9punkt - Die Debattenrundschau

Darüber zu reden, sei gut

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.02.2014. Die Ermittlungen gegen Sebastian Edathy waren verfassungswidrig, meint die SZ. Die FAZ hat im Prozess gegen buch.de gewonnen und will jetzt Entschädigung für positive Kritikerzitate von Klappentexten: 28.000 Euro für fünfzig Stück. Der Börsenverein warnt jetzt die Verlage: Vorsicht bei allen Kritikerzitaten! In der Welt gibt es wohl auch Homophile. Die Zahl von drei Millarden Zuschauern, die Putins Propagandashow aus Sotschi gesehen haben sollen, ist aus der Luft gegriffen, meint Blogger Host Müller.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.02.2014 finden Sie hier

Überwachung

Es sieht so aus, als hätte Sebastian Edathy nichts Strafbares getan, schreibt Heribert Prantl im Aufmacher des SZ-Feuilletons. Aber der Vorwurf der Kinderpornografie ist (neben dem der Steuerhinterziehung, über die Prantl nicht schreibt) eines der Einfalltore des Überwachungsstaats. Bei Edathy hält Prantl fest: "Die Filme werden auch vom neuen, hochsensibilisierten Strafrecht nicht erfasst. Wenn das aber so ist, dann ist ein monatelanges Ermittlungs- beziehungsweise Vorermittlungsverfahren problematisch. Noch viel problematischer sind die Haus- und Bürodurchsuchungen bei Edathy. Sie sind nicht nur hochproblematisch, sie sind wohl rechts- und verfassungswidrig. Wenn die Filme legal sind, dann gibt es keinen Anfangsverdacht. Wenn es schon keinen Anfangsverdacht gibt, dann erst recht keinen Verdacht, der für eine Durchsuchung ausreicht."

Regina Mönch war für die FAZ dabei, als auf Antrag der Grünen im Parlament über die Massenbespitzelung durch Geheimdienste und Konzerne debattiert wurde. Etwa 20 Schriftsteller, die dagegen protestiert hatten, saßen auf der Zuhörertribüne, berichtet sie: "Eugen Ruge hatte den Eindruck, dass noch längst nicht alle Abgeordneten die Dimension dieses Themas erfasst haben. Damit aber spiegele das Parlament nur die Ratlosigkeit einer Gesellschaft, sagte Michael Kumpfmüller. Sein Eindruck von der Bundestagsdebatte sei, dass keiner bisher wisse, was zu tun sei. Aber darüber zu reden, sei gut."
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Urheberrecht

Vorsicht bei Blurbs, also positiven Kritikerzitaten in Klappentexten und anderswo. Die FAZ hatte gegen buch.de wegen solcher Blurbs prozessiert und vor dem Landgericht München gewonnen. Diese Blurbs seien "urheberrechtlich schutzfähig", urteilten die Richter. Sie sind auch nicht durch Zitatrecht oder Gewohnheitsrecht gedeckt. Die FAZ darf also kassieren - wie sie interessanterweise im Feuilleton meldet. "Über die Höhe der Entschädigung, so haben es die Parteien vereinbart, soll nach dem Urteil neu verhandelt werden." Daraus kann man also wohl schließen, dass sich buch.de dem Urteil fügt und keine höheren Instanzen anruft.

Aber es gab eben doch so etwas wie ein Gewohnheitsrecht, meint Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang auf boersenblatt.de. Er leugnet nicht das Urheberrecht auf die Blurbs, aber "seit es dieses Recht gibt, hat es niemand in diesem Zusammenhang ausgeübt. Stattdessen gab und gibt es ein symbiotisches Miteinander von Buch- und Presseverlagen bei der Verwendung von Rezensionen, von Buchverlagen bezahlte Abteilungen, die als Dienstleister der rezensierenden Medien arbeiten." (Kleine Anmerkung: Ob die Blurbs wirklich schutzfähig sind, hängt eigentlich vom Einzelfall ab. Meist ist die preisende Prosa höchst unoriginell, fällt also nicht unter das Urheberrecht.) Sprang rät den Buchverlagen, auf Blurbs nun weitgehend zu verzichten, oder nurmehr harmlose Kernaussagen zu zitieren. Sonst kann es teuer werden: Die FAZ verlangt laut Sprang von buch.de für 50 Blurbs 28.000 Euro!
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Medien

Drei Milliarden Zuschauer sollen Putins Propaganda-Show aus Sotschi gesehen haben, berichteten Medien nach der Eröffnungsfeier einhellig. Die Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen, meint Medienblogger Horst Müller. "Das wären immerhin knapp 42 Prozent der Gesamtbevölkerung von 7,2 Milliarden, die die Erde nach Angaben der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung am Jahresende 2013 hatte. In Deutschland und den USA war die Sehbeteiligung eher mau. "Fehlen also 'nur' noch 2,96 Milliarden, um auf die kolportierte weltweite Zuschauerzahl von drei Milliarden zu kommen. Vielleicht waren ja die Chinesen eifrige Olympia-Fans? Die hätten allerdings mitten in der Nacht aufstehen müssen."
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Gesellschaft

"Nur weil es eine schwule Hochkultur gibt, ist das Leben als Hetero überhaupt aushaltbar", schreibt Ulf Poschardt in der Welt den heterosexuellen Traditionalisten ins Stammbuch. Und: eine heile Hetero-Welt hat es eh nie gegeben, außer in Nordkorea: "Wo genau Heterosexualität aufhört und Schwulsein anfängt, wird ständig neu ausgehandelt. Frauenzeitschriften sind voll mit sonderbaren Geschöpfen: Schwule, die bevorzugt mit Frauen schlafen, Heteros, die gay-porn-süchtig sind. Kurzum: eine hormonverstellte Unübersichtlichkeit. Über all diesen Fragen schwebt ein hohes Gut: die Freiheit, sich diese Fragen überhaupt stellen zu dürfen und dann beantworten zu können. Schwulenrechte sind ein Gradmesser gelingender Freiheitspraxis in Demokratien."
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Politik

Der Rechtsanwalt und Aktivist Wolfgang Kaleck schreibt über Errol Morris' Interviewfilm mit Donald Rumsfeld, den er selbst wegen Anordnung von Folter strafrechtlich verfolgte, nicht ganz ohne Erfolg, meint er in der SZ: "Immerhin - erste kleine Erfolge in diesen Kämpfen ums Recht gibt es. Donald Rumsfeld, George W. Bush und auch die an den Entführungsflügen beteiligten CIA-Agenten reisen nicht mehr nach Westeuropa. Es laufen oder drohen Strafverfahren gegen sie."
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Weiteres

Ein chinesischer Millardär will vom ältesten Wein der Welt kosten, einem Rüdesheimer von 1653 , der in einem Fass im Bremer Ratskeller lagert, berichtet Roman Bucheli in der NZZ. Der Milliardär bietet angeblich 150.000 Euro für ein Schlückchen. "Der Kellermeister wandte sich an den Bürgermeister; dieser gab die heiße Kartoffel zurück an seinen obersten Weinhüter. Aber wäre ein Verkauf vereinbar mit dem Statut des Weltkulturerbes?"

Außerdem: Ebenfalls in der NZZ findet Hannelore Schlaffer eine ikonografische Tradition der Bildschirmbeleuchtung. In der FAZ plädiert Christoph Stölzl im Interview für einen "Abschied vom Kultur- und Bildungsföderalismus alter Prägung". Nils Minkmar begleitet den EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nach Israel und Palästina. Außerdem hat die FAZ einen Text von Michael Ignatieff aus der Financial Times übernommen, in dem der kanadische Politiker sich einen Gladstone, Teddy Roosevelt oder Bismarck wünscht, der das digitale Zeitalter gestaltet statt nur zu jammern und zu warnen.

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