9punkt - Die Debattenrundschau

Auf schwankendem Gesellschaftsboden

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.02.2019. Viele Medienthemen, heute: Die DuMont-Gruppe plant angeblich, sich von sämtlichen ihrer Zeitungen zu trennen, meldet horizont.net. Die New York Review of Books benennt laut New York Times zwei NachfolgerInnen für Ian Buruma. Apple News ist für Medien ein totaler Flop, berichtet Digiday. Jeremy Corbyn unterstützt jetzt ein zweites Brexit-Referendum - aber laut Guardian hätte die Idee im House of Commons wenig Chancen. Isolde Charim sucht in der taz nach positiven Beispielen einer direkten Demokratie.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.02.2019 finden Sie hier

Medien

Die DuMont-Gruppe plant angeblich, sich von sämtlichen ihrer Zeitungen zu trennen, meldet turi2 unter Bezug auf einen Artikel der Medienjournalistin Ulrike Simon bei horizont.net, der hinter der Paywall steht. Offenbar hatte Simon Einsicht in einen Verkaufsprospekt eines Unternehmensberaters. "Den Unterlagen zufolge plant DuMont, sich vom Kölner Stadt-Anzeiger, dem Express, der Berliner Zeitung, dem Berliner Kurier, der Mitteldeutschen Zeitung und der Hamburger Morgenpost sowie allen Druckereien und Anzeigenblättern zu trennen."

Fast ein halbes Jahr nach Ian Burumas Abgang bei der New York Review of Books hat Rea Hederman, der Verleger der Zeitschrift, zwei neue ChefredakteurInnen ernannt, meldet John Williams in der New York Times: Es handelt sich um die 32-jährige Emily Greenhouse und den 33-jährigen Gabriel Winslow-Yost. Der Autor Daniel Mendelsohn wird zum "Editor at large" ernannt, was auch immer das besagen mag.

Harald Martenstein hat für seine Tagesspiegel-Kolumne jetzt auch das Framing-Papier der ARD gelesen: "Für mich klingt das nach dem Gründungsdokument einer neuen Sekte. Man könnte es alle zwei Stunden im Programm bringen, langsam gesungen von einer schönen Altstimme und begleitet von Streichern, nein: Streichenden."
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Internet

(Via Meedia). Apple News, das bisher nur in Amerika und einigen anderen Ländern existiert, hat sich für die Medien als totaler Flop erwiesen, berichtet Max Willens in Digiday. Die Einnahmen seien minimal. Grund dafür ist, dass die Medien in der geschlossenen Apple-Umgebung keine direkt auf die Nutzer zielende Werbung platzieren können: "Den Publishern gelingt es immer noch nicht, ihre Anzeigeplätze direkt zu verkaufen, sagen Quellen. Drei Medien zitieren das unzureichende user targeting, das es nicht erlaubt, Daten oder IP-Adressen von Dritten zu nutzen, um so ausreichend Werbung auf Apple News zu verkaufen. Ein viertes Medium führt als Grund für die geringen Einnahmen die Inkompatibilität von Apple News mit den aktuellen Verkaufsstrategien der Medien an, die stark auf dem bei Apple verbotenen 'programmatic advertising' beruhen." Mit anderen Worten: Es sind die Medien, die auf dem im Netz von Facebook, Google und anderen betriebenen "Überwachungskapitalismus" beharren.

Die Art der Werbung, der sich Apple News verweigert, betreibt Facebook besonders aggressiv. Hier liefert Ingo Dachwitz bei Netzpolitik sehr nützliche Informationen: "Hast du dich schon mal gefragt, warum dir Facebook so viel Werbung für Dinge zeigt, mit denen du dich in letzter Zeit beschäftigt hast? Ein Erkältungsmittel zur Schnupfenzeit, Outdoor-Kleidung vor dem Wander-Urlaub. Ein Grund für diese Zielgenauigkeit der Werbung ist die so genannte 'Custom Audience'-Funktion des Datenkonzerns. Firmen können mit diesem Werkzeug gezielt jene Personen mit Werbung ansprechen, die kürzlich auf ihrer Webseite waren, ihre App benutzt oder ihren Newsletter abonniert haben." In Bayern wird diese Praxis bereits stark eingeschränkt. Auch auf europäischer Ebene gibt es Bestrebungen gegen diese Art, mit Konsumenten zu verfahren.
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Europa

Jeremy Corbyn macht eine Kehrtwende und hat angekündigt, dass er ein zweites Referendum unterstützt, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Hintergrund ist wohl, dass viele Labour-Abgeordnete mit seinem versteckten Pro-Brexit-Kurs nicht mehr einverstanden sind und weitere Abgeordnete drohen, die Fraktion zu verlassen. Das Dumme ist nur, dass sich die Lage damit nicht klärt. Auf die Frage, ob ein zweites Referendum eine Chance auf eine Mehrheit im House of Commons hätte, antwortet Dan Sabbagh im Guardian: "Wahrscheinlich nicht, auch wenn es keine Gewissheit gibt. Die Abgeordnete  Lucy Powell aus Manchester vermutet, dass mindestens 25 Labour-Abgeordnete ein zweites Referendum schlicht nicht unterstützen würden, egal wie ein Antrag forumliert wäre. Nur eine Handvoll Tories unterstützt ein zweites Referendum, wahrscheinlich weniger als zehn. So bleibt es ohne die Unterstützung von Downing Street sehr unwahrscheinlich, selbst wenn es von Scottish National Party und den Liberalen mitgetragen würde."

Mit Faszination blickt Isolde Charim in der taz auf die Idee des "grand débat national", mit der Emmanuel Macron auf die Herausforderung der Gelben Westen reagiert. Bürger diskutieren auf lokaler Ebene - manchmal ist Macron dabei. Für Isolde Charim ist das eine Form direkter Demokratie, die als eine Alternative zu plebiszitären Katastrophen wie dem Brexit dienen kann: "In Europa wird zurzeit ein großes Paradoxon demokratischer Gesellschaften sichtbar: gut integrierte Gesellschaften konsolidieren sich nicht etwa durch Harmonie, sondern durch Streit - durch begrenzten, produktiven Streit. Polarisierten, gespaltenen Gesellschaften hingegen ist dieser Weg versperrt. Denn Streit auf schwankendem Gesellschaftsboden kann leicht in den Abgrund führen. In solchen akuten Situationen bedarf es eines anderen Mediums der Konsolidierung. Etwa des Gesprächs."

Es gibt in Deutschland eine kulturelle Tradition von rechtem Denken, die sich zeitlich-historisch nachweisen lässt, erklärt der Wirtschaftshistoriker Davide Cantoni im Interview mit Zeit online. "Man sieht, dass es eine starke Korrelation gibt zwischen den Orten, in denen in den Dreißigerjahren vermehrt NSDAP gewählt wurde, und Orten, in denen heutzutage stärker die AfD gewählt wurde. ... Wo die NSDAP erfolgreich war, ist es heute die AfD. Das erklärt natürlich nicht den ganzen Wahlerfolg der AfD. Aber es ist ein wichtiger Faktor, ähnlich wichtig wie andere Erklärungen, die man bislang oft hören konnte:  Arbeitslosigkeit, Verlust von gut bezahlten Jobs im Industriesektor, Unsicherheit wegen der Zuwanderung."
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Gesellschaft

Gleichzeitig mit der katholischen Konferenz über sexuellen Missbrauch veröffentlichte das hessische Sozialministerium zwei Studien über die sexuelle Gewalt an der Odenwaldschule, die noch mehr Schüler betraf als bisher bekannt. Gabriele Lesser erkennt in der taz eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen katholischer Kirche und Schule: die Idee, die Zugehörigkeit als Privileg erscheinen zu lassen. "So verfolgte die Odenwaldschule bis zu ihrer Schließung 2015 einen Bildungsanspruch, der sich komplett von dem 'gewöhnlicher' Schulen unterschied: Schüler*innen und Lehrkräfte lebten im Internat 'in familienähnlichen Wohngruppen' zusammen, eine Idee, die durchaus Charme versprüht: Freiheit, Gleichheit, Lockerheit. Die Botschaft der Schule: Wir hier sind etwas Besonderes. Wem diese Ideale entsprachen und wer monatlich die 2.370 Euro für den Internatsplatz plus Extrakosten für 'schulbegleitende Ausbildungen' aufbringen konnte, der schickte seine Kinder gerne dahin."
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Ideen

Mauern, wohin man blickt - reale und geistige, denn mit der physischen Abschottung, wie Donald Trump sie propagiert, geht auch eine Abschottung im Innern einher, meint der amerikanische Politologe Ian Bremmer im Interview mit der NZZ: "Noch nie habe ich mein Land, die USA, gespaltener erlebt; dasselbe gilt für den Westen insgesamt. Und das, obwohl es der Weltwirtschaft seit der Finanzkrise nie besser ging: 3,9 Prozent Wachstum weltweit, Europa ist nicht mehr in der Rezession, es sieht alles ziemlich gut aus. Allerdings fragen sich eben viele zu recht: Was passiert, wenn die Wirtschaft schwächelt? Wenn die Zinsen steigen? Wenn der Spielraum für Sozialleistungen im Staatshaushalt kleiner wird? Wenn mir alle CEO, die ich kenne, sagen, sie könnten mit weniger Angestellten mehr Geld verdienen? Sie können mir nicht weismachen, dass das gut ausgeht."
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Stichwörter: Bremmer, Ian, Trump, Donald

Kulturmarkt

Die auf Kartellrecht spezialisierte Anwältin Stephanie Pautke erklärt im Interview mit Michael Roesler-Graichen vom Börsenblatt das komplizierte kartellrechtliche Prozedere, das einsetzen würde, falls Akteure wie Libri oder Bertelsmann den insolventen Grossisten KNV übernehmen wollten. Es gäbe für den Insolvenzverwalter auch eine einfachere Alternative: "Natürlich ist es denkbar, dass ein Unternehmen als Käufer auf den Plan tritt, das bisher überhaupt nicht im Buchmarkt aktiv gewesen ist. Oder auch ein Finanzinvestor. Für den Insolvenzverwalter ist die Kartellrechtsfrage insofern relevant, als diese Einfluss auf Faktoren wie Kaufpreis, Transaktionsrisiken und den Zeitfaktor hat. Und warum sollte er dann nicht in Betracht ziehen, das Unternehmen an einen Bieter zu verkaufen, bei dem kartellrechtliche Risiken keine Rolle spielen?"
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