9punkt - Die Debattenrundschau

Um die Familie zusammenzuhalten

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.12.2017. Spiegel online schildert in einer Reportage die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen in Ägypten. Die Zeit kritisiert den allzu lieben Frieden zwischen Kirchen und Vertretern des Islams in Deutschland. Die taz prangert den Einfluss amerikanischer Miiliardäre auf die Politik des Landes an. Die FAZ vermutet evangelikalen Einfluss hinter der Jerusalem-Entscheidung Donald Trumps.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.12.2017 finden Sie hier

Ideen

Im Interview mit der FR über sein Buch "Geschichte der Zukunft" erklärt der Historiker Joachim Radkau, dass Zukunftserwartungen oft im Zick-Zack verlaufen: "In den 50er Jahren gab es eine ganz große Angst vor kommenden Atomkriegen, das ist heute völlig vergessen. Ab 1955 gab es eine Welle der Euphorie für das friedliche Atom, an der Spitze hier übrigens Ernst Bloch, der Philosoph der Utopie. Dabei gab es kaum Atomkraftwerke. Die wenigen, die es gab, waren Anhängsel der Militärapparate, die keineswegs rentabel gewesen wären. Es war eine merkwürdige, unbegründete Euphorie. Ich kann das nur psychologisch deuten, dass man nach all der Angst neue Hoffnungshorizonte benötigte. Wie es dann Mitte der siebziger Jahre in das Gegenteil umschlug, kam auch für mich überraschend. Ich habe 1973 mit meinen Recherchen begonnen, als ich noch selber Fan der Atomenergie war. Und ich war selber verblüfft, wie die Bewegung eskalierte."
Archiv: Ideen

Politik

Die amerikanische Journalistin Anjana Shrivastava prangert in der taz den Einfluss von Milliardären wie den Koch-Brüdern auf die amerikanische Politik an: "Seitdem die Kochs 2010 das Citizens-United-Urteil im Obersten Gerichtshof durchbekamen, explodiert die Rolle des Geldes in der US-Politik. Firmen dürfen nun beliebig viele politische Spenden tätigen. 2006 betrug die Fremdfinanzierung der Politik noch 2 Prozent, nach dem Urteil sind es 40 Prozent."

Joseph Croitoru legt im Aufmacher des FAZ-Feuilletons dar, dass "Trumps Jerusalem-Entscheidung im Wesentlichen dem Druck sogenannter christlicher Zionisten, wie sich diese Evangelikalen bisweilen nennen, geschuldet ist. Die bibelfundamentalistische amerikanisch-israelische Umarmung verkörpert im Weißen Haus aber weit stärker als der Präsident dessen Stellvertreter Mike Pence. Der bekennende evangelikale Christ wollte eigentlich im alten Jahr seine im letzten Moment auf Januar verschobene, dreitägige Israel-Reise mit einem symbolischen Akt beginnen: Anders als Trump sollte er die Klagemauer offiziell aufsuchen, und zwar als erste Station."
Archiv: Politik

Gesellschaft

Annette Langer schildert in einer Reportage für Spiegel online die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen in Ägypten, die auch aus den Daten einer Umfrage der Gleichstellungsorganisationen UN Women und Promundo deutlich wird: "Die Gewaltbereitschaft scheint generell hoch zu sein: Die Hälfte der Männer gab zu, schon einmal gewalttätig gegen die Ehefrau geworden zu sein. 90 Prozent der männlichen, aber auch 70 Prozent der weiblichen Befragten erklärten, dass Frauen Schläge tolerieren sollten, 'um die Familie zusammenzuhalten'. Mit ihren tradierten Überzeugungen befeuern Frauen Ungleichheit und Gewalt: So waren 60 Prozent der weiblichen Befragten der Meinung, eine Frau solle nach einer Vergewaltigung den Täter heiraten."

Christiane Peitz resümiert im Tagesspiegel die "MeToo"-Debatte und kann immer noch nicht ganz fassen, dass sich im 21. Jahrhundert noch ein solches Ausmaß an sexueller Gewalt enthüllt: "Es ist ähnlich wie mit dem Rassismus. Amerika hatte seinen ersten schwarzen Präsidenten; in Kinofilmen befasst sich das Land intensiv mit der eigenen rassistischen Vergangenheit. Trotzdem gibt es nach wie vor massive Gewalt gegen Schwarze in den USA. Auf die Charleston-Morde folgte Charlottesville. Die Vergangenheit vergeht nicht, die Beharrungskräfte sind groß."

Auch FAZ-Redakteur Patrick Bahners, einer der prominentesten  Fürsprecher des Islams in Deutschland, hat sich jetzt auf Twitter (wenn auch nicht in seiner Zeitung) in die Debatte um das von Lamya Kaddor verfäschte Necla-Kelek-Zitat (unsere Resümees) eingeschaltet. Er bestreitet die Verfälschung und betätigt sie zugleich: "Wie gesagt: Ich bestreite die Verfälschung. @LamyaKaddor hätte in ihrem Urzitat die erläuternde Ergänzung 'muslimische' als solche ausweisen sollen." (Womit das Zitat übrigens auch nicht richtiger würde, weil Kelek schlicht nicht von muslimischen Männern, sondern vom allgemeinen Männerbild des Islams sprach).

Archiv: Gesellschaft

Religion

Evelyn Finger, Religionsredakteurin der Zeit, kritisiert den evangelischen Pfarrer der Berliner Gedächtniskirche, Martin Germer, der immer wieder - und zuletzt beim Gedenken an den islamistischen Anschlag in Berlin - mit umstrittenen Abgesandten der "Neu-Köllner Begegnungsstätte" (NBS) und der Berliner Dar-as-Salam-Moschee kooperiert hat: "Dialog heißt mehr als nur miteinander zu reden. In Zeiten des militanten Fundamentalismus gehört dazu die klare Distanzierung von fundamentalistischer Theologie. Es genügen nicht Besuche und Freundschaftsfloskeln. Es gehören dazu kritische Fragen, es gehört dazu der Streit darüber, wo die Grenzen der Religionsfreiheit verlaufen. In diesem Streit haben sich die deutschen Kirchen noch zu wenig hervorgetan."  Die Sektenexpertin Sigrid Herrmann-Marschall hat in ihrem Blog mehfach über die NBS recherchiert (alle Links hier).

Philipp Peyman Engel, Redakteur der Jüdischen Allgemeinen, kritisiert gleichzeitig in einem Gastbeitrag in der Welt, dass sich Islamverbände in Deutschland kaum von den antisemitischen Ausschreitungen bei antiisraelischen Demos in den letzten Wochen distanziert haben.

Das Christentum ist keineswegs auf dem Rückzug, sondern im Gegenteil ein wichtiger Faktor im Erstarken der Religionen, das man nicht aus Eurozentrismus übersehen sollte, schreibt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf in der NZZ: "Viel europäische Borniertheit gegenüber ganz anderen Christentümern lässt sich auch mit Blick auf die Tausende von Pfingstkirchen in Afrika, Lateinamerika und Asien beobachten. Diese erst um 1900 entstandenen neoprotestantischen Glaubensgemeinschaften sind gegenwärtig die am schnellsten wachsende, dynamischste religiöse Kraft weltweit."
Archiv: Religion

Europa

Im Gespräch mit Ludwig Greven von Zeit online spricht sich Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Kulturrats (und also oberster Lobbyist der Kulturinstitutionen in Deutschland) ganz allgemein für Werte und ZuUsammenleben und gegen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit und nebenbei gegen Laizismus aus: "Religiöse Toleranz ist einer der zentralen Pfeiler unseres Zusammenlebens. Jeder darf seine Religion leben - privat wie öffentlich. Wir sind ja kein laizistischer Staat wie Frankreich. Deshalb haben Muslime auch ein Recht darauf, Moscheen zu bauen, sichtbar wie Kirchen oder Synagogen. Das ist kein Gnadenakt, sondern leitet sich aus unserem Grundgesetz ab." (Äh, in Frankreich hat man auch schon Moscheen gesehen, wie übrigens auch Kirchen und Synagogen.)
Archiv: Europa

Medien

Die scheidende ARD-Vorsitzende Karola Wille ruft in einem Denkstück für die FAZ-Medienseite zu einem Burgfrieden zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Zeitungen auf, die sie gegen das Internet als eigentliche Medien der Wahrheit in Stelluing bringt: "Das Gebot der Stunde ist eine Koalition für die Medienfreiheit, eine große Koalition gegen Einschränkungen des Freiheitsbereichs. Und dies ist umso dringlicher, da unsere gesellschaftliche Kommunikation auf dem Wege ist, sich grundsätzlich zu verändern. Unserer Gesellschaft droht etwas abhandenzukommen, das eigentlich spätestens seit der Aufklärung selbstverständlich war: der Geltungsanspruch der Wahrheit durch belegbare und weithin akzeptierbare Tatsachen. Den Beleg für diesen Befund können wir alle tagtäglich in den sozialen Medien finden."
Archiv: Medien