9punkt - Die Debattenrundschau

Gern eine danseuse

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.06.2015. Sollten wir Bibel und Koran verbieten?, fragt Kenan Malik in seinem Blog. Der populäre Philosoph Markus Gabriel findet in der FR die Idee der Wirklichkeit auch so schon leer. Laut SZ werden die französischen Zeitungen zunehmend zu Spielzeugen der Milliardäre. Die NZZ beugt sich über die albanische Vergangenheit.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.06.2015 finden Sie hier

Ideen

Nein, "Hate Speech" kann nicht einfach verboten werden, meint Kenan Malik in einem Streit mit dem Politologen Brian Carey, den er auf seinem Blog veröffentlicht: "Careys Argument scheint zu sein, dass jede Aussage, die jemand dazu verlanlassen könnte, einen Gewaltakt zu begehen oder jemand anders Schaden zuzufügen, künftig verboten gehört. Folgen wir der Logik dieses Arguments. Viele dschihadistische Gruppen zitieren den Koran, um ihre Gewalt zu rechtfertigen, viele christliche Schwulenfeinde oder Abtreibungsgegner finden ähnliche Begründungen für ihre Taten in der Bibel. Sollten wir darum den Koran oder die Bibel verbieten?"

Im FR-Interview mit Martin Hesse erklärt der Philosoph Markus Gabriel noch einmal seine relativistische Sicht auf die Dinge. Er glaubt nicht, dass es Sätze gibt, die wahrer sind als andere. Und: "Ich bin ein Metaphysik-Kritiker. Wenn man Metaphysik kritisiert, heißt das oft, wir stecken in unseren menschlichen Bezügen fest und können die Wirklichkeit an sich nicht erkennen. Auf diese Weise würde ich Metaphysik nicht kritisieren. Ich würde sagen, die Idee der Wirklichkeit an sich ist leer."

Harry Nutt verabschiedet mit einem große Porträt in der FR Jan Philipp Reemtsma, der am Freitag das von ihn gegründete Hamburger Institut für Sozialforschung verlässt.
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Geschichte

Ein neues Gesetz ermöglicht jetzt auch in Albanien Einsicht in die alten Akten des Geheimdienstes. Mit Blick auf die Untaten des Sigurimi Shqiptar findet Lindita Arapi in der NZZ die Öffnung der Archive überfällig, aber nicht ausreichend: "Das Gesetz, welches das albanische Parlament Ende April verabschiedete, bietet im besten Fall Transparenz, allerdings führt es zu keiner Lustration... Das neue Akten-Gesetz ist das eine. Das andere ist die Ungewissheit über den Zustand der Akten. Wer hat die Akten in der Zwischenzeit kontrolliert, welche Akten haben den politischen Umsturz ohne Schaden überstanden? Werden wir jemals erfahren, wann von wem was manipuliert wurde?"
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Überwachung

Nach Auslaufen der Sektion 215 des US Patriot Act, die der NSA das Sammeln sämtlicher Telefon-Metadaten der Amerikaner gestattete, stellt David Cole im Blog der New York Review of Books trocken fest: "Wenn Edward Snowden nicht die NSA-überwachung der Amerikaner offenbart hätte, dann hätte der Kongress schlicht die Sektion 215 erneuert..., so wie er es sieben Mal seit 2001 getan hatte."
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Stichwörter: Snowden, Edward, Überwachung

Gesellschaft

Höchst empfehlenswert eine achtzigminütige Dokumentation über die Abtreibungspille RU 486 und Abtreibung überhaupt, die gestern Abend auf Arte lief und die zum Beispiel zeigte, dass in manchen amerikanischen Bundesstaaten wie Texas Abtreibung so gut wie gar nicht mehr möglich ist. In der Ankündigung der Sendung heißt es: "Die Kontroverse um die Abtreibungspille wurde bisher nicht auf rein wissenschaftlicher, sondern auf religiöser und ideologischer Grundlage geführt. Dieser Kampf zwischen den Lagern dauert an. In Italien, Spanien und den USA sorgen organisierte Bewegungen dafür, Frauen und Ärzten Schuldgefühle einzureden und abzuschrecken. Auch in Frankreich kämpfen Frauenrechtler gegen eine Opposition, die sich auch vehement auf Demonstrationen gegen die Homo-Ehe zu Wort meldete."

Weiteres: In der FAZ wendet sich Jürgen Kaube gegen eine "von Gerechtigkeitsidealen und Aufstiegsphrasen beherrschte Schulpolitik" in Deutschland, die womöglich erst jene Ungleichheit schaffe, die sie zu bekämpfen vorgibt. Wolf Lepenies erklärt in der Welt Hintergründe zur geplanten französischen Schulreform.
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Medien

Viele französische Medien gehören Milliardären. Jüngst kaufte Bernard Arnault von LVMH die populäre Tageszeitung Le Parisien, erläutert Leo Klimm in der SZ: "Frankreichs Industrielle halten sich gern eine danseuse - eine Tänzerin. So werden im Branchenjargon Medien genannt, an denen sich die Tycoone erfreuen können wie an einer Stripperin. Für einen wie Arnault muss der ohnehin niedrige Preis für Le Parisien erst recht wie ein Schnäppchen wirken: Die kolportierten 50 Millionen Euro Kaufpreis holt der Konzern, gemessen am zuletzt erzielten Nettoergebnis, in drei Tagen wieder rein."

Schade, der Perlentaucher wurde nicht berücksichtigt! Aber die FAZ erhält aus Anlass des Staatsbesuchs des ägyptischen Präsidenten hoffentlich gut bezahlte ganzseitige Anzeigen mit Regierungspropaganda, die aber aussehen wie redaktioneller Text. Ein Weg aus der Zeitungskrise?



Anders als in Deutschland, wo dieses Thema offenbar selbst in der Presse weitgehend gemieden wird, stellt man der BBC in Großbritannien durchaus die Frage, ob sie einen Verband wie die FIFA mit öffentlichen Geldern füttern sollte, berichtet Gina Thomas in der FAZ: "Die BBC erklärte, sie habe die WM-Rechte guten Glaubens erworben. Es sei an der Fifa zu erklären, was der Verband mit dem Geld mache."

In ihrer taz-Kolumne lästert Silke Burmester über den Spiegel, der Arno Breker als "NS-Starbildhauer" titulierte. "Ich nehmen an, dieser Logik zufolge steht Hitler bald als "berühmter Bestsellerautor" und Goebbels als "PR-Gigant" im Blatt."
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Politik

In der taz bemerkt Karim El-Gawhary zu al-Sisis Staatsbesuch in Berlin, dass Europa wieder ganz auf repressive arabische Systeme setzt, als wäre nichts in den vergangenen Jahren geschehen. Aber: "Egal was man von der Muslimbruderschaft hält, sie ist ein Teil der politischen Landschaft der arabischen Welt. Wäre also nicht der einzige effektive Weg, sie durch bessere Alternativen an den Wahlurnen zu besiegen, wie das in Tunesien geschehen ist?"

Marian Brehmer begleitet in der NZZ den Walk of Hope, mit dem einige Dutzend Inder als Zeichen für die Einheit der Religionen auf Tausenden von Kilometern durch das Land wandern wollen: "Das Tempo der Gruppe ist flott. Keiner redet. Abgesprochen ist das weiße Hemd, das alle tragen. Manche halten eine Fahne in der Hand, auf der kreisförmig die Symbole der Weltreligionen angeordnet sind. Das Om-Zeichen, das Kreuz, Halbmond und Stern, der Davidsstern, das Feuer der Zoroastrier und einige andere Embleme."

In der SZ blickt Gustav Seibt vor dem G7-Gipfel in Elmau auf die Geschichte der Fürstentreffen, zu der immer auch die Proteste gehörten: "Gegen Karlsbad und seine Folgen protestierte mit ohnmächtiger Wut das Junge Deutschland."
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