9punkt - Die Debattenrundschau

Ich liebe Blumen!

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.03.2014. Der Guardian erklärt, warum das Referendum über die Krim illegal ist. In der Welt fürchtet Marko Martin allein den Kalten Krieg im Inneren Russlands. taz, FR und NZZ inspizieren in den "Schwarzen Hefte" Heideggers nationalsozialistisches Denken. Die taz beobachtet zudem, wie sich in Syrien unter dem Banner des Antiimperialismus eine rot-braune Allianz formiert. Die FAZ fragt, warum niemand Uli Hoeneß vor seiner Entourage schützte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.03.2014 finden Sie hier

Europa

Lea Brilmayer erklärt im Guardian ziemlich genau, warum das Krim-Referendum illegitim ist. Zum einen verstoße es gegen die Verfassung der Ukraine, zum anderen hängt es einem veralteten sezessionistischen Denken an. Aber vor allem: "Arguments about ethnicity also overlook the central question: who owns the territory that constitutes Crimea? The answer is unambiguous: the Ukraine does. If people living in Crimea want to be Russian citizens, they can move to Russia - and that's the right recourse. By voting for annexation to Russia, these would-be Russians are actually trying to take the territory away from Ukraine to give it to Russia. Their objective - and, of course, Russia's, too - is not just to make these people Russian citizens but to take Ukrainian land, and it cannot be justified by a referendum about the preferences of those who live in Crimea today."

Ganz wie die alten Haudegen seines Hauses scheut Marko Martin keinen Kalten Krieg mit Russland: "Man sollte der Anschuldigung gelassen begegnen: Waren mit solcher 'Haltet den Dieb'-Rhetorik nicht bereits die Proteste gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und die Verhängung des polnischen Kriegsrechts als 'friedensgefährdend' denunziert worden?" Und: "Der kälteste aller Kriege - Lüge, Repression, Vorenthalten bürgerlicher Rechte - er wurde und wird ja im Inneren der Diktaturen und jetzigen Halb-Demokratien in Moskau und Minsk geführt, von der Regierung gegen die eigene Bevölkerung."
Archiv: Europa

Ideen

Micha Brumlik versucht nach Lektüre der "Schwarzen Heften" in der taz zu ergründen, was Heidegger zu seinem durch und durch nationalsozialistischen Denken brachte, das über Anpassung und Opportunismus weit hinausging: Heidegger wollte mit der gesamten biblischen Tradition und dem ganzen begrifflichen Denken der Philosophie seit Platon ausfräumen, das er mit dem Judentum verband, meint Brumlik. "Diese jüdischen Eigenschaften: 'Rechenhaftigkeit' 'Entrassung' und 'Machenschaftlichkeit' gelten ihm schließlich als die wesentlichen Eigenschaften von Bolschewismus hier und englischem Denken dort, von autoritärem Staatssozialismus und Liberalismus. Sie gehören für den Denker aus dem Schwarzwald schon deshalb zusammen, 'weil beide im Wesen dasselbe sind - die unbedingte Entfaltung der Subjektivität in die reine Rationalität'. Beider aber könne sich das 'internationale Judentum', so Heidegger 1941, 'bedienen'. "

In der Berliner Zeitung sieht Dirk Pilz in den "Schwarzen Heften" Heideggers ganze politische und moralische Dummheit: "Den Vulgärnationalsozialisten warf er eine 'hirnlose Berufung' auf Hitlers 'Mein Kampf' vor. Es gab für ihn augenscheinlich auch eine hirnvolle: die seinige."

Uwe Justus Wenzel betont dagegen in der NZZ, dass sich Heidegger auch aus dem nationalsozialistischen Denken herauszuschreiben versuchte, in das er sich hineingeschrieben hatte: "Auch und gerade der, der Heideggers Philosophie nach 'Sein und Zeit' nicht als bloße Ideologie taxieren möchte, sollte sich dafür interessieren, wie nahe philosophisches Denken und geistige Verwahrlosung beieinanderliegen können. Andernfalls droht das Heideggersche Werk im Ganzen dereinst von dem Schwarz der 'Schwarzen Hefte' wie von einem Schwarzen Loch verschluckt zu werden."
Archiv: Ideen

Politik

In Syrien sieht der italienische Friedensaktivist Germano Monti Anzeichen für eine bizarre Allianz von stalinistischen Antiimperialisten und Rechtsextremen, wie er in der taz schreibt: "Diese seltsame Annäherung zwischen Neonazis, katholischen Fundamentalisten, Stalinisten und Pazifisten unter dem Banner des Antiimperialismus ist ein wesentlicher Faktor für die ausbleibende Solidarität mit der syrischen Bevölkerung, zumal im linken Milieu. Diese kleine 'rot-braune Armee' ist außerordentlich aktiv im Netz, mit Seiten und Blogs, die auf den ersten Blick links anmuten. Sie hat es während der letzten drei Jahre geschafft, die Initiative italienischer Solidaritäts- und Friedensbewegungen zu lähmen, indem sie unentwegt das Gespenst eines vermeintlichen Nato-Angriffs auf Syrien und eines zionistisch-salafistischen Komplotts gegen das 'säkuläre, antiimperialistische und sozialistische' Regime des Assad-Clans heraufbeschworen."

In Slate.fr stellt Fanny Arlandis mehrere internationale Fotografen vor, die in dem seit drei Jahren wütenden Bürgerkrieg in Syrien gearbeitet haben.
Archiv: Politik

Gesellschaft

Nils Minkmar konstatiert im Falle Uli Hoeneß, aber auch Philip Seymour Hoffman oder Lance Armstrong, dass sich seit Heinrich VIII. Reiche und Mächtige am allerwenigsten auf ihre Entourage verlassen können, wenn sie vom Weg abkommen: "Im Prozess um das verschwundene Vermögen des Popsängers Elton John versuchte der zu beweisen, dass sein früheres Management seine beträchtlichen Einnahmen verpulvert oder abgezweigt hatte. Die Angeklagten wiederum gaben an, Sir Elton selbst habe durch seinen wahnsinnigen Lebensstil einfach alles ausgegeben. Der Richter war einigermaßen verwirrt und entdeckte in den Akten die Summe von 1,2 Millionen Pfund, die jährlich für Schnittblumen ausgegeben worden war. Sicher sei das eine Scheinbuchung, hinter der sich eine mögliche Veruntreuung verberge, bemerkte der Richter also. Doch der Künstler nahm nun seine Prozessgegner in Schutz. Die Summe sei völlig korrekt und müsse so hoch sein: 'Ich liebe Blumen!'"

Ähnlich hat das gestern auch schon Albert Schäffer gesehen.
Archiv: Gesellschaft

Weiteres

Im Interview mit der Berliner Zeitung beklagt die Kulturstaatsministerin Monika Grütters die "mutlose Schwerfälligkeit des Landes Berlin".

Sven Felix Kellerhoff berichtet in der Welt von den These des Historikers Brendan Simms, demzufolge sich Hitlers Antibolschewismus aus seinem Antisemitismus speiste. Nicht umgekehrt. Zuallererst sei Hitler nämlich Antikapitalist gewesen.
Archiv: Weiteres