9punkt - Die Debattenrundschau

In voller Konsequenz

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.08.2015. Das französische Blog Wheelcome hat die Tierschutzorganisation PETA attackiert, weil sie Tiere mit geistig behinderten Menschen gleichsetzt. PETA hat sich entschuldigt - und bleibt bei dem Zitat, auch in Deutschland, wie wir durch einen Link zeigen. Die Archäologin  Friederike Fless attackiert in der FAZ die Kunsthändler, die gegen das Kulturgutschutzgesetz  wettern. Der Musikologe Sven Fritz weist in der SZ nach, wie unterwandert von Nazis die Bayreuther Festspiele auch nach 1945 waren. Vice zeigt in einem Interview: Es gibt auch Dschihadisten der Revolution im Irak.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.08.2015 finden Sie hier

Gesellschaft

Die radikale Tierschutzorganisation PETA vergleicht Tiere mit geistig behinderten Menschen, hat Wheelcome, das "Blog einer jungen Pariserin im Rollstuhl", herausgefunden. Laut Libération hat sich die Organisation inzwischen entschuldigt - ohne das Zitat bisher zu verändern. Das Zitat findet sich auch auf der deutschen Seite von PETA und zwar in der Antwort auf die erste der FAQ: "Menschen, die die Rechte der Tiere unterstützen, sind der Ansicht, dass wir als Menschen kein Recht haben, Tiere für Nahrung, Kleidung, Unterhaltung, Versuche oder andere Zwecke zu benutzen, und dass Tiere eine Berücksichtigung ihrer ureigensten Interessen verdienen, egal, ob sie niedlich oder für den Menschen nützlich sind, eine gefährdete Art darstellen oder irgendeinem Menschen überhaupt etwas an ihnen liegt (so wie ein geistig behinderter Mensch Rechte hat, selbst dann, wenn er oder sie nicht niedlich oder nützlich ist und keiner ihn oder sie mag.)"



Für die NZZ besucht Aldo Keel, das "Mallorca des Nordens", Island, das als Szenerie für die TV-Serie "Game of Thrones" dient und darum zur touristischen Attraktion wurde.
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Europa

Inga Pylypchuk schreibt in der Welt eine sehr persönliche - und sehr traurige - Liebeserklärung an ihr Land, die Ukraine: ""Warum haben wir so viel Pech?", fragt mich meine Tante. "Erst gerade hat die Perestroika begonnen, dann explodierte Tschernobyl. Dann diese brutalen Neunzigerjahre. Endlich hat das Land zu atmen angefangen, die Menschen konnten sich etwas leisten, da kam die Wirtschaftskrise. Gerade hat sich die Lage etwas stabilisiert, da folgten Revolution und Krieg. Sind wir hier einfach verdammt?" Ich habe keine Antwort auf diese Frage."

Politico.eu und viele andere Medien melden, dass der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow in Russland zu zwanzig Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Ihm und einem weiteren Angeklagten wurde Waffenschmuggel vorgeworfen, was er vehement bestreitet. "Der Prozess ist international höchst umstritten: Die EU und USA hatten die Freilassung beider Männer gefordert, von Menschenrechtlern wurde das Verfahren mehrfach als Schauprozess mit gefälschten Vorwürfen und Beweisen kritisiert", berichtet Spiegel online.
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Kulturpolitik

Sehr kategorisch geht Friederike Fless vom Deutschen Archäologischen Institut in der FAZ mit all jenen Kunsthändlern ins Gericht, die gegen das geplante Kulturgutschutzgesetz protestieren. Und sie trifft den Kunsthandel in einer weichen Flanke, beim Handel mit Raubgut: "Es geht bei dem Gesetzentwurf also nicht darum, den "Kunsthandel mit dem illegalen Markt mit Objekten aus Raubgrabungen" gleichzusetzen, sondern Klarheit zu schaffen, wann eigentlich legaler und illegaler Handel vorliegen, nicht zuletzt, damit auch die Käufer eine Chance bekommen, den illegalen Markt überhaupt zu erkennen, um nicht ein Teil dieses illegalen Handels zu werden. Das ist grundlegender Verbraucherschutz."

Die israelische Kulturministerin Miri Regev (Likud) droht Filmemachern und Theaterregisseuren mit Streichung von Subventionen bei politischem Missfallen ihrer Projekte, berichtet Susanne Knaul in der taz. Nun sehen sich die Künstler in der Kneifzange zwischen linken Antisemiten und der israelischen Regierung: "Das Dilemma der israelischen Filmemacher wächst wegen der antiisraelischen Boykottkampagne. Miri Regevs radikaler Kampf gegen die ihr unbequemen Kulturschaffenden bedrängt die Filmschaffenden von rechts und die Bewegung für "Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen" (kurz: BDS) von links. Während des Filmfestivals von Locarno zum Beispiel unterzeichnete Jean-Luc Godard einen Boykottaufruf gegen Israel."

Das Museum für Zeitgeschichte in Moskau ist renoviert worden, berichtet Julian Hans in der SZ: "Gleich im ersten Raum, dem "Saal der russischen Staatssymbole" begrüßt jetzt Wladimir Putin die Besucher. Ein großer Bildschirm zeigt seine letzte Rede an die Nation in Endlosschleife. Daneben dreht sich in einem großen Glaskasten, von etlichen Halogenlämpchen angestrahlt, der Füllfederhalter, mit dem Putin den Vertrag über den Anschluss der Krim an die Russische Föderation unterschrieben hat."

Nach den Peripetien um die Sammlung Gurlitt fängt nun auch die Sammlung Bührle an, sich mit dem Ursprung einiger ihrer einst doch recht günstig erworbenen Schätze auseinanderzusetzen, berichtet Thomas Ribi in der NZZ.
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Politik

Nicht nur zu den IS-Milizen, auch zu den Kurden melden sich inzwischen Freiwillige aus vielen Ländern, zumeist aus dem radikalen linken Spektrum. Felix Huesmann interviewt für Vice einen jungen Deutschen, der ins Kriegsgebiet gereist. Er stellt sich als eine Art Dschihadist ohne Gott dar: "Das klingt komisch, aber für mich war immer klar, dass ich als Revolutionär der Revolution untergeordnet bin. Das ist schwer auszudrücken, ohne dabei völlig pathetisch zu klingen, das ist ein sehr pathetisches Thema. Aber so ist das. Ich war bereit, mich da unterzuordnen und sowohl bereit zu töten, als auch dort zu sterben. Für mich war das selbstverständlich: Wenn ich dahin gehe, dann muss ich das in voller Konsequenz tun."
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Religion

Die katholische Kirche in Spanien hat so ihre Schwierigkeiten mit dem islamischen Urspung vieler ihrer Bauten, etwa in Cordoba, schreibt Marian Brehmer in der NZZ: ""Mezquita" (Spanisch für "Moschee"), so wird das Wahrzeichen von Córdoba gemeinhin genannt. Doch die Verwirrung fängt beim Blick in die Info-Broschüre an, die am Eingang ausliegt. "Kathedrale von Córdoba" steht dort in großen Lettern. Das Wort "Moschee" taucht nur in einem kurzen Absatz auf, in dem von einer "islamischen Intervention" die Rede ist."
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Stichwörter: Dialog der Religionen

Kulturmarkt

Was Ebooks angeht, sind deutsche Verlage eher Getriebene als Gestaltende, stellt Marcella Melien in einer interessanten Reportage für die FAZ fest. Immerhin probieren seit einiger Zeit auch die Qualitätsverlage das neue Format aus - nicht nur mit elektronischen Ausgaben von Hardcovern, sondern auch mit Büchern, die von vornherein nur als Ebooks geplant sind. Rowohlt zum Beispiel hat seit Juni 2013 "zwanzig reine E-Book-Titel" veröffentlicht: "Erzählungen, Reportagen und Manifeste mit Umfängen von zwölf bis dreihundert Seiten. Die Preise liegen zwischen 0,99 und 4,99 Euro." Das ist allerdings noch viel Luft drin!

Die Schweizer Buchverlage leiden unter der Frankenaufwertung, berichtet Roman Bucheli in der NZZ: "Die Umsätze im Buchhandel gingen im ersten Halbjahr 2015 hauptsächlich währungsbedingt um rund sechs Prozent zurück." Erleichterung bringen soll eine staatliche Verlagsförderung in Höhe von insgesamt zwei Millionen Franken jährlich.
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Geschichte

Zwar veschweigt das neu präsentierte Wagner-Museum in Bayreuth nicht die Rolle Bayreuths in der Nazizeit - aber die Aufarbeitung ist bei weitem noch nicht zuende, wenn man Florian Zinneckers Interview mit dem Houston-Stewart-Chamberlain-Biografen Sven Fritz in der SZ liest, der in Bayreuth geforscht hat und ein wahres Netz von Altnazis aufgedeckt hat, die nach 1945 dort tätig waren: "Bayreuth hat zwar versucht, sich künstlerisch eine neue Ausrichtung zu geben. Gleichzeitig wirkten die alten Kräfte weiter, vor allem im Umfeld Winifred Wagners, die in Wahnfried ehemalige NS-Größen um sich versammelte, beziehungsweise die Witwen derer, die nicht mehr lebten."

Jetzt übrigens online: Sloterdijks Bayreuth-Text aus der Zeit (unser Resümee).
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