9punkt - Die Debattenrundschau
Wiederentdeckte Rückwärtsgewandtheit
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Religion
Auch Witze über den Islam können böse Folgen haben, wie wir seit den Mohammed-Karikaturen in Jyllands Posten wissen. Die Karikaturen wurden hierzulande oft scharf kritisiert. In der arabischen Welt riskieren die Leute dagegen Kopf und Kragen für einen Witz, erzählt Mohamed Amjahid auf Zeit online. "Vor wenigen Wochen machte ein Witz die Runde im arabischsprachigen Netz: Ein schwedischer Konvertit wollte in einer Moschee zeigen, dass er ein super Moslem sei. Er schlachtete also ein Schaf und rannte mit dem blutigen Messer in den Gebetsraum. 'Schaut her, liebe Brüder! Jetzt seid ihr dran!', sagte der Schwede. Der Imam antwortete ihm 'Je suis Charlie' und rief die Anti-Terroreinheit herbei. Muslime haben keinen Humor, heißt es. Dabei kann beispielsweise eine türkische Karikatur bissiger und erbarmungsloser sein als alle Folgen der 'Heute Show' zusammengenommen."
Gesellschaft
Kulturpolitik
Ideen
Douglas Martin schreibt in seinem New York Times-Nachruf: "In seiner Sicht stand der islamische Fundamentalismus im Krieg mit dem Säkularismus und der Moderne, die vom Westen verkörpert wurden... Sein wesentliches Argument über den Islam war, dass die islamische Zivilisation seit Jahrhunderten im Verfall sei und Extremisten wie Osama bin Laden erlaubte, die langanhaltende muslimische Frustration durch Unterstützung für den Terror auszubeuten... Sein prominentester Kritiker Edward Said nannte Lewis einen Propagandisten eurozentrischer Ansichten." In der FAZ schreibt Rainer Hermann.
Außerdem: René Scheu liest für die NZZ den neuen, bisher nur auf Englisch erschienenen Essayband des Philosophen Nassim Taleb: "Skin in the Game. Hidden Asymmetries in Daily Life".
Internet
In der Berliner Zeitung kann es Annika Leister kaum fassen, mit welcher Nonchalance deutsche Politiker bereit sind, mit der absurd komplizierten DSGVO die deutsche Angebotswüste im Internet noch mehr auszutrocknen: "In vielen Branchen ist es eben nicht mit dem Wegschließen von Ordnern und der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten getan. Nicht nur bei Fotografen und im Onlinemarketing stellt das Regelwerk die gesamte Arbeit in Frage, wie sie bisher geleistet wurde. 'Ist jetzt illegal, worauf meine Existenz aufbaut?', fragen sich die Betroffenen - und erhalten von Landesdatenschutzbeauftragten und den Zuständigen im Bundestag seit Monaten maximal die dreiste Antwort: Das müssen die Gerichte klären." Wer braucht schon Rechtssicherheit?
Nicht ganz zufrieden waren die EU-Parlamentarier mit dem Auftritt Mark Zuckerbergs in Brüssel, berichtet Zeit online mit Agenturen: "Zuckerberg musste die Fragen erst gesammelt am Ende beantworten, ohne Nachfragen zulassen zu müssen. Zum Ärger einiger Parlamentarier ging er in seinem Abschlussstatement auch nicht auf alle Fragen ein. So sagte er etwa nichts zum Austausch von Daten zwischen einzelnen Plattformen wie Facebook und dem ebenfalls zum Konzern gehörenden Messenger Whatsapp."
Friedhelm Greis schildert bei golem.de das "merkwürdige Format" der Befragung: "Anders als in den Anhörungen vor dem US-Kongress im vergangenen April gab es keine direkte Konfrontation zwischen Abgeordneten und dem Facebook-Chef. Vielmehr trugen die acht Fraktionschefs sowie vier weitere Abgeordnete, darunter der Grünen-Datenschutzexperte Jan Philipp Albrecht, ihre Statements und Fragen nacheinander vor. Danach hatte Zuckerberg die Möglichkeit, auf alle angesprochenen Themen das zu antworten, was Facebook am besten aussehen ließ. Nachfragen waren nicht erlaubt."
Wie Desinformation in sozialen Netzen funktioniert, zeigt Karsten Schmehl in buzzfeed.com beispielhaft an einem Netzwerk von siebzig Twitter-Konten, die systematisch Propaganda für die in Deutschland zum Teil von Kassen bezahlte Homöopathie machen: "Die rund siebzig Bots geben vor, echte Personen zu sein und manipulieren dadurch Diskussionen auf Twitter. Durch gegenseitiges Liken und Retweeten sorgt das Netzwerk dafür, dass Hashtags wie #Homöopathie oder #MachAuchDuMit mit besonders vielen Beiträgen geflutet werden, die sich positiv zu Homöopathie äußern. Davon profitiert unter anderem der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte. Unter den zwanzig erfolgreichsten Tweets des Vereins sind fast ausschließlich Tweets, die durch die verdächtigen Twitter-Profile verbreitet wurden. Menschen, die aufklärend über Homöopathie twittern, werden dagegen von den Profilen systematisch blockiert."