9punkt - Die Debattenrundschau

Nur der Tonfall

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.09.2019. In Südafrika gibt es drastische Ausschreitungen gegen Migranten, in Indien werden Lager für Muslime eingerichtet, die ihre Nationalität nachweisen sollen: Im Observer denkt Kenan Malik über die Universalität des Ausgrenzens nach.  Die Kosten für das "Museum der Moderne" in Berlin sollen sich verdreifachen, Kann es sein, dass die Politik dies aus Rücksicht auf den Sammler Erich Marx hinnimmt, fragt die FAZ. Nein, die Rede Herbert Grönemeyers, die solche Erregung in den sozialen Netzen provoziert, ist nicht faschistisch, sondern antifaschistisch, insitiert Zeit online.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.09.2019 finden Sie hier

Politik

Noch geradezu verständnisvoll klingt Dominic Johnsons taz-Nachruf auf den blutigen simbabwischen Diktator Robert Mugabe: "Als Führer eines militärischen Befreiungskampfes war er nicht nur zielstrebig, sondern er trieb die weiße Minderheitsherrschaft so weit in die Defensive, dass der alten Kolonialmacht Großbritannien gar keine andere Wahl blieb, als ihn als strahlenden Führer einer freien Nation zu akzeptieren. Als Premierminister und dann als Präsident aber erwies er sich als unfähig, das Wohl des Landes vom Wohl der eigenen Person zu trennen. Während Simbabwe in der Krise versank, wurde Mugabe zur korrupten Geisel einer raffgierigen Entourage."

In Südafrika gibt es drastische Ausschreitungen gegen Migranten aus anderen afrikanischen Ländern, die zuweilen zu Lynch-Morden führen. Im indischen Bundesstaat Assam werden Lager für Muslime eingerichtet, die nicht nachweisen können, dass ihre Familien vor 1971 eingewandert sind. Kenan Malik denkt in seiner Observer-Kolumne über die Universalität des Ausgrenzens nach: "Die Ereignisse in Indien und Südafrika sind zwar Folgen der spezifischen Gegebenheiten der Länder. Aber in beiden zeigen sich auch weltweite Tendenzen, in denen Begriffe der nationalen Zugehörigkeit immer enger gefasst, Minderheiten zunehmend ins Visier genommen werden und Einwanderer die Schuld für das Versagen von Politik und Führung tragen müssen."
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Kulturpolitik

Die Kosten für das in Berlin geplante "Museum der Moderne" drohen sich zu verdreifachen. Niklas Maak mag in der FAZ den Dementis von Kulturministerin Monika Grütters nicht recht glauben und vermutet Rücksichtnahme auf den 98-jährigen Sammler Erich Marx, aus dessen Beständen das Museum maßgeblich bestehen soll und dessen große Sorge im Sparen von Erbschaftssteuer zu liegen scheint: "Nach Informationen, die dieser Zeitung vorliegen, gibt es nämlich eine Klausel im Vertrag, die Marx erlaubt, seine Sammlung abzuziehen, wenn nicht bis zum Ende dieses Jahres der Spatenstich für das neue Museum vollzogen wurde. Dreizehn Werke, darunter neun bedeutende Picassos, hat Marx bereits in die gemeinnützige, damit steuerfreie Anthax Collection Marx AG überführt und als Leihgaben an die Schweizer Fondation Beyeler gegeben; seine Liebe zu Berlin ist nicht bedingungslos."
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Ideen

Der Politologe Peter Graf Kielmansegg kritisiert auf der Gegenwart-Seite der FAZ die Diskurse der Klimabewegung als "apokalyptisches Denken": "Für apokalyptisches Denken schlägt die Uhr eben jetzt zwölf. Was geschehen muss, muss ohne jeden Verzug geschehen, augenblicklich. Kein Tag darf mehr verlorengehen. Schließlich: Für apokalyptisches Denken hängt die Legitimität des Handelns immer stärker und am Ende ganz und gar daran, dass es auf das eine und einzige Ziel, das zählt, ausgerichtet ist: die Rettung der Welt. Der alles überragende Rang dieses Zieles verdunkelt den Sinn des komplexen Regelsystems des demokratischen Verfassungsstaates immer mehr, bis es nur noch als Hindernis wahrgenommen wird."

Im Interview mit der SZ plädieren Marina und Herfried Münkler für einen weniger aufgeregten und apokalyptischen Blick auf unsere Demokratie. Statt über unlösbare globale Probleme zu jammern - warum nicht einfach mal da anpacken, wo man ein Problem auch mal lösen kann? Im politischen Prozess schlagen sie Bürgerkomittees vor, deren Beteiligte durch das Los gewählt werden. Vor den Wahlen in Sachsen habe man mit Bürgerversammlungen schon mal ganz gute Erfahrungen gemacht: "Da erfährt man schnell, dass die Menschen bessere öffentliche Verkehrsanbindungen wollen. Da werden Fragen laut: Wie lange kann man den Leuten auf dem Lande eine miserable digitale Infrastruktur zumuten? Wie lange haben die großen Parteien nicht auf die Abwanderungsprozesse im Osten reagiert? Warum sind die Schulen so schlecht ausgestattet? Wichtig wäre aber, dass man solche Unmutsäußerungen in tatsächlich bearbeitbare Projekte überführt, an denen die Bürger sich beteiligen können." Zum Beispiel das Problem zu lösen, dass aus unseren Schulen "jährlich etwa vierzehn Prozent funktionale Analphabeten hervorgehen".
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Europa

Auf eine seltsame Allianz zwischen Nigel Farages Brexit-Party und einer Fraktion, die ursprünglich aus der extremen Linken kam, der Revolutionary Communist Party, weist Nick Cohen in seiner Observer-Kolumne hin. Diese Splitterpartei pflegte einst innigste Sympathien zur IRA und kam in Bedrängnis, als sie in ihrer Zeitschrift Living Marxism die Existenz serbischer Konzentrationslager leugnete und vor Gericht verlor. Eine ihrer Stimmen, Claire Fox, die eine BBC-Debattensendung betrieb, kandidiert heute für Farage. Aus der Zeitschrit Living Marxism der Gruppe um Frank Furedi wurde Spiked online, heute eine scharfe Stimme für den Brexit: "Fox und Freunde mögen eine schauerliche Ergänzung zur Brexit-Partei sein, aber sie sind keine Abweichung. Farage ist mit Steve Bannon, Donald Trump und Matteo Salvini verbündet. Verschwörung ist sowohl ihre Substanz als auch ihr Stil."
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Gesellschaft

Ob faschistisch oder nicht, bei dieser Rede steigt einem die Schamesröte ins Gesicht - aber ist Herbert Grönemeyer nicht irgendwie immer peinlich? Außenminister Heiko Maas hat Grönemeyers Brüllen gegen rechts, das erboste Faschismus-Vergleiche in den sozialen Medien provozierte, jedenfalls verteidigt.


Und auch Johannes Schneider verteidigt diese Rede in Zeit online: "Weil sich in seinem Wortschwall auch die missliche Formulierung findet, es liege nun 'an uns, zu diktieren, wie 'ne Gesellschaft auszusehen hat', ist auch - in Kombination mit dem Tonfall - gleich klar, wie dieses 'Diktieren' hier nur gemeint sein kann: diktatorisch natürlich." Aber "wer gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht von der Feindschaft zur Gruppe der Menschenfeinde unterscheiden kann, dem bleibt nur der Tonfall als Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Harmlosen und dem Gefährlichen"

Viel  diskutiert wird in den sozialen Medien auch ein ZDF-Interview mit Björn Höcke, das Höcke nach zehn Minuten abbrach. Das ZDF stellt es mit Erläuterungen online: "Nach etwa zehn Minuten - vereinbart war ein etwa zehn- bis fünfzehnminütiges Interview - geht Höckes Sprecher dazwischen. 'Das geht so nicht. Sie haben jetzt Herrn Höcke mit Fragen konfrontiert, die ihn stark emotionalisiert haben', sagt er und schlägt vor, das Interview 'noch mal von vorne' zu machen... Eine Wiederholung des Interviews lehnt der ZDF-Redakteur jedoch ab."
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