9punkt - Die Debattenrundschau

Kritik der Waffen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.04.2016. Im Guardian ahnt Thomas Piketty, warum die Regierungen lange kein Problem mit Steueroasen hatten. Die FR fragt, wie man zum Salafisten wird. Im Standard drängt Garance Le Caisne, hinter die zivilisierte Maske des Assad-Regimes sehen. Die NZZ setzt gegen den Unverstand der polnischen PiS auf Bürgerclubs. Und Jan Böhmermann bekommt mächtigen Beistand von Mathias Döpfer, der sein Schmähgedicht auf Tayyip Erdogan in der Welt zum Kunstwerk adelt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.04.2016 finden Sie hier

Europa

Jan Böhmermanns Schmähgedicht auf Tayyip Erdogan hat jetzt die von der Bundesregierung gefürchteten Folgen - trotz telefonischen Herbeieilens der Kanzlerin, berichtet die FAZ: "Der türkische Botschafter in Berlin hat dies in einer Verbalnote zum Ausdruck gebracht. Die Bundesregierung, die einem Verfahren nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung ausländischer Staatsorgane) zustimmen muss, berät heute, wie sie weiter vorgeht. Sie sitzt in einer Zwickmühle, die Böhmermann aufgemacht hat: Stimmt sie dem Strafverfahren zu, wird sie zu Erdogans Handlanger; lehnt sie ab, wird der türkische Staatspräsident, auf den Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise besonders angewiesen ist, eventuell politisch reagieren."

Mathias Döpfner ist der vertrackten Strategie Jan Böhmermanns auf die Spur gekommen und lobt sie in einem offenen Brief in der Welt als gelungene Satire: Sie wollten nach dem ziemlich lendenlahmen Erdogan-Veräppelungs-Song in der ARD die illiberale Reaktion des türkischen Staatspräsidenten ironisieren und durch Maximalprovokation die Leute verstören, um sie darüber nachdenken zu lassen, wie eine Gesellschaft mit Satire und - noch viel wichtiger - mit der Satire-Intoleranz von Nichtdemokraten umgeht. Ein Kunstwerk."

Gerhard Gnauck schildert in der NZZ, wie die PiS-Regierung in ihrem Feldzug gegen alles Elitäre und Intellektuelle die polnische Kulturszene umpflügt. Gnauck setzt jedoch ganz auf die historisch erprobte Widerstandskraft der Polen: "Sollte es wieder hart auf hart kommen - die Mittel des Kampfes sind aus dem Schatz der Erfahrungen leicht abzurufen. Spotten und protestieren, konspirieren, parallele Strukturen aufbauen: Untergrundmedien, einen unabhängigen Unterricht für Schüler und Studenten, Volksbildungsanstalten. Die im Herbst abgewählte liberale Partei 'Bürgerplattform' will jetzt im Land Hunderte überparteilicher Bürgerklubs gründen; auch in dieser Idee schwingt die historische Erfahrung mit."

In der taz berichtet Gabriele Lesser von Protesten in Warschau gegen das drohende Abtreibungsverbot.

In der FR empfiehlt Arno Widmann mehrere Bücher über den Salafismus, besonders Boualem Sansals "Allahs Narren - Wie der Islamismus die Welt erobert". Bemerkenswert findet er auch, dass die Salafisten die gleiche sektiererische Politik des "Macht durch Wissen" üben wie einst die marxistischen Gruppen, die sich mit Zitaten bombardierten: "Wie damals gehören auch heute zu den Zitaten die Waffen. Immer wieder wird die Waffe der Kritik schnell ersetzt durch die Kritik der Waffen. Es dauert dann nicht nur sehr lange, bis man wieder bei der Waffe der Kritik ankommt. Meist sind auch Hunderte, Tausende oder mehr Menschen unterwegs auf der Strecke geblieben."
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Politik

Thomas Piketty macht sich im Guardian Gedanken über die Folgen der "Panama Papers": "Vor allem eine Frage ist noch zu stellen. Warum haben die Regierungen seit 2008 so wenig getan, um das Finanzsystem transparenter zu machen. Die einfache Antwort ist, dass sie glaubten, nicht handeln zu müssen. Ihre Zentralbanken hatten genug Geld gedruckt, um einen kompletten Kollaps des Systems zu verhindern, und sie hatten somit die Fehler der Weltwirtschaftskrise von 1929 vermieden. Das Ergebnis ist, dass wir eine Depression vermieden haben, aber dass wir auch vor vor den notwendigen strukturellen, regulatorischen und Steuerreformen zurückschreckten."

Die französische Journalistin Garance Le Caisne berichtet in ihrem Buch "Codename Caesar" von den Verbrechen des Assad-Regimes, die der Militärfotograf unter einem Decknamen dokumentierte. Im Standard-Interview mit Renée Reif betont sie, dass alle wissen, was in Syrien geschieht: "Die Uno hat die Verbrechen anerkannt. Vor einigen Wochen gab sie einen Bericht heraus. Sie bestätigte unabhängig der Fotos von Caesar die Folterungen und Morde. Aber die internationale Gemeinschaft kümmert sich nicht darum. Es ist für sie zu kompliziert einzugreifen. Syrien ist ein souveräner Staat, Assad ein gewählter Präsident. Auch wenn er nicht demokratisch gewählt wurde. Hinzu kommt, dass er und seine Frau uns gleichen. Seine Frau ist schön, trägt keinen Schleier. Die beiden treten 'zivilisiert' auf. Da fällt es viel schwerer als bei IS-Mitgliedern, die ihre Verbrechen in sozialen Netzwerken zur Schau stellen, die Barbarei zu sehen."
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Religion

Christian Geyer wendet sich in der FAZ (wenn man seinen Artikel richtig versteht) aus katholischer Sicht gegen einen "alles einebnenden Ökumenismus". Und der Theologe Hubert Wolf nennt es in der SZ "revolutionär", dass Papst Franziskus laut seinem neuesten Schreiben "Amoris laetitia" fünfe gerade sein lassen will, wenn Geschiedene und Wiederverheiratete am Abendmahl teilnehmen wollen.
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Überwachung

Hauke Gierow kann auf Zeit Online kaum glauben, wie wenig der Bundestrojaner angeblich zu gebrauchen sei: "Dass die Software, die den Ermittlern seit Ende Februar zur Verfügung steht, Schwächen hat, war klar. Jetzt wird deutlich, wie wenig sie offenbar wirklich leistet. Mit dem Spionageprogramm können nur Windows-Rechner ausgespäht werden. Linux, Mac OS X oder mobile Betriebssysteme werden nicht unterstützt."
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Stichwörter: Bundestrojaner, Linux