es in der Mail. Außerdem weist die Mail Pressepsprecher an, die Herkunft von Tätern stets zu nennen und Vergewaltigungsdelikte, die in der Öffentlichkeit passieren, sofort zu kommunizieren." Im Standard berichtet Michael Möseneder.
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Ideen

Der Schriftsteller Jan Böttcher hat eine Petition von 290 "Kulturschaffenden" gegen Horst Seehofer lanciert, die in wenigen Tagen von 5.000 Menschen unterschrieben wurde. Jaja, Elite eben, war dann der häufigste Vorwurf, auf den er heute in Zeit online mit einem schönen sehr persönlichen Text antwortet, der das so gar nicht elitäre Leben eines deutschen Schriftstellers aus Lüneburg beschreibt. Und "an die wütenden Kommentatoren: Ich versichere, dass wir nicht das geringste Interesse daran haben, mit unserer Erklärung diese Gesellschaft zu spalten. Künstler und Kulturschaffende agieren im Dialog mit Menschen, sie machen Angebote für Menschen. Sie sind friedfertig und mögen die Demokratie. Das ist eigentlich zu blöd, um es noch hinzuschreiben, aber ich lasse jetzt nichts mehr unversucht. Und es darf schon protestieren, wer regionale wie internationale Kontexte schätzt und wer der Ansicht ist, dass auch die Luft nach 2015 hierzulande noch Sauerstoff zum Atmen enthält."

Rassismus und Antisemitismus hat's in Deutschland gegeben, seit die Kulturwissenschaftlerin Stella Hindemith denken kann, erklärt sie im Zeit-Blog 10 nach 8. Aber so richtig gesellschaftsfähig wurde der Rechtspopulismus mit der Friedenspreisrede Martin Walsers 1998, meint sie: "Der Rechtspopulismus wurde nicht auf der Straße erfunden, auch nicht von den viel zitierten Wutbürgern. Er kommt auch nicht allein aus dem Osten oder von den Wendeverlierern, auch wenn er hier vielleicht besonders viel Resonanz erfährt. Der Rechtspopulismus ist lange und hartnäckig erdacht, nicht zuletzt von Intellektuellen und Politikern aus dem Westen. Seine bürgerlichen ArchitektInnen heißen Walser, Hohmann, Möllemann, Sarrazin oder Steinbach. Und er ist verwurzelt in der Abwehr der Verantwortung für den Nationalsozialismus und dem damit einhergehenden Antisemitismus. Der Erfolg des Rechtspopulismus - auf der Straße wie in den Parlamenten - wird nicht verstehbar werden, wenn seine Entstehung nicht beachtet wird." Übrigens sollte man auf dem Foto, das den Artikel garniert, das strahlende Gesicht Frank Schirrmachers notieren.
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Gesellschaft

In der SZ legen die von Bayern nach Chemnitz emigrierten Professoren Bernadette Malinowski und Winfried Thielmann ein gutes Wort für ihre Stadt ein, die sie in den Medien reichlich einseitig porträtiert sehen: "Man kann sagen, dass der Umgang mit Zuwanderung, der in Westdeutschland über etliche Jahrzehnte - und keineswegs unproblematisch - erlernt worden ist, für die Bürgerinnen und Bürger von Chemnitz eine Übernachtanforderung gewesen ist. Sicher können sich noch viele an das kritische Beäugen von Fremden im Westdeutschland der Siebzigerjahre erinnern, und es ist kein Wunder, dass es das hier in Chemnitz auch gibt. Wir sehen dennoch durchweg ein friedliches Miteinander, und das Fähnlein der Cegida-Bewegung, deren Montagsdemonstrationen von Woche zu Woche geschrumpft sind, wurde am Schluss nur noch von sieben Verbogenen und Verbiesterten getragen."

Das 1972 geschaffene Gesetz Title IX verbietet Bildungseinrichtungen in den USA ausdrücklich, Menschen wegen ihres Geschlechts zu diskriminieren. In den letzten Jahren ist das Gesetz wegen seiner ausufernden Anwendung oft in die Kritik geraten, aber, meint der an der Stanford University lehrende Adrian Daub in der NZZ, es gab und gibt immer noch gute Gründe für dieses Gesetz: "Von Anfang an interessierte sich Title IX nicht für übergriffige Schurken und unschuldige Opfer, sondern für Systeme, die Übergriffe ermöglichen und damit Ungleichheit immer wieder neu erzeugen. 1980 kam der Präzedenzfall Alexander v. Yale: Fünf ehemalige Studentinnen der Universität Yale verklagten diese, weil sie sie ungeschützt sexueller Belästigung ausgesetzt hatte. Das Gericht bestätigte, dass dieser fehlende Schutz die Studentinnen in der Tat benachteiligt habe und somit Title IX zuwiderlaufe. Die Studentinnen hatten Yale weder ein Verbrechen vorgeworfen noch auf Geld geklagt: Sie klagten ein Beschwerdeprozedere für sexuelle Belästigung ein, das Yale aufgrund der Klage auch einrichtete."
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Politik

Auch in Brasilien kandidiert jetzt ein Rechtspopulist für das Präsidentenamt, Jair Bolsonaro. Im Moment sieht es aus, als könnte er am Ende nicht triumphieren - zumindest, wenn man den Demoskopen glaubt, schreibt Andreas Behn in der  taz: "Bolsonaro ist einer der ersten lateinamerikanischen Politiker, der sich mit den Rechtspopulisten in Europa und anderswo vergleichen lässt. Homosexuelle bezeichnet er als Gefahr für die Familie, die stets von einem männlichen Oberhaupt angeführt werden sollte. Seine Reden sind mit rassistischen Sprüchen gegen Nichtweiße gespickt. Eine Abgeordnetenkollegin bezeichnete er als 'zu hässlich, um vergewaltigt zu werden'. Dafür wurde er rechtskräftig verurteilt. Sein Votum für die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff 2016 widmete er dem Oberst, der sie einst während der Militärdiktatur folterte."

Chaos in Washington. Während der New Yorker es als bewiesen ansieht, dass russisches Hacking die Präsidentschaftswahl entscheidend beeinflusste (mehr in in unserer Magazinrundschau ab 14 Uhr) , spielte der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein mit dem Gedanken zurückzutreten, weil er jeden Moment erwartete, gefeuert zu werden. Wenn Rosenstein geht, kann Trump einen genehmen Mann ins Ministerium setzen, der den FBI- Sonderermittler zu Russland Robert Mueller feuern könnte. Die New York Times erzählt Rosensteins gestrigen Tag, an dem er letztlich und vorerst doch nicht gefeuert wurde. "Herr Rosenstein und Ed O'Callaghan, sein oberster Stellvertreter, rannten aus dem Gebäude und machten sich auf den Weg zum Weißen Haus, wo sie das letzte Wort erwarteten. Justizministeriumbeamte erklärten Reportern, dass Herr Rosenstein erwartete, bei der Ankunft dort gefeuert zu werden." Eine Pressemitteilung für die Entlassung sie auch schon vorbereitet gewesen...
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