9punkt - Die Debattenrundschau

Gut vermarktbare Knalleffekte

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.04.2016. Wer glaubt, letztlich sei der Westen schuld am Wüten des Islamismus, überschätzt den Westen, meint Politico.eu. Im Interview Magazine beschwört Chelsea Manning die Gefahren eines digitalen Totalitarismus. In ein paar Jahren werden die Rundfunkgebühren deutlich steigen, prognostiziert die Medienkorrespondenz - es wird eine Debatte befürchtet.  Zeit online ist erleichtert, dass Palmyra weniger stark zerstört ist als befürchtet.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 01.04.2016 finden Sie hier

Politik

Wer glaubt, letztlich sei der Westen schuld am Wüten des Islamismus, überschätzt den Westen, meint Melik Kaylan in Politico.eu: "Der Westen hat die Despoten in der Region nicht erfunden. Diese Tradition beginnt schon vor dem westlichen Einfluss, ein starker Mann löst den anderen ab - und immer mit großem Rückhalt der Bevölkerung für ihre starken islamischen Führer. Nun bläst der Wind der Globalisierung diese Sporen davon."
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Stichwörter: Islamismus, Globalisierung

Europa

Marc Zitzmann resümiert in der NZZ belgische und französische und belgisch-französische Debatten über die Ursachen des Terrors: "Ein Wort findet sich in fast allen Presseberichten wieder: 'dysfonctionnements'. Die Behörden des Königreichs hätten einmal mehr Fehlfunktion an Fehlfunktion gereiht, schreibt etwa Le Soir - eine 'Tradition', die über die Dutroux-Affäre bis zur Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadium 1985 zurückreiche."
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Stichwörter: Belgien, Frankreich

Kulturpolitik

Erleichtert konstatiert Hanno Rauterberg in Zeit online, dass Palmyra nicht so stark zerstört ist wie befürchtet und vermutet eine Art Schaufensterpolitik der IS-Schergen: "Sie wollten Palmyra vor allem deshalb vernichten, weil sie von der Sprengung symbolträchtige Bilder verbreiten wollten. Dafür reichten gut vermarktbare Knalleffekte, hingegen konnte der IS auf einen systematischen, teuren Säuberungsfeldzug verzichten."

Hans Stimmann, ehemaliger Senatsbaudirektor der Stadt Berlin und Verfechter der "Traufhöhe", verteidigt sich in der FAZ gegen nachträgliche Kritik, die sein Wirken für den Ärger um die Friedrichswerdersche Kirche (unsere Resümees) mitverantwortlich macht: "So richtig der Verweis auf das 1999 vom Senat beschlossene Planwerk Innenstadt ist, so wenig ist es die Ursache für den Bau von Wohnungen einer weit über zehntausend Euro pro Quadratmeter liegenden Preiskategorie und noch weniger für die Schäden an der Friedrichswerderschen Kirche."
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Überwachung

Die Whistleblowerin Chelsea Manning erzählt im Interview mit Chris Wallace von Interview von ihrem Alltag im Gefängnis und von ihren Ängsten über eine immer mehr kontrollierte Öffentlichkeit: "Ich fürchte, dass die nächsten Generationen von Amerikanern mit dem sehr realen Gespenst eines neuartigen und seltsamen digitalen Totalitarismus werden leben müssen, mit einem Staat, der an der Oberfläche demokratisch aussieht, aber Unterströmungen der Angst und eines technologisch erzwungenen Faschismus hat, sobald man mal aus der Reihe tritt. Ich hoffe wirklich, dass es nicht so kommt, aber es sieht im Moment recht übel aus, oder?"
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Medien

Alex Spence stellt in politico.eu eine Studie (pdf-Dokument) des "Centre for the Study of Media Communication and Power" am King's College London vor, die einen zu starken Einfluss von Google und Facebook auf Medien und Öffentlichkeit konstatiert. Eines der Argumente: "Sie filtern die Nachrichten, aber sie sagen nicht warum und wie. Traditionelle Medien verlieren die Kontrolle darüber, wie Nachrichten vertrieben werden. Immer mehr Menschen bekommen sie nicht durch Zeitungen oder TV-Nachrichten, sondern über die Feeds der sozialen Medien oder algorithmisch organisierte Aggregatoren. 'Dies ist eine dramatische Machtverschiebung', sagt Martin Moore, der Leiter des Centre. Und es sei unklar, ob die Tech-Giganten die journalistischen Werte und das Verantwortungsgefühl der besten Newsrooms teilen." Die ja auch schon die schlechtesten Newsrooms nicht teilen, oder?

Die Rundfunkgebühren werden nach 2021 nach Berechnungen der KEF, die den Finanzbedarf der Sender festlegt, wohl deutlich steigen, auf 19,40 oder 19,10 Euro pro Monat, schreibt Jens Twiehaus unter Berufung auf die Medienkorrespondenz (hier) in turi2: "Die Zahlenspiele kamen bereits bei einer Sitzung am 24. Februar auf den Tisch, wurden der Medienkorrespondenz aber offenbar erst jetzt von Teilnehmern bestätigt. Für Vertreter der Länder seien die Rechenspiele ein Schock gewesen. Sie fürchten eine Debatte über Sinn und Unsinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks."

Wozu auch eine Debatte? Unabhängig von Sinn und Unsinn der Sender in Zeiten des Medienwandels ist eine tiefere Veränderung an den Strukturen laut Volker Nünning in der Medienkorrespondenz ohnehin nicht zu erwarten: "Welcher Regierungschef würde zustimmen, dass es zum Beispiel bei 'seinem' ARD-Landessender massive Einschnitte gibt oder dass dieser gar abgeschafft wird (etwa über eine Fusion mit einer anderen Sendeanstalt)?"
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