9punkt - Die Debattenrundschau

Man greift Außenseiter an

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.04.2019. Im Fall Julian Assange vermisst der New Yorker die Solidarität der Medien, die allesamt die Enthüllungen von Wikileaks veröffentlichten. In der SZ ahnt James Ball: Der Angriff auf die Pressefreiheit funktioniert am besten über die Schwachstellen. Ebenfalls in der SZ räumt Wilhelm Heitmeyer mit einem Missverständnis auf: Die AfD sei nicht populistisch, meint er, sondern autoritär nationalradikal. In der NZZ attackiert Slavoj Zizek das Konzept der fluiden Identität als bourgeoise Subjektivität. Guardian und taz blicken hoffnungsvoll auf die Straßen von Khartoum.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.04.2019 finden Sie hier

Internet

Der Journalist und frühere Wikileaks-Mitarbeiter James Ball hält im SZ-Interview jede Kritik an Julian Assange und Wikileaks für berechtigt, die Anklage aber dennoch für fatal: "Denken Sie an Edward Snowden. Das Erste, was Journalisten sich anhören mussten, war: Die Regierung kann euch unter dem 'Espionage Act' verfolgen. Wir müssen die Norm verteidigen, dass Journalisten nicht verfolgt werden. Sie erodiert nicht, indem der Chefredakteur der New York Times angegriffen wird. Man greift Außenseiter wie Assange an, den viele Leute nicht verteidigen wollen. Das kriminalisiert den Journalismus an sich."

Im New Yorker ahnt John Cassidy schon, dass die Strategie aufgeht. Weder New York Times noch Washington Post machten sich wirklich für Julian Assange stark. Dabei soll er schließlich nicht angeklagt werden, weil er mit russischen Hackern Hillary Clintons Wahlkampf torpedierte, sondern für die Leaks mit Chelsea Manning, in denen es um die Tötung von Zivilisten und Journalisten durch amerikanische Soldaten im Irak ging. Und die hätten Times, Post, Guardian und der Spiegel alle veröffentlicht.

Weiteres: Julian Assanges hatte eigentlich mehr Substanz als Aura, überlegt Andrian Kreye in der SZ, doch seine Ruhmsucht habe ihn zu seinen größten Fehlern verleitet: "Assanges unerbittliche Strategie, Wikileaks zu einer fast schon messianischen Bewegung mit nur einem Kopf zu machen, hat ihm langfristig geschadet." Wikileaks sei ohne Julian Assange besser dran, meint in der FAZ Michael Hanfeld: "Julian Assange hat immer nur für sich gespielt und wähnte sich auf Augenhöhe mit den Mächtigen der Welt, denen er es zeigen wollte. Die Dokumente, die ihm zugespielt wurden, betrachtete er nicht als Vehikel der Wahrheitsfindung, sondern als Instrument der politischen und persönlicher Machtausübung."

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Ideen

Nächste Woche steht in Toronto der große Philosophen-Fight an. In der rechten Ecke der Psychologie-Star Jordan Peterson, in der linken Slavoj Zizek. In der NZZ kocht René Scheu schon die Stimmung hoch. Zizek spielt mit und erklärt, warum Peterson die Feindbilder durcheinander gehen, warum er die totale Alternative zu diesem sei und was ihn aber auch als vernünftigen Marxisten von einem Linksliberalen unterscheidet: "Sie konzipieren den Menschen als fluides, flexibles Subjekt, das sich stets neu erfinden kann, ja muss, um sich vom Patriarchat zu befreien. Die Palette der Neuerfindungen reicht von der sexuellen Orientierung bis hin zur Karriere. Und die Linksliberalen verkaufen das als große Freiheit. So ein Bullshit. Was sie da herbeten, ohne es zu merken, ist - marxistisch gesprochen - geradezu der Kern der bourgeoisen Subjektivität. Und sie können das nur tun, weil sie selbst gut leben und zu den Privilegierten zählen."
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Politik

taz-Korrespondent Karim El-Gawhary will sich die Hoffnung auf eine Demokratisierung in Algerien und im Sudan so schnell nicht nehmen lassen, auch wenn die Militärs schon wieder die Proteste von Algier und Khartoum zu kooptieren drohen: "Anders als die ägyptischen Militärs haben die 'Übergangsherrscher' in Algerien und im Sudan einen großen Nachteil: Die Demonstranten beider Länder kennen das ägyptische Szenario. Mit einem Salut des Militärs in Richtung Demonstranten, wie einst in Kairo, wird es nicht getan sein. Das algerische und sudanesische Militär muss mehr liefern. Bouteflika und Baschir wurden beide vom Militär 'gegangen', wie einst Mubarak in Ägypten. Aber weder in Algier noch in Khartum sind heute wie einst in Kairo die naiven Sprüche vom Militär und dem Volk, die an einem Strang ziehen, zu hören. Die Demonstrationen in Algerien gehen weiter. Was im Sudan passiert, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Die Sudanesen haben einige Erfahrungen mit Militärputschen in ihrer modernen Geschichte gesammelt. In beiden Ländern dürfte die Skepsis gegenüber Lösungen von oben groß bleiben."

Im Guardian erinnert die sudanesische Kolumnistin Nesrine Malik, was mit Omar al-Bashirs Regime verbunden war: "Nicht ein einziges seiner dreißig Jahre Herrschaft war friedlich. Das Militär übernahm 1989 die Macht und beantwortete jeden Widerspruch mit brutaler Gewalt. In den größeren Städten zerstörte das Regime die Zivilgesellschaft mit seinem Polizeistaat. In Darfur und anderen Regionen heizten seine Truppen ethnische Konflikte an, die unzählige Leben kosteten und Bashir eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof und Sanktionen gegen das Land einbrachte. Und das regime etablierte ein willkürliches Scharia-System, das es zur Verflgung seiner Gegner und der Durchsetzung einer eisernen Ordnung nutzte."

Und wenn die AfD gar keine rechtspopulistische Partei ist?, fragt Wilhelm Heitmeyer, Urgestein der Bielefelder Soziologie, in der SZ. Dass sich die Floskel durchgesetzt hat, macht sie noch nicht richtig: "Rechtspopulisten wollen durch Provokation öffentliche Erregung erzeugen, mit Themen entlang der dramatisierten Konfliktlinie 'Volk gegen Elite'. Rechtsextreme und Neonazis wiederum operieren mit Gewaltandrohungen und Gewalttätigkeiten; sie wollen Schrecken verbreiten. Dazwischen verläuft die Erfolgsspur der AfD: ein Autoritärer Nationalradikalismus."
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Religion

Ignorant, unbelehrbar und intellektuell dürftig findet Roman Bucheli in der NZZ die Auslassungen Benedikt XVI. zum Kindesmissbrauch in der Kirche, den der Ex-Papst mit dem Sexualkunde-Unterricht in Schulen, mit 1968 und dem Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie erklärt. Aber das sei noch nicht das Schlimmste: "Bedrückend an Benedikts Gedankengang ist vielmehr die implizite Behauptung, der Mensch - ob Kleriker, Fußballtrainer oder Vater - brauche eine ausgeklügelte Moraltheologie, um Kindsmissbrauch als etwas Schändliches erkennen zu können. Es sei einem Theologen ohne das Gerüst einer 'moralischen Lehrautorität' nicht mehr zumutbar, Unrecht von Recht zu unterscheiden."
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Medien

Der Medien-Unternehmer Cosmin-Gabriel Ene hält in der NZZ die neue Fokussierung auf Abo-Modelle für einen gravierenden Fehler. Die Medien werden dadurch Leser verlieren und eine zahlungskräftige Informationselite heranzüchten, während die Nicht-Abonnenten auf die Boulevardseiten der Populisten ausweichen. Wenn also zurück zu alten Print-Rezepten, dann richtig, meint Ene: "Dem etablierten und höchst erfolgreichen Kiosk-Konzept verweigern sich im Web allerdings die meisten Verleger und enthalten ihren Kunden die Möglichkeit vor, einzelne Texte oder Tagesausgaben zu geringen Preisen nach Bedarf zu kaufen. Dabei wäre in der Welt gedruckter Presseerzeugnisse niemand je auf die Idee gekommen, den Verkauf der Einzelausgabe zu unterbinden. Dass die Leser bei solch einer Missachtung ihrer Kundenbedürfnisse den Verlagen den Rücken kehren, sollte eigentlich kein Medienmanager übersehen."

Timo Hoffmann geht in der taz der Frage nach, wie aus dem einstigen Grünen und taz-Mitgründer Ulli Kulke ein ergrauter Ex-Linker mit Hang zur AfD werden konnte.
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Stichwörter: AfD