9punkt - Die Debattenrundschau

Aufforderung zum Transparentwerden

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.02.2018. Doch, der Westen hätte etwas tun können, kommentiert Spiegel online mit Blick auf Ost-Ghuta - Israel hat gezeigt, wie's geht. Die No Billag-Abstimmung in der Schweiz, die vielen in Europa Angst macht, steht bevor: Die taz besucht Florian Maier, den Initiator der Abstimmung über die Rundfunkgebühren. Standard und NZZ blicken sich mit Unbehagen im Superinternet der Dinge um. Würden sich wirklich nochmal britische Soldaten nach Nordirland verschiffen lassen, um dort das Gesetz durchzusetzen, fragt der Guardian.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.02.2018 finden Sie hier

Politik

Doch, der Westen hätte etwas tun können, schreibt Christoph Sydow in Spiegel online mit Blick auf die Bombardierung von Ost-Ghuta und den Syrienkrieg im allgemeinen: "Die frühzeitige Einrichtung einer Flugverbotszone hätte Zehntausenden Syrern das Leben retten können. Vor zwei Wochen hat Israels Militär gezeigt, dass das möglich gewesen wäre: Innerhalb weniger Stunden zerstörten israelische Kampfjets knapp die Hälfte der syrischen Luftabwehrbatterien. Das zeigt: 2012 hätten die USA und ihre Verbündeten innerhalb weniger Tage die Lufthoheit des Regimes in Syrien brechen können.  Stattdessen vertrauten USA und EU unverdrossen darauf, dass der russische Präsident Wladimir Putin irgendwann schon mäßigend auf seinen Verbündeten Assad einwirken werde."
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Stichwörter: Syrien, Syrienkrieg, Ost-Ghuta

Gesellschaft

Deutliche Worte findet Julia Bähr in der FAZ nach der gestrigen Bundestagsdebatte gegen all jene PolitikerInnen, die das Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche verteidigen: "Es geht nicht darum, ob Ärzte über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Es geht darum, ob man Frauen, die abtreiben wollen, nicht doch bestrafen darf, obwohl das Gesetz den Vorgang als straffrei ausweist. Indem man dafür sorgt, dass diese Frauen sich noch beim Arzt so elend und unsicher wie möglich fühlen. "
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Kulturpolitik

Die Sammlerwitwe Barbara Göpel hat der Berliner Nationalgalerie viele Beckmanns hinterlassen. Eine schöne Meldung, mit der Einschränkung, dass ihr Mann Erhard Göpel einer der übelsten Kunsträuber Hitlers war. Nun müssen die Museen nicht nur prüfen, ob Raubkunst in der Sammlung ist, sondern auch überlegen, wie sie die Werke präsentieren. Die Museen sind sich der Herausforderung bewusst, die wahrlich nicht ohne ist, schreibt Jörg Häntzschel in der SZ: "Göpels Aufgabe war es, überall in Europa Kunst für das 'Führermuseum' in Linz zusammenzukaufen. Christian Fuhrmeister und Susanne Kienlechner vom Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte schildern in einem Aufsatz, der dieser Tage veröffentlicht wird, wie er die Drohung von Deportation und Ermordung nützte, um Preise zu drücken. Um dem Kunsthistoriker August Liebmann Mayer Informationen über eine Sammlung abzupressen, ließ er dessen Abtransport in den Tod eigens um eine Woche verschieben. Im März 1944 wurde Mayer in Auschwitz getötet." Ebenfalls in der SZ auf Seite 3: Die Suche zweier Familien nach Werken von Max Pechstein.
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Medien

Anne Fromm trifft für eine lange taz-Reportage in der Schweiz den BWL-Studenten Florian Maier, der der Urheber der "No-Billag"-Abstimmung am 4. März ist. Sämtliche Repräsentanten öffentlich-rechtlicher Sender in Europa bibbern vor diesem Referendum über die Rundfunkgebühren. Maier, so Fromm, ist keineswegs ein Rechtspopulist, sondern gehört den "Jungfreisinnigen" in der liberalen freisinnigen Partei an: "Maier und seine Freunde wollen den Radio- und Fernsehmarkt vollständig liberalisieren. Die Senderechte sollen künftig versteigert werden. Jeder, der das Geld hat, soll sich so seine eigene Radio- oder Fernsehstation aufbauen können. Firmen wie Google und Facebook könnten investieren, Medienunternehmen aus dem In- und Ausland, Multimillionäre, Populisten. Es wäre das Ende des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz. Nein, Maier widerspricht. Er glaubt nicht, dass der Schweizer Rundfunk am Ende wäre. 'Auch die SRG könnte sich auf die Senderechte bewerben. Das würde sie zum Privatsender machen. Und die Schweizer würden eine Menge Geld sparen.'" Bisher hat als einziges Land der Welt Neuseeland seinen öffentlichen Rundfunk abgeschafft, so Fromm.
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Internet

Über das chinesische Bewertungssystem dringen beinahe täglich neue Absurditäten zu uns, aber auch im Westen greift der Bewertungswahn dank Facebook, Yelp, Uber, Airbnb und Co. längst um sich und reduziert den Menschen zur individuellen Rating-Agentur und kontrollierten Ort der Rückkopplung, konstatieren Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschweski in der NZZ: "Ziel ist es, den Nutzer zum Posten, Sharen und Kommentieren zu motivieren, seine Emotionen zu massieren, ihn so lange als möglich im Loop zu halten. 'Man kann nicht nicht kommunizieren' ist heute kein kommunikationstheoretisches Axiom mehr, sondern ein Imperativ, eine beständige Aufforderung zum Sichanschließen und Transparentwerden. Jeder gehobene Daumen, jedes wütende Emoticon bietet dabei lukrative Einsicht in die Konstitution des Einzelnen - vom ökonomischen Status über das heimliche Begehren bis zur mentalen Dissonanz."

Wollen wir wirklich so leben?, fragt die Schriftstellerin Angelika Reitzer in einem ausgewogenen Essay im Standard, in dem sie darüber nachdenkt, wie die Digitalisierung den Alltag beim Kaufen, Wohnen, Kommunizieren und Arbeiten verändert. Onlinekäufe und Sharing-Modelle sind bequem, meint sie, aber: "Wenn mehr und mehr immaterielle Güter, Dienstleistungen, Wissen unsere Welt bestimmen, ist nicht Besitz vorrangig, sondern der Zugriff auf das Superinternet der Dinge. Was höchstwahrscheinlich nicht die Nivellierung, sondern eine Verschärfung der Ungleichheiten nach sich zieht. Haben wir uns damit abgefunden, dass die meisten Dienste nur noch via App in Anspruch genommen werden können? Denn das bedeutet ja auch, dass jemand, der kein Smartphone besitzt oder bestimmte Funktionen wie die Nachverfolgung des eigenen Standortes nicht aktivieren möchte, davon ausgeschlossen ist."
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Europa

Robert Misik blickt in der taz auf die Misere der linken Parteien, besonders auf die (mit Ausnahme von Labour in Großbritannien) darniederliegenden Sozialdemokraten: "Sigmar Gabriel hat die unsägliche These aufgestellt, dass die Sozialdemokratien zu 'postmodern' geworden seien, also sich zu viel um Feminismus und Schwulenrechte gekümmert haben und zu wenig um den ausgebeuteten Postzusteller, die Verkäuferin oder den Kohlegrubenarbeiter. Unfug! Sozialdemokratien, die glaubwürdig sind, sind dies in beiden Milieus, in den liberal-urbanen und den (post-)proletarischen. Und wenn sie unglaubwürdig sind, sind sie es auch in beiden."

Geduldig resümiert Ian Jack im Guardian all die Artikel - vor allem im Telegraph -, die das Karfreitagsabkommen für Nordirland für obsolet erklären. Erst am Ende seines Artikels hebt er die Stimme: "Stellen wir uns den schlimmsten Fall vor: Würde die britische Armee wirklich nach Nordirland zurückkehren, um das Gesetz durchzusetzen? Würden seine Soldaten Leben und Gesundheit riskieren im Wissen, dass es die Perversion und Eitelkeit ihrer Politiker war, die sie hierher trieb? Noch ein britisches Desaster? "

Emmanuel Macron möchte das Verhältnis des französischen Staats zum Islam regularisieren und schlägt unter anderem eine "Halal"-Steuer auf islamkonforme Produkte vor, aus der dann die Ausbildung der Imame für die französischen finanziert werden sollte. Necla Kelek blickt in der Welt skeptisch auf die Pläne: "Emmanuel Macrons Pläne treffen bei den französischen Islamverbänden einerseits auf Zustimmung, wird ihnen doch gesellschaftliche Anerkennung in Aussicht gestellt, andererseits lehnen sie eine staatliche Einflussnahme auf die Imamausbildung strikt ab. Auch eine mögliche 'Halal'-Steuer stößt auf Ablehnung. Auf die Idee, sich selbst oder ihr Verhältnis zur Republik infrage zu stellen und Reformen anzustoßen, darauf kommen auch die französischen Islamverbände nicht."
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