9punkt - Die Debattenrundschau

Die Liebe zum Grundrecht

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.01.2020. Florian Illies verlässt nach nur einem Jahr den Rowohlt Verlag, die FAZ ruft zum Kehraus nach einer für alle peinlichen Party. Außerdem möchte die FAZ gern die Freiheit der Museen gegen die Ansprüche der Hohenzollern verteidigt wissen. In der Welt ruft Richard Herzinger zu mehr Kampfgeist in den Debatten auf. Auf ZeitOnline berichtet Hasnain Kazim allerdings von Todesdrohungen und Feindeslisten. Und die SZ warnt: Auch bei der Gesichtserkennung ist der größte Feind der Grundrechte mittlerweile die Bequemlichkeit der Bürger.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.01.2020 finden Sie hier

Kulturmarkt

Erdbeben bei Rowohlt. Nach gerade mal einem Jahr als Verlagschef hört Florian Illies wieder auf, für den sehr brutal die beliebte und erfolgreiche Barbara Laugwitz abserviert wurde. Unter anderen meldet dies Mara Delius in der Welt, ohne sagen zu können, wer hier wem zu viel zugetraut hat. Was für eine peinliche Party!, ruft dagegen Sandra Kegel in der FAZ und erinnert noch einmal an Illies' gefeierten Einzug: "Von Holtzbrinck wurde das vorausschauend eingefädelt, mit Verträgen, die lange zuvor unter Dach und Fach waren, und einer Pressearbeit, die es möglich machte, dass Volker Weidermann vom Spiegel nicht nur den spektakulären Wechsel an der Spitze von Rowohlt 'exklusiv' vermelden konnte, sondern gleich auch die Lesart mitgab: Gute Entscheidung! Weil? Laugwitz sei eben nicht präsentabel, 'zu geringe öffentliche Präsenz', und außerdem 'ohne klares verlegerisches Profil'. Während er, Illies, das schon schaukeln werde. So kann man sich irren. Das Fatale ist, dass jetzt alle beschädigt sind. Laugwitz, Rowohlt, Holtzbrinck, Illies."
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Kulturpolitik

In der FAZ ist Andreas Kilb nicht unbedingt glücklich, wie klassenkämpferisch die Linkspartei im Kulturausschuss gegen die Hohenzollern agiert, aber die Monarchiefreundlichkeit der CDU geht ihm auch gegen den Strich. Die Besitzansprüche der Familie setzen die Freiheit der Museen aufs Spiel, warnt Kilb: "Um so wichtiger ist es für den Bund, die Unabhängigkeit staatlicher Museen und Schlösser bei der Darstellung deutscher Geschichte sicherzustellen. Ein Bundesmuseum zum höheren Ruhm des Hauses Hohenzollern darf es vernünftigerweise nicht geben. Aber auch einer hälftigen Besitzteilung der strittigen Bestände, wie sie die Anwälte der Familie vorschlagen, kann die Bundesregierung nicht zustimmen, weil sie damit die geschichtspolitische Position der Hohenzollern bestätigen würde."

Und noch mehr royale Unbill: Gina Thomas kann, ebenfalls in der FAZ, über die Unbedarftheit von Prince Harry und Meghan Markle nur den Kopf schütteln, mit dem sie den Kapitalismus gegen die Monarchie eintauschten: "Der von langer Hand mit Hilfe einer kanadischen Kreativagentur geplante Coup, mit dem es die königliche Familie überrumpelt hat, ist ihm aus den Händen geglitten."
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Medien

NZZ-Autor Reto Stauffacher kann das Gejammer von jungen Influencern nicht mehr hören: Mit ihren Millionen Followern wollen sie das große Geld verdienen, aber wenn ihnen der Unsinn, den sie verzapfen, um die Ohren gehauen wird, dann geben sie die verfolgte 18-jährige Unschuld. Influencer und Influencerinnen sind Profis, meint Stauffacher, und sollten auch so zur Verantwortung gezogen werden: "Cyrill Hauser ist Chief Client Officer bei der Marketingagentur Jung von Matt/Limmat in Zürich und dort Experte fürs Influencer-Marketing. Die Agentur entwickelt Marketingstrategien und -konzepte für Schweizer Unternehmen. Er sagt: 'Ich kenne fast keinen erfolgreichen Influencer, der ohne professionelle Unterstützung arbeitet.'"
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Stichwörter: Influencer

Ideen

Richard Herzinger ruft in der Welt die Verfechter eines wahren Liberalismus dazu auf, mehr Selbstbewusstsein zu zeigen und weniger Weinerlichkeit - gerade auch im harten Meinungskampf: "Auch in Demokratien war es noch nie einfach, sich zu behaupten, wenn man dezidierte, vom jeweils vorherrschenden Mehrheitskonsens abweichende Ansichten vertrat. Doch gerade in dieser Minderheitsposition des Störenfrieds gegenüber eingefahrenen Denkgewohnheiten sollten sich Liberale doch in ihrem eigentlichen Element fühlen. Statt sich über angebliche Einschränkungen ihrer Freiheit zu beklagen, wenn sie mit ihren Argumenten auf geballten Widerstand stoßen, müsste sie das dazu anstacheln, sich umso deutlicher Gehör zu verschaffen."

Auf ZeitOnline schildert der Journalist Hasnain Kazim allerdings, welche Beschimpfungen er täglich aushalten muss: "Früher habe ich solche Zuschriften verdrängt, sie weggeklickt, versucht, sie nicht ernst zu nehmen. Ich habe auch einige Male Anzeige erstattet. Jedes Mal wurde das Verfahren eingestellt. Entweder, hieß es, konnte der Verfasser nicht ermittelt werden - oder er habe einfach behauptet, er sei es nicht gewesen, denn zu seinem Computer hätten mehrere Leute Zugang. Die Masse der Drohungen der vergangenen Monate hat mich aber umgehauen. Sicherheitskräfte haben mich außerdem darüber informiert, dass ich auf mehreren 'Todeslisten' oder 'Feindeslisten' stehe - allerdings nicht von sich aus, sondern nur, weil ich Kontakte habe, die ich fragen konnte."
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Geschichte

Die deutsch-französische Autorin Géraldine Schwarz ermuntert in der Welt dazu, sich auch der eigenen Familiengeschichte zu stellen: "Die Verbrechen des Dritten Reichs haben in vielen deutschen Familien Spuren hinterlassen. Wie meine Großeltern waren die meisten keine Monster, aber durch ihr Mitläufertum haben sie das Dritte Reich in seinem unmenschlichen Unterfangen bestätigt. Ohne sie hätte es vielleicht Auschwitz nicht gegeben. Gerade daher ist das Familiengedächtnis als Ergänzung zur 'großen' Geschichte so wichtig, um die jungen Menschen dafür zu sensibilisieren, wie ein Mensch zum Täter oder Mitläufer werden kann. Die soziopsychologischen Mechanismen bleiben dieselben, die uns durch Apathie, Konformismus, Angst, Blindheit oder Opportunismus zu Komplizen von Verbrechen machen können."

Weiteres: Zum Holocaust-Gedenktag erinnert der DlfKultur mit einer langen Nacht an die Ermordung der europäischen Juden und spürt den Habseligkeiten der Ermodeten nach.
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Überwachung

Angesichts der Einzug haltenden Gesichtserkennung warnt Heribert Prantl in der SZ, dass nicht nur der Exhibitionismus ein Einfallstor für die neue Überwachungstechnologie ist. Der große Feind des Grundrechts auf Anonymität sei inzwischen die Bequemlichkeit, und sie werde bewusst ausgenutzt: "Wenn künftig am Flughafen ein sekundenschneller Check-in für Leute angeboten wird, die sich freiwillig der biometrischen Gesichtserkennung unterwerfen, ein paar Meter daneben aber die Schlangen für den normalen Check-in durch Personalabbau immer länger werden - dann wird die Liebe zum Grundrecht auf eine harte Probe gestellt. Die Gesellschaft muss diese bestehen."
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Europa

"Da, wo das Recht nicht mehr gilt, sind bald auch Freiheit, Würde und Leben nichts mehr wert", bemerkt Stefan Ulrich in der SZ und verweist auf all die Ecken und Enden, an denen die Fundamente bröckeln: Nach Ungarn baut jetzt auch die polnische Regierung den Rechtsstaat ab, Renate Künast muss sich beschimpfen lassen, und das Völkerrecht ist ausgehebelt: "Der Angriffskrieg der USA unter George W. Bush auf den Irak 2003 beruhte bereits auf Lügen über Massenvernichtungswaffen. Russland brach durch die Annexion der Krim 2014 und die Angriffe auf die Ostukraine offen das Gewaltverbot. Wladimir Putins Lügen, etwa über die grünen Männchen, die in Wahrheit russische Soldaten waren, sollten gar nicht mehr geglaubt werden, sondern Rechtsverachtung demonstrieren. Seither gibt es kein Halten mehr."
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