9punkt - Die Debattenrundschau

Recht auf Nichtverbreitung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.04.2016. Nach aktuellem Urheberrecht wären Rubens und Dürer Verbrecher, meint Wolfgang Ullrich in der Pop-Zeitschrift. "Hier gibt es nichts zu jammern", ruft Dieter Nuhr im Tagesspiegel mit Blick auf die Causa Böhmermann. In der FAZ erzählt Theatermacher Przemek Wojcieszek, wie politischer Druck in Polen funktioniert. In Prospect verteidigt Alan Rusbridger die Internetstrategie des Guardian. Das Urteil zu Google Books wird in FAZ und SZ begrüßt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.04.2016 finden Sie hier

Medien

Der Guardian ist in großen Schwierigkeiten. Sein ehemaliger Chefredakteur Alan Rusbridger, der für eine emphatische kostenlose Online-Strategie steht, wurde in letzter Zeit mehrfach hart attackiert, etwa von Michael Wolff in GQ (hier) und von mehreren Autoren im Magazin Prospect (hier). Heute antwortet er im Prospect und vergleicht seine Guardian-Strategie mit der Paywall-Strategie von Rupert Murdochs Times: "Weist die Times-Paywall in die Zukunft? Schwer zu sagen. Die Firma erklärte für 2014 einen Profit von 1,7 Millionen Pfund - eine Verbesserung gegenüber dem Verlust von 24,5 Millionen Pfund im Vorjahr. Aber die 'profitable' Times Newspapers Ltd beschäftigt gerade 459 Leute, offenbar alles Journalisten. Druck, Vertrieb, Anzeigenverkauf, Rechtsvertretung und Buchhaltung werden irgendwo anders im Murdoch-Reich abgerechnet und in undurchschaubarer Weise ausgewiesen."

"Hier gibt es nichts zu jammern", ruft Kabarettist Dieter Nuhr im Tagesspiegel mit Blick auf die Causa Böhmermann: "Nicht dass es keine guten Gründe gäbe, den türkischen Staatspräsidenten zu beleidigen, aber Beleidigung ist gesetzlich verboten. Das gilt auch für den türkischen Staatspräsidenten, weil das Gesetz bei uns für jeden gilt. Dieser Umstand unterscheidet uns im übrigen von der Türkei."

Der Bayerische Rundfunk muss Stellen streichen, besonders um die überbetriebliche Altersversorgung Ehemaliger zu sichern, berichtet Wolfgang Wittl bei sueddeutsche.de. Auch Chöre und Orchester seien nicht tabu.
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Internet

Patrick Bahners kommentiert in der FAZ die Entscheidung für Google Books (unser Resümee gestern) recht positiv. Sollte der folgende Satz auf häufige FAZ-Autoren wie Roland Reuß anspielen? "Die in der deutschen Diskussion um Open Access dominierende Figur des romantischen Diskursverweigerers, der im Namen seiner unaussprechlichen Persönlichkeit auf ein Recht auf Nichtverbreitung seiner Ideen pocht, hat vor dem aufgeklärten Horizont des amerikanischen Urheberrechts keinen Ort."

Inwieweit Europa davon profitieren kann, ist offen, erläutert Johannes Boie in der SZ: "In Europa ist die Rechtslage eine ganz andere. Hier digitalisiert Google zwar ebenfalls Bücher - und wie in den USA geschieht dies in Kooperation mit Bibliotheken. Doch bleiben die Bestände, die zur Digitalisierung freigegeben sind, auf jene Werke beschränkt, deren urheberrechtlicher Schutz erloschen ist. Das ist, von Sonderregelungen für anonym verfasste Werke abgesehen, dann der Fall, wenn ein Autor seit mehr als 70 Jahren tot ist."
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Urheberrecht

Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich denkt in der Pop-Zeitschrift über künstlerische Aneignung und ihre Tücken nach. Was früher ging, ist heute tabu: "Dass die Idee der 'aemulatio' heute keine große Rolle mehr spielt, hat mit den in der Moderne gestiegenen Originalitätsansprüchen zu tun, die wiederum zur Ausprägung des Urheberrechts geführt haben. Ihm zufolge ist es mittlerweile sogar verboten, sich auf ein erkennbares Vorbild eines Urhebers zu beziehen, der noch lebt oder weniger als 70 Jahre tot ist. Somit handelten Dürer, Rubens und zahllose andere Künstler früherer Jahrhunderte nach heutigen Standards kriminell."
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Europa

Der polnische Theatermacher Przemek Wojcieszek, der gerade ein aktuelles und kritisches Stück an einem Theater der Stadt Legnica aufführt, erzählt im Gespräch mit FAZ-Autor Tomasz Kurianowicz, wie politischer Druck in Polen funktioniert: "Die Politik kann uns nur indirekt schaden. Die lokale Regierung hat bereits Briefe an alle Schulen verschickt und davor gewarnt, mit ihren Klassen in das Stück zu gehen. Daraufhin wurden alle Vorbestellungen storniert. Für uns ist das ein großer finanzieller Verlust. Der Druck ist auch bei den Mitarbeitern groß. Für mich und den Theaterdirektor hält sich die Gefahr in Grenzen, wir kommen schon klar."
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Geschichte




Foto: Deutsches Historisches Museum.

Heute nutzen die Leute Facebook, früher artikulierten sie ihren Antisemitismus mit Klebezetteln, die gerade im Deutschen Historischen Museum ausgestellt sind, schreibt Maik Söhler in der taz: "Bereits 1920 erwirkt der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, dass der Reichspostminister alle Dienststellen anweist, Briefe mit antisemitischen Aufklebern nicht zu befördern - oft erfolglos. Über andere jüdische Verbände und die 'Eiserne Front' um die SPD in der Weimarer Republik bis zu heutigen zivilgesellschaftlichen Gruppen zieht sich eine Klebespur des Widerstands, die sich aus Gegenpropaganda, juristischen Mitteln, kreativen Verfremdungen und ironischen Brechungen speist." Mehr auch in der Berliner Zeitung.

Ebenfalls in der taz setzt sich Ilko-Sascha Kowalczuk sehr kritisch mit einem Band zum Stand der historischen DDR-Aufarbeitung auseinander: "Die 'Aufarbeitungslandschaft DDR' erstarrt immer mehr. Ermüdungserscheinungen und Langeweile sind unübersehbar. Immer neue Kommissionen versuchen, die Aufarbeitungslandschaft neu zu ordnen. Bislang geschah nichts. Tatsächlich aber ist der Tanker der Aufarbeitung, die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU), erheblich ins Schlingern geraten. Die Stasi-Akten kommen demnächst ins Bundesarchiv. Was mit dem Rest der Behörde geschehen soll, vor allem der kleinen Forschungsabteilung, ist ungewiss."

Die Zeitzeugen des Holocaust sterben aus. Was das für Ausstellungen zum Thema bedeutet, lernt Barbara Möller (Welt) nach dem Besuch der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Buchenwald: Sie beginnt bei Null. "Als Kind der Beteiligtengeneration ist man gleich mal ein bisschen gekränkt. Sehr sogar. Hat man nicht als Schülerin tagelang im Majdanek-Prozess gesessen? Ist man nicht in Lidice und Oradour gewesen? Hat man nicht die Eltern auf dem heißen Stuhl geröstet und so gut wie alle Augenzeugenberichte gelesen? Aber diese Kränkung hält nicht lange an, wenn man erkennt, was die Ausstellung bietet: den Rundumblick durch einen nationalsozialistischen Mikrokosmos, der als Pars pro Toto steht."

Besprochen werden außerdem zwei Ausstellungen zur Geschichte der Brauereien in München: "Bier. Macht. München" im Münchner Stadtmuseum und "Bier ist der Wein dieses Landes" im Jüdischen Museum München (NZZ).
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