9punkt - Die Debattenrundschau

Ein ganzer Strauß von Alternativen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.09.2017. Die New York Times zeigt, wie russische Organisationen auf Facebook für Donald Trump Wahlkampf machten. Correctiv.org recherchiert zu den neuesten Internet-Memes und dem "negative campaigning" der AfD. Netzpolitik geißelt das Schweigen der Bundesregierung zu Videoüberwachung und Gesichtserkennung. Der Guardian bringt einen großen Bericht über das Sterben des britischen Buchhandels - der nebenbei elfmal höhere Unternehmenssteuern zahlt als Amazon. Politico.eu fragt: Hat Emmanuel Macron den Herbst schon überstanden? Und denkt er wirklich so schlecht über Intellektuelle?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.09.2017 finden Sie hier

Europa

Im Interview mit der FR über sein Buch "Europa zuerst!" wundert sich Claus Leggewie, dass Europa im deutschen Wahlkampf überhaupt keine Rolle spielt. Dabei setzen gerade pro-europäische Bewegungen derzeit dem Populismus etwas entgegen. Die Parteien wirken dagegen seltsam kraftlos: "Das Gebaren der Finanzwelt, dann deren Krise haben den Eindruck einer Alternativlosigkeit erzeugt, der für demokratische Politik tödlich ist, weil diese von Alternativen lebt und solche immer wieder hervorbringen muss. Aber gegen den Eindruck, den viele Theoretiker der Postdemokratie geradezu lustvoll erwecken, ist die Demokratie damit nicht am Ende. Die Ökologiebewegung, die Experimente nachhaltigen Lebens, die Improvisationen in den urbanen Ballungsräumen wie auf dem flachen Land haben einen ganzen Strauß von Alternativen hervorgebracht. Es ist ein Jammer, wie eine bestimmte kulturintellektuelle Szene - zum Beispiel die gespreizten doomsday-Diskurse der Kunstbiennalen - sich unpolitisch in der Affirmation des Niedergangs gefällt, statt diese kreativen Aufbrüche zu beflügeln."

Am 1. Januar übernimmt Bulgarien den EU-Vorsitz. Damit werden leider auch einige Politiker der in Sofia mitregierenden Vereinigten Patrioten in Brüssel das Sagen haben, schreibt Harry Cooper in politico.eu. Dabei handelt es sich um eine klar rechtsextreme Partei: "Einer der VP-Führer, Vizepremierminister Waleri Simeonow, beschrieb die Roma einmal als 'wilde Affen'. Ein zweiter Parteiführer, Vizepremier Krassimir Karakatschanow, der als Verteidigungsminister im außenpolitisch Rat der EU mitreden wird, sagte vor kurzem, dass EU und Nato Migranten, die nach Europa wollen, 'zur Not mit Waffengewalt' stoppen sollen. Und ein dritter für die VP-nominierter Regierungspolitiker, der Umweltminister Neno Dimow, der den Umweltrat während des bulgarischen EU-Vorsitzes leiten wird, sagte 2015, dass der Klimawandel 'mehr eine Sache der Manipulation als ernster Sorge ist'."

Hat Emmanuel Macron den gefürchteten "Herbsttest" bestanden? Es ist in Frankreich fast schon ein Ritual, dass zu Begin der Saison gegen Refomprojekte der Regierung prostestiert wird - viele davon wurden so schon zu Fall gebracht. Angesichts von Macrons annoncierten Arbeitsmarktreformen ist das Ausmaß der Mobilisierung entscheidend. Nun gab es erste Demos in Paris und der Provinz, aber "was die Beteiligung angeht, waren diese Proteste kein klarer Erfolg", schreibt Ncholas Vinocur in poltico.eu: "Als der frühere Präsident François Hollande im letzten Jahr eine weniger ambitionierte Arbeitsrechtsreform anging, schätzte die Gewerkschaft CGT, dass 100.000 Menschen ihrem Demonstrationsaufruf in Paris gefolgt waren. Diesmal schätzte die Gewerkschaft die Zahl auf 60.000, obwohl die Polizeischätzung nur bei 24.000 lag."
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Internet

Dass russische Organisationen im amerikanischen Wahlkampf auf Facebook zugunsten von Donald Trump aktiv wurden, wird immer offensichtlicher. Gestern berichtete The Daily Beast über ausländerfeindliche Seiten auf Facebook, die von russischen Trollen gesteuert waren (unser Resümee). Scott Shane hat zu diesen (heute gesperrten) Seiten für die New York Times recherchiert: "Die Seite 'Secured Borders' hat sich monatelang als eine Seite amerikanischer Aktivisten ausgegeben und verbreitete provokative Botschaften auf Facebook - so wurden Einwanderer als 'Dreck' und 'Schmarotzer' bezeichnet, Flüchtlinge wurden mit Verbrechen in Zusammenhang gebracht und Trumps harte Linie beim Thema Immigration wurde gepriesen. Die Seite zog 133.000 Follower an, bevor sie geschlossen wurde."

Correctiv.org berichtet unterdessen, dass sich die AfD die Agentur Harris Media geholt hat, um durch "negative Campaigning" Wählerstimmen zu holen - die amerikanische Agentur berät Rechtspopulisten. "Zu den Themen Merkel, Union und 'Lügenpresse' bietet die Seite merkeldieeidbrecherin.com vorgefertigte Memes, die im Internet verbreitet werden sollen. Alles AfD-Themen, aber die rechtspopulistische Partei gibt sich nur im kleingedruckten Impressum zu erkennen."
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Ideen

Selbst, was die Intellektuellen angeht, schneiden die Deutschen bei Emmanuel Macron anscheinend besser ab als ihre französischen Kollegen. Seit einigen Tagen zirkuliert in Fankreich ein Zitat Macrons, das die französischen Intellektuellen in keinem guten Licht dastehen lässt - aufgebracht hat es Jim Jarrassé in Le Figaro, es stammt aus einem Buch Philippe Bessons über Macron, der also angeblich über die Intellektuellen Folgendes sagte: "Sie interessieren mich nicht besonders. Sie stecken in alten Schemata fest. Sie gucken mit den Augen von gestern auf die Welt von gestern... Die meisten von ihnen haben seit langer Zeit nichts Aufregendes produziert. 'Was schlagen Sie übrigens vor?' Bei dieser Frage ziehen sie sich zurück. Sie lieben die politische Aktion nicht, leben aber davon, sie zu kommentieren, Sie sind zu Leitartiklern geworden. Traurige Geister, die in permanenten Beleidigungen feststecken. Was sie verabscheuen, ist die Idee der Versöhnung. Ich ziehe ihnen wahre Denker vor. Jürgen Habermas, zum Beispiel."
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Überwachung

Das Bundesinnenministerium gibt bisher keine Antwort auf eine Informationsfreiheitsanfrage zu einem Videoüberwachungsprojekt im Berliner Bahnhof Südkreuz. Dort wird mithilfe von freiwilligen Testpersonen Gesichtserkennung getestet. Bis heute verweigert das Ministerium Auskünfte zu dem Projekt, schreibt Constanze Kurz in Netzpolitik: "Weil die automatisierte Erfassung der Passanten und die Verarbeitung ihrer Gesichter in deren Grundrechte eingreift, ist ein Datenschutzkonzept das Minimum, was von den Verantwortlichen zu erwarten ist. Da eine biometrische Auswertung von Gesichtern auch sensible Informationen wie Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand oder gar sexuelle Orientierungen preisgeben kann, ist es nachvollziehbar, dass sich Fragen danach aufdrängen, wer unter welchen Umständen Zugriff auf die Daten hat, sie eventuell weiterverarbeitet und wer sie wann löschen muss."

Außerdem: Jana Anzlinger, Katharina Brunner und Benedict Witzenberger haben für die SZ zusammengetragen, welche Daten deutsche Behörden heute über Sie, lieber Leser, sammeln dürfen. In der FAZ schreibt Axel Weidemann über Studien, nach denen die sexuelle Orientierung oder auch der IQ einer Person qua Gesichtserkennung festgestellt werden könnten. Spiegel online stellt ein Spiegel-Interview mit Edward Snowden auf englisch online.
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Kulturmarkt

Amazon zahlt in Britannien nur ein Elftel der Unternehmenssteuer, die ein traditioneller Buchladen bezahlen muss, berichtet Alison Flood im Guardian, die das wiederum in einem Report des Centre for Economics and Business Research (CEBR) gelesen hat. Tim Godfray, Leiter der Vereinigung der Buchhändler, erklärte auf deren Jahrestagung: "'3 Prozent der Buchläden schließen derzeit jährlich und 275 Städte in UK werden demnächst dank sinkender Umsatzzahlen alle ihre Buchhandlungen verloren haben , wenn nichts unternommen wird. Wir hoffen, dass der Report die Regierung ermutigt, die Buchläden der Nation zu schützen und ihr Gedeihen zu fördern.' Zahlen der Buchhändlervereinigung zeigen, dass es derzeit noch 867 Buchhandlungen in UK gibt. Damit hat sich die Zahl in den letzten elf Jahren fast halbiert. Nach den Zahlen des CEBR stellen Buchläden 24.400 Jobs in UK und zahlen 416 Millionen Pfund an Löhnen. Aber sie werden durch eine 'immer schwierig werdende Handelsumgebung' bedroht, so der Report und benennt Amazons Marktmacht  und -vorteile, Umsatzzahlen und Unternehmenssteuer als Probleme, die die Existenz der lokalen und nationalen britischen Buchhändler bedrohen."

Gut geht's auch dem Bahnhofsbuchhandel und den Presseläden in Deutschland nicht. Seit Monaten streitet der Bundesverband Presse-Grosso mit Verlegern um die Aufteilung der Margen, schreibt Markus Trantow bei turi2 (für das Peter Turi auch den Pressegrosso-Chef Frank Nolte per Video interviewt hat): "Bei den Händlern herrscht Flaute, zwischen 5 und 8 Prozent Umsatz haben die Großhändler in den ersten sechs Monaten 2017 verloren. Nolte sieht weiter einen hohen Fusionsdruck in der Branche. In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Pressegroßhändler von 100 auf unter 50 gesunken, in fünf Jahren könnten es nur noch 20 sein, sagt Nolte."
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Stichwörter: Presse-Grosso, Buchhändler