9punkt - Die Debattenrundschau

Gott als Machtmittel

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.10.2018. Die SZ wirft Monika Grütters vor, die deutsche Kulturpolitik aus schierer Machtfülle zu lähmen. Alle kannten die Namen, aber keiner hat sie genannt: Stefan Niggemeier erzählt im Freitag, wie Jan Böhmermann seinen Kollegen Oliver Polak in einen antisemitischen Sketch verwickelte. Heute ist es so weit: Die Iren schaffen ihren Blasphemie-Paragrafen ab, freut sich die taz. Libération porträtiert den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky, der Le Monde kaufen will.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.10.2018 finden Sie hier

Kulturpolitik

Kein schmeichelhaftes Bild zeichnet Jörg Häntzschel in der SZ von Monika Grütters, mit der er sich anlässlich des zwanzigsten Jubiläums des Kulturstaatsministeriums getroffen hat. Aus dem Gespräch zitieren darf er nicht, das meiste muss "off the record" bleiben, verrät Häntzschel. Grütters, die allein dieses Jahr über einen Etat von 1,8 Milliarden Euro verfügt und für unzählige Institutionen zuständig ist, erscheint ihm wie eine Herrscherin, die Entscheidungen, etwa über die Vergabe von Posten, am liebsten allein trifft: "Grütters festigt ihre marktbeherrschende Stellung immer mehr, bläht ihren Apparat immer weiter auf. Doch da sie ideologisch so ungreifbar bleibt, da ihre Einmischungen nur strategischer Art sind, und da die 'Zuwendungsempfänger' weiter auf Zuwächse hoffen können, üben sie sich in Duldsamkeit. Politik und Presse sehen nicht so genau hin. Kultur ist gut, mehr Kultur ist besser, wo ist das Problem? (...) Doch es kann nicht richtig sein, wenn es keinen Wettbewerb um wichtige Stellen gibt, wenn Posten heute noch auf Lebenszeit besetzt werden, wenn die besten Köpfe in der deutschen Kultur nicht offen über ihre Arbeit sprechen können, weil sie fürchten, in Berlin sonst nie wieder einen Job zu finden. Die intellektuelle Lähmung ist schon jetzt spürbar."
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Gesellschaft

Der Stand-up-Comedian Oliver Polak beschreibt in seinem Buch "Gegen Judenhass", wie er von einem Moderator und zwei Kollegen in einen antisemitischen Sketch verwickelt wurde, aber er nennt in dem Buch keinen Namen. Die Kollegen spielen in dem Sketch - natürlich strikt ironisch, wie es in Deutschland immer so zugeht -, wie sich vor Polak ekeln. Einer holt Desinfektionsmittel und fragt die anderen: "Habt ihr ihm die Hand gegeben?" Dann besprühen sie sich die Hände. Das Buch hat große Resonanz gefunden, aber Stefan Niggemeier muss sich im Freitag doch über eines wundern: "Die Identität des Moderators wird nirgends verraten. Auch in einem Gespräch in der Welt am Sonntag, in dem es ausführlich um die geschilderte Situation geht, fällt er nicht. Zwar nennt Polak selbst grundsätzlich keine Namen - auch nicht den des Freitag-Verlegers Jakob Augstein, der ebenfalls im Buch vorkommt. Aber dass auch Journalisten in ihren vielen Berichten Jan Böhmermann nicht für das Publikum identifizieren, ist erstaunlich: angesichts der Prominenz, die der ZDF-Komiker erreicht hat, des Aufsehens, das er immer wieder erregt, und der Debatten, die er immer wieder auslöst, auch über Satire und ihre Grenzen. Ein langer Spiegel-Artikel outet zwar den Rapper Haftbefehl als einen der Protagonisten des Buchs, belässt Böhmermann aber im Schutz der Anonymität." Die anderen Beteiligten des Sketechs sind Serdar Somuncu und Klaas Heufer-Umlauf. Der Sketch ist in einer DVD Somuncus festgehalten.

Böhmermann reagiert in einem Tweet, in dem er ebenfalls keine Namen nennt und ohne Rudimente von Selbstreflexion auskommt:


Eine Bewerberin für einen Posten im wissenschaftlichen Dienst des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche hat vor dem Bundesarbeitsgericht Recht bekommen: Dort war sie zurückgewiesen worden, weil sie nicht Mitglied in einer der Kirchen ist, woraufhin sie klagte. Das Urteil ist damit rechtskräftig, schreibt Christian Rath in der taz: "Die Entscheidung betrifft nur diesen Einzelfall. Es dürfte durchaus Arbeitsstellen geben, für die eine Kirchenmitgliedschaft gefordert werden kann. Der EuGH nannte im April drei Konstellationen: Wenn ein Beitrag zum sogenannten Verkündigungsauftrag geleistet wird, wenn 'bei der Bestimmung des Ethos' der Einrichtung mitgewirkt wird oder wenn eine 'glaubwürdige Vertretung der Kirche oder Organisation nach außen' die Mitgliedschaft erfordert." Die Frage, ob eine Stelle aus Kirchensteuern oder Geldern der Allgemeinheit bezahlt wird (was bei der Diakonie die Regel sein dürfte), scheint keine Rolle zu spielen.

Verbote führen in der Kopftuchdebatte höchstens zu Widerwillen bei Muslimen, glaubt in der Welt die in der Türkei geborene Aktivistin Emel Zeynelabidin, die selbst 2005 das Kopftuch ablegte. Stattdessen sollten Muslime zu kritischer Reflexion - auch im Sinne des Kindeswohls angeregt werden, meint sie: "Muslimische Frauen tragen ihre Tücher, weil sie die vorgeschriebene gottesdienstliche Praxis befolgen, die erst mit Beginn der Pubertät verbindlich wird. Das Kopftuch auf den Köpfen von kleinen Mädchen verstößt gegen die religiöse Regel, indem ihnen schon viel zu früh die Rolle der gläubigen, geschlechtsreifen Frau übergestülpt wird. Wäre das dann nicht eine Angelegenheit, der sich Islamische Organisationen annehmen müssten, wenn sie sich als die Repräsentanten des Islams sehen? Warum schauen sie zu, wenn Eltern den ihnen anvertrauten Kinder mit Gott als Machtmittel in ihrer natürlichen Entwicklung Schaden zufügen und den Islam in ein übles Licht rücken?"

Außerdem: #MeToo jetzt auch bei Google: Die New York Times berichtet, wie der Konzern den Android-Gründer Andy Rubin mit 90 Millionen Dollar abfand, nachdem Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen ihn laut wurden.
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Europa

George Soros' Open-Society-Stiftung hat schon seit einigen Wochen ihren Sitz von Budapest nach Berlin verlegt (mehr hier). Nun zieht auch die von der Stiftung finanzierte Universität um - nach Wien, berichtet Lili Bayer in politico.eu. Die ungarische Regierung, so scheint es, hat hinhaltenden Widerstand gegen die Universität geleistet: "Während die Central European University  alle neuen gesetzlichen Anforderungen erfüllte, hat die ungarische Regierung nun seit Monaten die Papiere der Universität, die nötig waren, um in Ungarn zu bleiben, nicht unterzeichnet."

Es gibt Sachen, die schreibt die AfD nicht ins Wahlprogramm, sagt im FR-Interview mit Simon Berninger Franziska Schreiber, die mit "Inside AfD" jüngst ihren Aussteigerbericht veröffentlichte. Sie rät: "Man muss die AfD an den Aussagen ihrer Funktionäre bewerten, wenn aus der Basis niemand widerspricht. Gauland hat zum Beispiel beim letzten Parteitag gesagt, dass ihn die BRD an die letzten Tage der DDR erinnert, dass unsere Regierung ein Regime ist, dass es nicht darum gehen kann, einzelne Politiker auszutauschen, sondern dass das ganze System überwunden werden muss, und dass Sachsen dabei erneut das Herz des Widerstandes sein wird. Das ist die Ankündigung eines Umsturzes - und der ganze Parteitag hat gejubelt. An so etwas sollte man sie messen. Ich halte die AfD mittlerweile nicht für wesentlich unradikaler als die NPD. Aber die AfD ist viel schlauer und taktisch viel besser aufgestellt, juristisch geschulter. Und sie will nicht in den Verfassungsschutzbericht. Von daher hält sie sich ganz haarscharf an der Grenze des verfassungsrechtlich Relevanten."
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Ideen

In der NZZ würdigt der Schriftsteller Felix Philipp Ingold den Philosophen Vilém Flusser als apokalyptischen Vordenker, der bereits vor dreißig Jahren einen "globalen Ruhestand" voraussagte - ein Status, bei dem durch technologische Neuerungen "alle Orte synchronisiert und damit aus der Welt geschaffen" sind: "'Alles ist gleichzeitig und darum raumlos geworden. Durch die Reduktion aller Orte auf einen einzigen Punkt, auf das Hier und Jetzt, vergegenwärtigen sich sämtliche Möglichkeiten - sie werden wirklich.' Die heutigen Kommunikations- und Dislokationsgeschwindigkeiten scheinen die Vergangenheit wie die Zukunft zu verschlingen und lassen sie in 'real time' aufgehen. Flussers vorauseilendes Fazit ist desolat: Mithilfe der Technik (er spricht bereits von 'Telematik') sind wir Heutige 'zum Frieden' gelangt, will heißen - die Welt ist zu einem integralen Ort geworden, wo alles gleich, alles gleichzeitig und alles gleichgültig ist."
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Politik

Paul Ingendaay wirft für die FAZ einen Blick auf Brasilien vor der wahrscheinlichen Wahl des ultrapopulistischen Kandidaten Jair Bolsonoaro: "Auch das Rassismusproblem ist nicht gelöst. Gerade in der Krise erweist sich die Erzählung von der brasilianischen Toleranz als Fiktion: Wie die großen Ballungsräume zeigen, verschanzt sich das weiße Brasilien in klimatisierten Einkaufszentren und überlässt die Straße, die von 18 Uhr an im Dunkeln liegt, dem 'Volk'. Um dabei zu sein, wenn der Umschwung kommt, werden viele aus der Mittelklasse ihre Stimme Bolsonaro geben."

Im SZ-Interview mit Kai Strittmatter erklärt der taiwanesische Außenminister Joseph Wu, weshalb China immer stärkeren Druck auf Taiwan ausübt - etwa indem Privatfirmen dazu gezwungen werden, statt "Taiwan" "Taiwan (China)" zu schreiben: "Der Hauptgrund ist, dass China nicht demokratisch ist. Sie hassen es, dass wir ein Vorbild in Sachen Demokratisierung sind. Wir sind ein Modell, das allen zeigt: Wenn Taiwan demokratisch sein kann, dann könnte China natürlich genauso gut demokratisch sein."
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Religion

Heute ist es soweit, erinnert Ralf Sotschek in der taz: "Die Irinnen und Iren entscheiden heute per Referendum, ob sie den Blasphemie-Paragrafen aus ihrer Verfassung streichen wollen. Das Thema ist brisant: Verhütungsmittel, Homosexualität, Scheidung, gleichgeschlechtliche Ehe, Abtreibung - das alles ist gegen den Willen der katholischen Kirche legalisiert worden. Dieses Mal versucht der Klerus gar nicht erst, die Abschaffung des Blasphemie-Paragrafen zu verhindern."
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Medien

Wer ist Daniel Kretinsky, der tschechische Milliardär, der die renommierteste französische Tageszeitung Le Monde kaufen will, fragt ein ganzes Reporteam in Libération. Als Presseboss scheint er einen guten Ruf zu genießen. Als Unternehmer ist er Spezialist für schmutzige Energie: "In weniger als zehn Jahren hat er sich mit seiner Unternehmensgruppe EPH - Energeticky a prumyslovy holding ein kleines Imperium aus Kohlekraftwerken und Braunkohleminen aufgebaut - im Widerspruch zu den ökologischen Pressionen. Er ist auch fest mit dem russischen Bär Gazprom verbunden: Er kontrolliert Eustream, das letzte, strategisch wichtige Stück der Gas-Pipline, die über die Ukraine in die Slowakei führt, um russisches Gas nach ganz Europa zu transportieren."
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