9punkt - Die Debattenrundschau

Kampfanzug des Islamismus

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.08.2016. In Europa wird über Religion gestritten - allerdings nur über die eine. Ilija Trojanow glaubt in der FAZ, dass der Salafismus nur mit einer milderen Form des Islams, dem Sufismus, bekämpft werden könne. Ebenfalls in der FAZ erklärt der CDU-Politiker Jens Spahn, warum die Burka seiner Ansicht nach keinen Platz in Deutschland hat - und ist sich einig mit einer Reihe von Autorinnen und Autoren wie Monika Maron und Bassam Tibi, die in einem Aufruf ein Verbot der Burka fordern. Außerdem: Überall wird Ernst Nolte gewürdigt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.08.2016 finden Sie hier

Europa

In der FAZ erklärt der CDU-Politiker Jens Spahn, warum die Burka seiner Ansicht nach keinen Platz in Deutschland hat: Freiwillig trägt sie wohl kaum jemand. "Eindrucksvolles Beispiel waren gerade jüngst die Bilder der Frauen, die voller Begeisterung ihren Gesichtsschleier verbrannten, nachdem die Stadt Manbidsch von islamischen Dschihadisten befreit wurde." In der taz sekundiert Ulrich Schulte: "Die Konservativen haben in einem wichtigen Punkt recht. Denn eins ist wirklich nicht zu bestreiten: Burka und Niqab stehen für einen illiberalen und reaktionären Islam, der Frauen unterdrückt. Der Stoffkäfig degradiert Frauen zu gesichtslosen Wesen, er lässt sie aus dem öffentlichen Raum verschwinden - denn den sollen bitte schön die Männer dominieren. Um diese Tatsache darf sich, wer progressiv denkt, nicht herumdrücken."

Eine Reihe bekannter Autorinnen und Autoren, darunter Monika Maron, Eva Quistorp, Helke Sander, Bassam Tibi fordern ein Verbot der Burka in Deutschland: "Der Druck zur Vollverschleierung geht vielfach nicht nur von Männern, sondern auch von davon überzeugten Frauen aus. Die Vollverschleierung greift letztlich alle Frauen der Gesellschaft in ihrer Würde an und wirbt für einen extremen, frauenfeindlichen Islam. Sie ist der 'Kampfanzug des Islamismus' (Saïda Keller-Messahli, Schweizer 'Forum für einen fortschrittlichen Islam')."

In Frankreich tobt unterdessen "the great Summer Burkini Battle", schreibt Pierre Briançon in politico.eu und zitiert den französischen Premierminister Manuel Valls, der dem Burkini-Verbot in Cannes in der Regionalzeitung La Provence zustimmt. Der Burkini sei "Instrument eines politische Projektes, eine Gegengesellschaft mit versklavten Frauen zu schaffen".

Außerdem: Der litauische Schriftsteller Marius Ivaškevičius erzählt auf faz.net von seiner Reise ins zwischen Ukraine und Russland umstrittene Gebiet Luhansk: "Auf dieser Fahrt hörte ich zum ersten Mal das Wort 'Depressionszone'. So nannte der junge Informatiker Igor diese Gegend." Anlässlich der Kritik an der doppelten Staatsbürgerschaft hört sich Deniz Aykanat für die SZ unter Deutschtürken mit zwei Pässen um. In der NZZ singt Marion Löhndorf ein kleines Loblied auf den britischen Humor.
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Religion

Nicht der Säkularismus, nein, der Sufismus ist der größte Feind des von Saudi-Arabien unterstützten Salafismus, glaubt Ilija Trojanow in der FAZ und widerspricht damit Stefan Weidner, der kürzlich in der SZ den Sufismus als eine Art New-Age-Bewegung abtat, die Westler anzieht wie vor 20 Jahren der Buddhismus (unser Resümee). Trojanow, dem das "Poltern der sogenannten Islamkritiker" widerwärtig ist, findet Weidners Vorwurf "jammerschade. Denn die Sufis sind die wichtigsten Gegner der Fundamentalisten. Wo sich ihr Einfluss hält, wird der Extremismus in Schach gehalten. Wenn aber Salafisten an die Macht gelangen, müssen Sufis um ihr Überleben kämpfen. Gewiss, die Unterstützung von Sufis ist kein Allheilmittel, aber es ist einer der besten Wege hin zu friedlicher Koexistenz, erheblich vielversprechender als die offensichtlich kontraproduktive Politik militärischer Einmischung. Denn die baldige Säkularisierung der islamischen Welt ist eine Fata Morgana."

Die Ethnologin Susanne Schröter, Leiterin des Zentrums Globaler Islam an der Uni Frankfurt, wirft einen Blick auf die Personalstrukturen der Ditib und sieht eindeutige Belege dafür, dass der Moscheenverband keineswegs unabhängig ist wie behauptet, sondern engstens verknüpft mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit gerade auf einem sich radikalisierenden Kurs: "Märtyrer spielen eine gewichtige Rolle im Weltbild von Ditib und Diyanet. Am 14. März 2014 wurde dem Thema eine eigene Predigt gewidmet. Diejenigen, die 'für ihren Glauben sterben, für ihr Land und die Werte, die ihnen heilig sind', lässt sich hier nachlesen, nehmen eine Ehrenrolle vor Gott und den Menschen ein. Um auch Kinder vom großen Glück des Sterbens für Allah zu überzeugen, legte Diyanet jüngst einen Comic auf, in dem ein Vater seinem Sohn erklärt, wie schön es ist, den Märtyrertod zu erlangen."
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Geschichte

Der Historiker Ernst Nolte ist gestorben. Lorenz Jäger vermittelt in der FAZ einen ganz guten Eindruck davon, wo Nolte und seine Theorien herkamen. Über den Historikerstreit 1986 verliert er dagegen kaum mehr als ein Sätzchen. Auf Spon steuert Michael Sontheimer das Thema direkt an und ordnet Nolte als eindeutig rechts ein. In der Welt resümiert Berthold Seewald: "Mit seinen alternativen Entwürfen ist er gescheitert. Aber als 'Geschichtsdenker', als der er sich selbst sah, hat er ein Exempel statuiert, an dem wir uns noch lange die Zähne ausbeißen werden." Weitere Nachrufe von Johannes Willms in der SZ, Arno Widmann in der FR, Bernhard Schulz im Tagesspiegel, Detlef Claussen in der taz, Christoph Jahr in der NZZ.

In der NZZ erinnert Andreas Rüesch an den Augustputsch in Russland 1991 und zieht eine ernüchternde Bilanz: Die Demokratie konnte in Russland keine Wurzeln schlagen. "Das düstere Fazit lautet, dass die russischen Bürger vor 25 Jahren mehr politischen Pluralismus, Versammlungsfreiheit und Pressevielfalt genossen, als sie dies heute tun. Doch damit nicht genug: Die Putschisten erscheinen heute keineswegs mehr als große Verlierer. Die meisten erfuhren noch zu Lebzeiten eine völlige juristische und politische Rehabilitierung. Gewiss, die Sowjetunion konnten sie nicht wiedererwecken. Aber ihre autoritäre Weltsicht ist heute nicht verpönt, sondern Teil der Staatsideologie." In der taz diagnostiziert Klaus-Helge Donath: "Die Erinnerung schwindet. Umfragen zufolge kann nur die Hälfte der Bürger das Geschehen noch zuordnen."

Außerdem: Barbara Möller besucht für die Welt das "Objekt 74" an der Spree, in dem die Stasi RAF-Terroristen der zweiten Generation eine Verschnaufpause bot.
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Ideen

In der NZZ ist der Philosoph Jan-Werner Müller leise entsetzt über die Leichtigkeit, mit der AfD-Wählern, Trump-Fans oder Brexit-Befürwortern unterstellt wird, sie seien im Grunde ressentimentgetriebene Schwächlinge, die von Populisten verführt würden: "Wollen wir wirklich so über andere Bürger in der Demokratie reden? Der Gemeinplatz vom Ressentiment schafft Raum für längst überholt geglaubte Vorurteile über 'die Massen', welche sich stets von ihren Gefühlen leiten und dann von Populisten verführen lassen. Statt in Form von vermeintlich wohlmeinenden psychotherapeutischen Diagnosen de facto ein vernichtendes Urteil über die Wähler populistischer Parteien zu fällen, gilt es, nach den Gründen dafür zu fragen, warum populistische Politikangebote überhaupt attraktiv sein können."
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Medien

Thomas Fischer, Richter am BGH und Blogger bei der Zeit, musste von Journalisten viel, ähm, Schelte einstecken, weil er in einem Interview die Gerichtsberichterstattung in deutschen Medien als oft "grottenschlecht" beschrieben hatte (mehr hier). Auf kress.de zeigt er seinen Kritikern die Zähne: "Journalisten haben, da stimme ich Herrn Jahn zu, einen berufsbedingten 'Hang zur Wichtigtuerei und zur Selbstgefälligkeit'. Sie gefallen sich in Larmoyanz, wenn es um die geringste Kritik an ihren eigenen Fehlleistungen geht, meinen aber zugleich, jeder Tag, an dem sie nicht fünf angebliche Fehlleistungen anderer Menschen öffentlich anprangern, sei ein verlorener Tag für den Pulitzerpreis."

Weiteres: Gawker schließt nächste Woche, meldet JK Trotter bei Gawker selbst - die Reakteure werden in anderen Medien der Gruppe, die jüngst verkauft wurde, weiterarbeiten. Ob das Boulevard-Blog, das von Peter Thiel in einer juristischen Kampagne bekämpft wurde, in irgendeiner Form später weitermacht, ist unklar.
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