9punkt - Die Debattenrundschau

Nicht die Position der SPD

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.03.2019. Vor der heutigen Abstimmung werden zum letzten Mal Argumente zur EU-Urheberrechtsreform ausgetauscht. Die taz denkt schon weiter: Wie wär's mit einer Kulturflatrate? Der in der SZ interviewte Beck-Verleger Jonathan Beck will Google zumuten, was ihm selbst längst abverlangt wird. Die FAZ weiß, was Nordstream 2 damit zu tun hat. Hpd.de hat ein offizielles Statement der SPD: Man sei an einer Trennung von Staat und Kirche nicht interessiert. Und Wer kleinen Mädchen das Kopftuch verbieten will, stärkt demokratiefeindliche Tendenzen, sagt ein Aufruf.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.03.2019 finden Sie hier

Urheberrecht

Svenja Bergt und Anne Fromm diskutieren in der taz Alternativen zu Uploadfiltern. Eine davon wäre die früher bereits intensiv diskutierte "Kulturflatrate", die nicht mehr über eine Geräteabgabe, sondern durch Internetnutzung erwirtschaft würde: "Pro Internetanschluss würde ein Betrag fällig, der zum Beispiel über einen der unten genannten Wege an die Urheber:innen fließt.  (...) Von Seite der Urheber:innen stellt sich darüber hinaus die Frage: Was wäre ihr Entgegenkommen? Bei Kassetten und CDs war es die Privatkopie, die damit geduldet wurde. Und heute? Wäre jegliche Nutzung im Netz legal? Der Gedanke, dass beispielsweise nicht nur jegliches Sampeln durch andere Musiker:innen sondern auch bislang illegales Filesharing damit straffrei sein könnte, sorgt für Kritik an diesem Modell."

Dass Google gegen Artikel 13 (jetzt Artikel 17) ist, heißt nicht, "dass alles, was Google schadet, automatisch Künstlern hilft", schreibt Alexander Fanta in Netzpolitik in einem abschließenden Kommentar zu der heute anstehenden Abstimmung über das EU-Urheberrecht: "Schon der behauptete Gegensatz 'Konzernmacht gegen die Künstler' ist falsch. Auf beiden Seiten der Debatte um den umstrittenen Artikel 13 stehen Konzerne: Internetgiganten gegen Musik- und Filmindustrie. Vor allem die Rechteinhaber lobbyierten intensiv für die Reform. Das fertige Gesetz, die Urheberrechtsreform, trägt deutlich ihre Handschrift. Kapital kennt keine Grenzen und Konzerne haben keine Heimat. Es hat wenig Belang, ob die Konzerne, die von der Reform profitieren, in Kalifornien sitzen oder in Hannover. Ihr erstes Interesse gilt weder Kunstschaffenden noch Nutzerinnen und Nutzern."

Verleger Jonathan Beck verteidigt im Interview mit der SZ die geplante EU-Urheberrechtsreform. Auch Artikel 13, der Internetkonzerne für die urheberrechtlichen Verstöße ihrer Nutzer haftbar machen will, sieht er gelassen: "Die deutschen Verlage müssen sämtliche Pflichten, die Artikel 13 jetzt auch den milliardenschweren Internetkonzernen auferlegt, schon seit sehr langer Zeit erfüllen. Wir müssen jede Nutzung abrechnen, wir haben Informationspflichten und so weiter. Als Verleger habe ich an Artikel 13 kein wirtschaftliches Interesse, aber es stört mein Gerechtigkeitsempfinden massiv, wenn es heißt, einer milliardenschweren Plattform sei das nicht zuzumuten. Das Content-Erkennungssystem von Youtube hat angeblich 60 Millionen Euro gekostet. Das ist für Google, was 200.000 Euro für meinen Verlag sind, so viel geben wir für eine Software für die Honorarabrechnung schnell aus."

Auf der Wirtschaftsseite der FAZ gibt es einen interessanten Hintergrund zum Gemauschel in der EU im Vorfeld der Reform. Demnach stimmt Deutschland ihr auch deshalb zu, weil Frankreich in der Frage der Gas-Pipeline Nordstream Zugeständnisse gemacht habe, so dass Deutschland bei der Urheberrechtsreform die rigide französische Position unterstützt: "Die Franzosen gehören in der EU traditionell zu den Befürwortern eines sehr strengen Urheberrechts. So ist es in Frankreich sogar verboten, Bilder mit Graffiti oder den beleuchteten Eiffelturm auf Foto-Plattformen hochzuladen. Beides wäre in Deutschland wegen der urheberrechtlichen 'Panoramafreiheit' erlaubt."

Außerdem in der Flut heutiger Artikel zum Thema: Bei heise.de warnt Jörg Heidrich vor Uploadfiltern. In Zeit online sagt der CDU-Politiker Axel Voss, der die Reform maßgeblich betrieben hat: "Was YouTube macht, ist eine Art Enteignung." Die EU-Abgeordnete Julia Reda erklärt nochmal die grundsätzlichen Streitpunkte aus ihrer kritischen Sicht. In der FAZ verteidigt der Filmkomponist Matthias Hornschuh die Reform. Schließlich veröffentlicht das Marta Herford den "Herforder Appell", einen dringenden Aufruf zu einer liberaleren Handhabung von Bildrechten, vor allem auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
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Ideen

Natürliche Dummheit kann weitaus mehr Unheil anrichten als künstliche Intelligenz, versichert die amerikanische Entwicklungspsychologin Alison Gopnik in einem Artikel, den die SZ aus einer der KI gewidmeten Reihe von edge.org übernommen hat. Doch im Augenblick ist die KI noch wesentlich dümmer als ein vierjähriges Kind. Denn Kinder saugen Daten nicht nur auf, sie schlussfolgern auch: "Mein eigener Enkel erklärte mir beispielsweise kürzlich, dass ein Erwachsener, der wieder zum Kind werden wolle, versuchen sollte, kein gesundes Gemüse zu essen: weil gesundes Gemüse ein Kind zum Erwachsenen heranwachsen lässt. Diese Art der plausiblen Hypothesen, die kein erwachsener Mensch jemals anstellen würde, ist für junge Kinder charakteristisch. Meine Kollegen und ich haben systematisch nachgewiesen, dass Kindergartenkinder besser darin sind, unwahrscheinliche Hypothesen aufzustellen, als ältere Kinder und Erwachsene. Wir wissen allerdings fast gar nichts darüber, wie diese Art des kreativen Lernens und der Innovation möglich ist."

In der NZZ denkt Thomas Ribi über das Böckenförde-Dilemma der Demokratie nach.
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Europa

Ach ja, und das Brexit-Spektakel geht auch weiter: "Sie haben ein Weilchen gebraucht", schreibt Tom McTague bei politico.eu, "aber nun haben die Abgeordneten die Kontrolle des Brexit-Prozesses übernommen. In einer Abstimmung spät abends, die weitreichende Konsequenzen haben könnte, stimmten die MPs für einen Plan, der zu 'indikativen Abstimmungen' über Alternativen zum Brexit führen kann."
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Stichwörter: Brexit

Kulturmarkt

Sehr nüchtern schildert das Börsenblatt nach Lektüre der ganz neuen Bilanzzahlen die Krise des Grossisten KNV, beziehungsweise von dessen Holding F. Volckmar GmbH & Co. KG. Der Umsatz lag bei  532,7 Millionen Euro, die Verluste lagen 2017 und 2016 jeweils bei 17 bis 18 Millionen Euro. Und "Die Verbindlichkeiten betrugen Ende 2017 insgesamt 256,627 Millionen Euro und hatten zum allergrößten Teil Restlaufzeiten von bis zu einem Jahr."
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Stichwörter: Knv, Knv-Insolvenz

Internet

Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann hat in der Wikimedia Stiftung einen Vortrag über "Digitale Gesellschaft" gehalten, in dem er auch auf die Wikipedia selbst zu sprechen kommt, die er als Weltwunder der Partizipation mit Problemen darstellt. Interne Probleme sind vielfach angesprochen worden, vor allem dass Newcomer abgewiesen werden. Aber auch das Aufkommen der sozialen Medien hat die Wikipedia getroffen, so Seemann: "Warum das wichtig ist? Wenn die Motivation der Wikipedianer ist, ihr Wissen weiterzugeben, dann stehen all diese Dienste gewissermaßen in Konkurrenz zur Wikipedia. Der wesentliche Unterschied ist allerdings, dass man sein Wissen in Social Networks nicht erst aufwändig gegen eine vorhandene, oft schlecht gelaunte Community rechtfertigen und verteidigen muss. Alles hereingetragene Wissen steht auf Twitter oder Facebook erstmal da und die Communities wachsen dann drumrum. Auf sehr nachvollziehbare Art ist das sehr viel attraktiver als sich mit Wikipedia-Admins rumzuschlagen. Ich jedenfalls habe das immer so empfunden, weswegen ich nie wirklich in die Wikipedia, wohl aber auf Twitter mein digitales Zuhause gefunden habe."
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Politik

Aufklärung tut weh, schließt Farhad Manjoo in der New York Times aus der Nachricht, dass es keinen Beweis für eine Verschwörung zwischen Trump und Putin gibt. "Wir können die Schuld nicht auf Wladimir Putin schieben. Der größte Schrecken in Muellers Befund liegt darin, dass wir keinen Puppenspieler namens Putin brauchten. Wir wissen jetzt, dass in unserer chaotischen Demokratie ein so ungeeigneter Mann wie Trump auf legitime Weise den ungeheuren Machtapparat der Präsidentschaft ganz allein erhalten kann."
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Gesellschaft

Schon vor einiger Zeit hat die Organisation "Terre des Femmes" ein Kopftuchverbot für minderjährige Mädchen vor allem in Bildungsinstitutionen gefordert: Die Mädchen "sollen frei sein für: den Wind in den Haaren und die Sonne auf der Haut, das Wasser an Kopf und Körper beim Schwimmen und Tauchen, spontane Bewegungen beim Spielen und Toben, unverhülltes, selbstbestimmtes Denken und Handeln..."

Dem widerspricht nun ein Kollektiv von Pädogogen und Wissenschaflerinnen beim "Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik": "Nicht zuletzt greift die Forderung nach einem Kopftuchverbot massiv in die menschenrechtlich und grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit ein. Die damit beförderte einseitige Polarisierung der Debatte über den Islam stärkt demokratiefeindliche Tendenzen in der Gesellschaft." zu den UnterzeichnerInnen gehören Micha Brumlik, Naika Foroutan, Lamya Kaddor und viele Islamwissenschaflerinnen, Soziologen und Theologen.

Auch in Österreich wird über das Thema diskutiert. Im Standard schreibt Nina Scholz: "Besser als Gesetze, hört man von den Islamverbänden, seien Aufklärung und innermuslimischer Dialog. Gesetz und Aufklärung sind jedoch kein Gegensatzpaar, beide sind wichtige Instrumente. So zeitigte das gesetzliche Verbot, Kinder zu schlagen, Hand in Hand mit Aufklärung eine gravierende Veränderung der Gesellschaft."

In Medien stößt die Meldung, dass Säkulare in der SPD keinen Arbeitskreis gründen dürfen (unser Resümee), kaum auf Interesse. Im Humanistischen Pressedienst (hpd.de) hakt Gisa Bodenstein glücklicher Weise nach. Und sie hat von der SPD eine umwerfende Antwort erhalten: Natürlich dürfen sich Säkulare bei der SPD engagieren. "Die Nutzung des Logos und des Namens der Partei sei allerdings 'offiziellen Organisationseinheiten und Gremien' vorbehalten - und dazu gehören die 'Säkularen Sozis' nicht. Und dann kommt eine bemerkenswerte Aussage: 'Als SPD bekennen wir uns zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Toleranz in Fragen des Glaubens. Grundlage und Maßstab dafür ist unsere Verfassung. Kernanliegen der 'Säkularen Sozis' ist die strikte Trennung von Kirche und Staat. Das ist eine legitime Position. Es ist allerdings nicht die Position der SPD, so wie es auch nicht die Position des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist. 2011 hat der SPD-Parteivorstand daher die Einrichtung eines laizistischen Arbeitskreises einstimmig abgelehnt."
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