9punkt - Die Debattenrundschau

Wie ein Ei zerschlagen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.01.2018. Ein neues Buch des Journalisten Michael Wolff sprengt die Allianzen in Washington: Stephen Bannon bezeichnet darin die Russland-Kontakte des Sohns von Donald Trump als "Verrat". Der Guardian und alle anderen Medien berichten. Bülent Mumay berichtet in der FAZ über sexuellen Missbrauch in religiösen Stiftungen in der Türkei - und darüber, wie diese Meldungen unterdrückt werden. Die FAZ zieht die Zahlen des Kriminologen Christian Pfeiffer über Flüchtlingskriminalität in Zweifel.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.01.2018 finden Sie hier

Politik

Ein neues Buch des Star-Journalisten Michael Wolff macht mal wieder Sensation, berichtet unter anderem David Smith im Guardian. Das Buch trägt den bescheidenen Titel "Fire and Fury - Inside the Trump White House". Darin bezeichnet Donald Trumps früherer Kumpel und Stratege Stephen Bannon, der Trump viele Wähler aus dem ganz rechten Lager zugeführt hatte, "das Trump-Tower-Meeting zwischen dem Sohn des Präsidenten und einer Gruppe von Russen während des Wahlkampfs 2016 als 'Verrat' und 'unpatriotisch'…" Bannon prophezeie, dass Geldwäsche zu Tage kommen werde und dass man Trumps Sohn 'im Fernsehen wie ein Ei zerschlagen" werde.

Das New York Magazine bringt eine Leseprobe aus Wolffs Buch, deren Überschrift auf ein anderes Detail aus Trumps Vergangenheit abhebt - er und sein Stab glaubten offenbar ganz fest, dass sie den Wahlkampf niemals gewinnen würden. Zu Beginn schildert Wolff eine Szene während des Wahlkampfs im November 2016: "Auch die Entwicklung der Zahlen in einigen Schlüsselstaaten zu Trumps Gunsten, erschütterten (die Trump-Beraterin) Kellyanne Conway und seinen Schwiegersohn Jared Kushner nicht in ihrer Gewissheit: Ihr unerwartetes Abenteuer wäre bald vorbei. Nicht nur, dass Trump nicht Präsident werden könne, so war sich praktisch jeder im Team sicher, man fand es auch besser so. Praktischerweise musste sich dann auch niemand mit dieser Perspektive befassen."

Bannon und Trump galten eigentlich trotz Bannons Rausschmiss aus dem Weißen Haus im letzten August noch als Verbündete, schreibt Thomas Seibert im Tagesspiegel: "Seit seinem Ausscheiden unterstützt Bannon als politischer Aktivist und Berater rechtspopulistische Parlamentskandidaten, um Trump zu helfen. Doch nun ist die Allianz zwischen dem Präsidenten und seinem Ex-Strategen zerbrochen. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Guardian-Berichts erklärte Trump, Bannon habe bei seiner Entlassung aus dem Präsidialamt 'nicht nur seinen Job, sondern auch seinen Verstand verloren'."
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Religion

Meldungen über sexuellen Missbrauch in religiösen Stiftungen, die immer mehr Einfluss auf das türkische Bildungssystem bekommen, schockieren die Türkei (wenn sie von den Medien nicht gleich wieder unterdrückt werden), berichtet Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne. Und nebenbei feiert die religiöse Heuchelei weiterhin fröhliche Urständ: "AKP-Mitglieder in der für Radio- und Fernsehsendungen zuständigen staatlichen Institution forderten eine Strafe für eine Tanzaufführung von Mädchen zwischen sieben und elf Jahren in Shorts mit folgender Begründung: 'Das reizt die Leute auf.' Den letzten Punkt unter die Woche der Scham setzte dann wieder einmal Ankara. Die staatliche Religionsbehörde erklärte, mit neun Jahren seien Mädchen heiratsfähig!"
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Gesellschaft

Familienplanung oder Bevölkerungspolitik spielt in der deutschen Entwicklungshilfe kaum eine Rolle, klagt Necla Kelek in der NZZ. Statt dessen herrsche die "idealistisch-romantische Vorstellung", mittels Bildung und Arbeit allein sei dem Kontinent auf die Beine zu helfen. Dies ignoriere jedoch "völlig die tatsächlichen lokalen Verhältnisse, die für Frauen von Kinderehen, Frühverheiratung, Genitalverstümmelung, Aids, Kinderarbeit und Kinderhandel geprägt sind. Sie sind die eigentliche Katastrophe Afrikas. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat dies erkannt. 'Es gibt in Afrika viele Familien mit sieben, acht oder neun Kindern pro Frau. Sind Sie sicher, dass dies jedes Mal die Entscheidung der jungen Frauen war? Ich will, dass ein junges Mädchen darüber entscheiden darf, ob sie mit 13 oder 14 heiratet und Kinder bekommt', sagte er am 28. November in einer Rede in Burkina Faso."
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Europa

Christian Geyer wirft dem Kriminologen Christian Pfeiffer in der FAZ arge Heuchelei vor, weil er bei der Präsentation der Zahlen eines Berichts zur Flüchtlingskriminalität im Deutschlandfunk einerseits von einer erhöhten Kriminalität der Flüchtlinge sprach und in seiner Studie selbst darauf hinweist, "dass Gewaltdelikte von Flüchtlingen im Vergleich zu denen von deutschen Tätern mindestens doppelt so oft angezeigt werden und dadurch eine entsprechend erhöhte Sichtbarkeit erreichen".

Ulrike Scheffer  hält im Tagesspiegel nach Veröffentlichung von Pfeiffers Zahlen fest, dass die meisten Fälle nicht Flüchtlinge aus dem Irak oder Syrien betreffen: "Auffällig werden vielmehr Flüchtlinge, die eigentlich gar keine sind - junge Männer aus Staaten, in denen die Lebensbedingungen zwar schlecht und die Arbeitslosenzahlen teilweise extrem hoch sind, wo jedoch niemand um sein Leben fürchten muss. Besonders viele Tatverdächtige stammen aus Nordafrika, konkret aus Marokko, Algerien und Tunesien."

Im Interview mit der NZZ denkt der Historiker Andreas Rödder über Deutschland, die EU und Angela Merkel nach, die die CDU in die "Kultur des Regenbogens" eingepasst habe, "die in den letzten Jahren zur hegemonialen politischen Richtung in Deutschland geworden ist", dabei jedoch keine Rückbindung mehr an große Teile der Bevölkerung habe. Rödder wünschte sich eine ehrlichere Diskussion im Umgang mit Problemen wie der Flüchtlingskrise: Nach 1945 war es das Land mit der größten Zuwanderung in ganz Europa und hat darauf mit dem apodiktischen Satz reagiert: Wir sind kein Einwanderungsland. So kann man natürlich kein konstruktives Verhältnis zu den Zuwanderern entwickeln. Wie so oft in der deutschen Geschichte dominieren bis heute die Extreme. Die einen sagen: "Holt euch euer Land zurück", und träumen von überholten Vorstellungen ethnischer Homogenität. Das ist der AfD-Tonfall. Auf der anderen Seite herrscht ein multikulturelles Wunschdenken, das die deutschen Grenzen am liebsten ganz abschaffen würde und alle Probleme negiert. Zwischen diesen Extremen findet zu wenig offene, problemadäquate Diskussion statt."
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Medien

Georg M. Hafner und Esther Schapira beschreiben in der Jüdischen Allgemeinen einen unbewussten, meist israelbezogenen Antisemitismus in deutschen Medien: "Ein Viertel der Deutschen ist judenfeindlich eingestellt (in Zahlen: rund 20 Millionen Bundesbürger), und es wäre seltsam, wenn das ausgerechnet bei Journalisten anders wäre. Vielen dürfte dabei das eigene Ressentiment kaum bewusst sein, und doch begleitet es ihre Arbeit. "
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Ideen

Die NZZ druckt einen Auszug aus einem Buch ihres ehemaligen Feuilletonchefs Martin Meyer, der der Zeit nachtrauert, in der kaputte Dinge repariert wurden: "Denn kaputt, das war in der Regel nicht hoffnungslos kaputt, zerstört, zu Ende. Es war ein Schwebezustand der Aberration, eines verletzten Innenlebens, eines Bruchs oder Unterbruchs, wie man in der Schweiz ganz treffend sagt, ein vorläufiges Unwohlsein, mitunter eine Frechheit, die dafür zu bezahlen hätte, ein böser Zufall, eine Stockung, etwas Verrenktes oder Verrostetes, Ermüdung von Material, das gesprungene Teil, eine gelöste Verbindung, der Riss im Ganzen, was weiß ich."

Außerdem: Die Zeit druckt einen bisher unveröffentlichten Essay von Hannah Arendt über das Wesen der Revolution: Egal wie sie ausgeht, so Arendt, ihr Wesen ist die "Verwirklichung eines der größten und grundlegendsten menschlichen Potenziale, nämlich die unvergleichliche Erfahrung, frei zu sein für einen Neuanfang".
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Stichwörter: Arendt, Hannah, Riss