9punkt - Die Debattenrundschau

Gigantische Masse fehlender Werke

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.01.2015. Gestern war Public Domain Day. Werke von Autoren, die 1944 gestorben sind, werden gemeinfrei. Nur in den USA nicht, erklärt Jennifer Jenkins von der Duke Law School auf ihrer Website. Die langen Schutzfristen behindern die Rezeption von Kultur, meinen Techdirt und die Politikerin Julia Reda. Die taz berichtet über Verfolgung von Journalisten in Ägypten. Im Standard erinnert Laura Poitras daran, dass Edward Snowden anders als deutsche Kulturkritiker ans Gute im Internet glaubt. Frankreich ist aufgeregt über Thomas Pikettys Ablehnung der Légion d'honneur.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.01.2015 finden Sie hier

Urheberrecht


Seit gestern gemeinfrei: Piet Mondrians "Blühender Apfelbaum".

Gestern war Public Domain Day. Werke von Autoren oder Künstlern, die seit siebzig Jahren tot sind, werden gemeinfrei. Gestern wurden darum in Europa alle Werke von Autoren, die 1944 starben zugänglich: Die Erben von Antoine de Saint-Exupéry, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Edvard Munch müssen seit gestern auf Ansprüche verzichten, schreibt Jennifer Jenkins vom Duke Law School"s Center for the Study of the Public Domain. In den USA aber wird kein einziges Werk in die Public Domain eintreten. Jones erklärt den Hintergrund: "Als das erste Copyright Law erlassen wurde, dauerte das Copyright 14 Jahre und war um 14 Jahre erneuerbar, wenn der Autor es wollte... Und heute? In den Vereinigten Staaten gilt das Copyright, wie anderswo, für die Lebenszeit des Autors plus siebzig Jahre. Sie könnten also erwarten, dass Werke, deren Autoren 1944 starben, seit gestern frei wären. Traurigerweise ist das nicht so. Als der Kongress das Gesetz erließ, verlängerte er die Frist für existierende Werke und gab allen Werken, die zwischen 1923 und 1977 geschaffen worden waren und die noch durch Copyright geschützt wurden, eine Frist von 95 Jahren. Das Ergebnis? Keines dieser Werke wird vor 2019 frei, und Werke von 1958, die unter anderem Umständen 2015 frei gewesen wären, kommen frühestens 2054 in die Public Domain."

Copyright schadet der Verbreitung von Kultur (statt ihr seiner ursprünglichen Bestimmung gemäß zu dienen). Durch die Dauer der Schutzfristen bis siebzig Jahre nach dem Tod der Urheber entsteht bei Büchern aus bestimmten Jahrzehnten ein "schwarzes Loch". Sie sind im Netz weder kostenlos noch zahlbar herunterzuladen: Das netzaktivistische Blog Techdirt übernimmt eine Grafik der EU-Abgeordneten Julia Reda (Piratenpartei), die das Ausmaß dieser kulturellen Verdunkelung beweist:



Mike Masnick schreibt dazu in Techdirt: "Was mich verblüfft, ist, dass diese gigantische Masse fehlender Werke von Politikern nicht als größeres Thema gesehen wird. Urheberrechte bewirken heute einen massiven Verlust für Gesellschaft und Publikum, der mit ein paar einfachen Änderungen des Gesetzes leicht vermieden werden könnte, zum Beispiel indem man eine Registrierung von Rechten verlangt... In den USA velangte das Urheberrechtsgesetz bis 1976 Registrierungen und Verlängerungsanträge jenseits der 28-Jahr-Frist, und die große Mehrheit der Werke wurde nicht verlängert, weil es keinen ökonomischen Anreiz dafür gab." Reda hat ihre Erkentnisse bei der Tagung des Chaos Computer Clubs erläutert - hier das Video.
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Gesellschaft

Als "Klartext-Kanzlerin" feiert Martin Reeh in der taz Angela Merkel wegen der deutlichen Worte gegen Pegida in ihrer Neujahrsansprache: "Sicher kann man argumentieren, dass Merkel auch jetzt ihrer Linie treu bleibt, sich erst zu äußern, wenn die Dinge entschieden sind. Pegida hat ihren Zenit wohl überschritten und wird in allen Städten außerhalb Dresdens nicht mehr als ein paar Dutzend Anhänger anziehen. Innerhalb der Union sind die Dinge jedoch keineswegs festgezurrt."
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Stichwörter: Merkel, Angela, Pegida

Politik

Nach Putins Neujahrsansprache vermutet Christoph von Marschall im Tagesspiegel, dass sich die Lage für Systemkritiker und -gegner in Russland in diesem Jahr noch verschlimmern dürfte: "Die Wortwahl seiner Neujahrsansprache hätte man früher völkisch genannt: Volksgemeinschaft, Ehre, edle Taten fürs Mutterland, die Liebe zu Russland als eines der erhabensten Gefühle. Die Annexion der Krim - pardon: ihre "Rückkehr ins Heimathaus" - sei ein Meilenstein in der vaterländischen Geschichte. Von den Andersdenkenden ist keine Rede... Putin gewährt uns die Freiheit, nicht anders zu denken als er."
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Medien

In der taz meldet Karim El-Gawhary, dass das ägyptische Kassationsgericht die Urteile gegen die drei Journalisten des Fernsehsenders al-Dschasira, den australischen Korrespondenten Peter Greste, den kanadisch-ägyptischen Bürochef Mohammed Fahmy und den ägyptischen Produzenten Baher Mohammed, aufgehoben und eine neue Verhandlung vor einem anderen Strafgericht angeordnet hat. Bis zum Beginn des neuen Prozesses bleiben die Journalisten, denen Kollaboration mit der Muslimbruderschaft und Verbreitung falscher Informationen vorgeworfen werden, in Haft: "Die drei befinden sich nun bereits seit über einem Jahr in einem ägyptischen Gefängnis. Das Gericht muss nun innerhalb der nächsten Tagen eine schriftliche Begründung für seine Entscheidung nachreichen. Aber selbst die Staatsanwaltschaft hatte eingeräumt, dass es im ersten Prozess zu zahlreichen Verfahrensfehlern gekommen war. Dort wurden nicht einmal Belege für die Vorwürfe gegen die Journalisten vorgelegt."
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Überwachung

Im Gespräch mit Dominik Kamalzadeh (Standard) über ihren Dokumentarfilm "Citizenfour" versucht Laura Poitras zu erklären, weshalb sich Edward Snowden zum Whistleblowing entschied: "Seine biografische Situation ist kompliziert: Er kommt aus einer Familie, in der viele für die Regierung gearbeitet haben. Er war selbstbewusst, als er dem Militär, der CIA und der NSA beigetreten ist. Er hatte keine Absicht, ein Whistleblower zu werden. Doch die Kombination aus seiner Geschichte, dem Umstand, dass er daran glaubt, dass das Internet gut ist, und jenem, dass er daran mitwirkte, dieses Potenzial zu zerstören - das war die fundamentale Bruchstelle."
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Europa

Für ziemliche Aufregung sorgt in Frankreich (und darüber hinaus) Thomas Pikettys Weigerung, sich zum Chevalier der Légion d"honneur ernennen zu lassen. Jonathan Bouchet-Petersen erläutert in Libération (für die Piketty eine Kolumne schreibt): "Die Weigerung Pikettys, sich von der amtierenden Regierung eine Rosette ans Knopfloch stecken zu lassen, kommt nicht so überraschend. Er stand eine Zeitlang den Sozialisten nahe, vor allem während des letzten Präsidentschaftswahlkampfs. Noch bevor der Ökonom durch sein "Kapital im 21. Jahrhundert" zum Weltstar geworden war, hatte er sich für eine entschiedene Steuerreform mit stärkerer Besteuerung höherer Einkommen eingesetzt. Aber unter dem Budgetminister Jérôme Cahuzac und ohne Einwände von Seiten François Hollandes wurde nur eine Mini-Anpassung beschlossen..."
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Religion

Amüsante Episoden aus der Geschichte der Religionen erzählt Jack Miles, Autor von "World Religions", im Gespräch mit Hannes Stein in der Welt: "Es gibt mehr Wahrheitsansprüche ... in östlichen Religionen, als die westlichen Anhänger des Buddhismus wahrhaben wollen. Manchmal auf sehr amüsante Art. In China wetteiferten die Taoisten mit den Buddhisten - und die Buddhisten behaupteten, dass Laotse nach Indien gegangen sei, um sich vom Buddha erleuchten zu lassen. Die Taoisten hatten dann natürlich eine Gegenversion: Laotse ging nach Indien, um den Buddha zu belehren."
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