9punkt - Die Debattenrundschau

Baubomben

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.06.2019. Anders als der Berliner Flughafen wird das Humboldt-Forum möglicherweise eröffnet - allerdings im Zustand absoluter Leere, denn die noch nicht funktionierende Klimaanlage gestattet keine Ausstellungen, so die SZ. Die Niederlage der dänischen Rechtspopulisten ist ihr Triumph, so ebenfalls die SZ, denn die Mainstream-Parteien haben jetzt ihre Agenda übernommen. In der Zeit fordert Eva Menasse Zugangsbeschränkungen für die Öffentlichkeit. Den Rest können die dann mundtoten Bürger ja dann gleich über Alexa den Geheimdiensten mitteilen, so die taz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.06.2019 finden Sie hier

Kulturpolitik

Jetzt ist also die Klimaanlage im Humboldt Forum nicht fertig geworden - und damit wird auch die letzte geplante Schau - eine üppige Elfenbeinausstellung -  die zur Eröffnung präsentiert werden sollte, auf 2020 verschoben, seufzt Jörg Häntzschel in der SZ. Dabei hatten zahlreiche internationale Museen schon längst abgelehnt, "ihre kostbaren Elfenbeinstücke in ein Haus zu geben, das sich noch im Bau befindet". Das Humboldt-Forum soll dennoch im November eröffnen - leer, denn auch "das Stadtmuseum und die Humboldt-Universität haben ihre Ausstellungen auf Frühjahr 2020 verschoben. Die beiden oberen Stockwerke, die vom Ethnologischen Museum und vom Museum für Asiatische Kunst bespielt werden, sollen von diesem Zeitpunkt an nach und nach geöffnet werden. Doch auch dieser Zeitplan ist, so sagen viele, nicht zu halten. Denn noch wurde die komplizierte und unter größtem Zeitdruck installierte Haustechnik nie getestet. 'Die Stunde der Wahrheit hat noch nicht geschlagen', so ein Beteiligter. 'Baubomben' könnten weitere Verzögerungen verursachen."

Und auch das inzwischen auf 400 Millionen Euro angewachsene Museumsprojekt des Neubaus der Neuen Nationalgalerie könnte scheitern, schreibt Hanno Rauterberg in der Zeit: "Wer sich umhört hinter den kulturpolitischen Kulissen, wer mitbekommt, wie abfällig und bös dort geredet wird, ohne dass je irgendetwas davon in der Zeitung zitiert werden dürfte, wer also weiß, wie groß der Argwohn ist und wie winzig die Euphorie, dem steht klar vor Augen, dass es mit Deutschlands wichtigstem und gewiss teuerstem Modernemuseum rasch vorbei sein könnte."

Keineswegs sicher ist dagegen, dass der BER im Oktober 2020 eröffnen wird, wie Peter Neumann in der Berliner Zeitung meldet:  "Kein Planer will die Hand dafür ins Feuer legen, dass die Wirk-Prinzip-Prüfung positiv verläuft - darüber entscheiden die Prüfer. Deshalb will auch Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der Berlin in der FBB-Gesellschafterversammlung vertritt, nicht garantieren, dass der Flughafen im Oktober 2020 öffnet. Von einer Garantie wolle er nicht sprechen, sagte er im Beteiligungsausschuss - wohl aber von einem 'zielorientierten Prozess' zur Fertigstellung."

Die Nachricht von der Vertragsverlängerung für Daniel Barenboim an der Staatsoper Berlin gibt dem Berliner Musikleben nicht gerade einen Push, meint Hartmut Welscher. Sein Van Magazin hatte Daniel Barenboims Führungsgebaren zuerst thematisiert (unser Resümee). Schon im März hatte Welscher nach einer Erneuerung gerufen. Nun insistiert er: "Das gerade vorgestellte Programm für die Saison 2019/20 liest sich wie eine uninspirierte Parodie auf die Vorhersagbarkeit konservativer Spielzeitplanung. Die Gastdirigenten und Solisten sind namhaft, aber auch die üblichen verdächtigen musikalischen Freunde Barenboims, die seit Jahren das Programm bestreiten. Das Haus versprüht Hermetik und Traditionalismus."
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Europa

Wer lachen will, muss Marina Hyde lesen, die spitze Zunge des Guardian: "Bald ist er endlich vorbei - der Staatsbesuch, bei dem Trump Britannien behandelte wie eine Moskauer Hotelmatratze. Gott, wir hatten es verdient."

Der Wahlsieg der dänischen Sozialdemokraten ist keineswegs ein Grund zum Jubeln, schreibt Kai Strittmatter in der SZ: Im Kampf um die Wähler aus der Arbeiterschaft habe man in der Migrationspolitik einfach die Agenda der Rechtspopulisten kopiert: "In Dänemark gilt heute als normal (zum Beispiel die Verschickung eines Teils der Flüchtlinge auf eine unbewohnte Insel), was anderswo noch immer undenkbar wäre. Die Niederlage der Rechtspopulisten am heutigen Mittwoch ist also eigentlich die Folge eines großen Triumphes: Mit ihrer immer engstirnigen, manchmal absurden und bisweilen unmenschlichen Agenda haben sie alle anderen angesteckt und Dänemark ein Stück weit nach ihrem Bilde geformt."

Michael Bröning von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ist schon jetzt ganz entflammt: Er rät der hiesigen SPD auf Zeit Online, sich ein Beispiel an den Dänen zu nehmen. Ansonsten könnte es ihnen ergehen wie der Israelischen Arbeiterpartei, die nur noch durch Zusammenarbeit mit kleineren Linksparteien politisch überlebe: "Ein Grund ist der Verlust der traditionellen Stammwählerschaft. Im Zuge des demografischen Wandels verloren die europäisch geprägten traditionellen Kernwähler der Arbeitspartei im Land an Einfluss. Israel wurde zunehmend von Einwanderern aus der Sowjetunion und den Nachkommen orientalischer Juden aus arabischen Staaten geprägt. Die Arbeitspartei vermochte es nicht, mit der sich wandelnden Identität des Landes Schritt zu halten."
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Überwachung

Es kommt, wie es kommen musste: Behören wollen Geräte wie Alexa abhören. Die Politik bereitet entsprechende Gesetzesvorschläge vor. Tanja Tricarico schreibt in der taz: "Neben Polizei und Bundeskriminalamt haben längst schon Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst Begehrlichkeiten angemeldet - oder zumindest nicht ausgeschlossen. Die Geheimdienste sind kaum einem Rechenschaft schuldig. Allenfalls im Parlamentarischen Kontrollgremium könnten Details dann bekannt werden." Mehr hier.
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Politik

Am 11. April wurde der sudanesische Gewaltherrscher Omar Hassan al-Bashir abgesetzt. Es gab einen kurzen Moment demokratischer Hoffnung, der am Montag  durch ein Massaker an Demonstranten von den jetzt herrschenden Generälen beendet wurde, schreibt Dominic Jonson in der taz: "Nun ist der Traum vorerst ausgeträumt. So wie der 4. Juni 1989 in China geht auch der 3. Juni 2019 im Sudan als schwarzer Tag in die Geschichtsbücher ein - als Tag, an dem die Hoffnungen eines ganzen Volkes in Blut ertränkt wurden. Das Militär hat die Revolution gegen das Volk gewendet. Bashir war offensichtlich das Bauernopfer, dessen Ausschaltung den anderen Generälen in Khartum nun hilft, ihre Macht in eine neue Zeit hinüberzuretten - eine Zeit, in der das Volk aber genauso wenig zu sagen haben soll wie bisher schon. Bashir ist weg, sein Gewaltsystem soll bleiben." Den aktuellen Bericht zur Lage im Sudan schickt Ilona Eveleens.
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Stichwörter: Sudan, 4. Juni 1989

Internet

"Ich weiß, wie unpopulär es klingt, aber ich glaube tatsächlich, dass eine funktionierende Öffentlichkeit nur mit gewissen Zugangsbeschränkungen möglich ist", sagt Eva Menasse im Zeit-Gespräch mit Adam Soboczynski, in dem sie dem Internet die Schuld am Niedergang der Öffentlichkeit gibt: "So wie wir jetzt leben, haben wir vor fünf Jahren einfach noch nicht gelebt. Der Riss, der durch die Generationen geht, ist gewaltig. Viele Menschen unter 30 können Ihnen keinen deutschen Verlag mehr nennen und lesen keine Zeitung, die noch die gesamte Gesellschaft adressiert. Sie lesen das, was gerade ihren Interessen in ihrem Milieu entspricht. Die Explosion der veröffentlichten Meinungen hat zu einer Unübersichtlichkeit geführt, die keine großen Schnittmengen in den Debatten mehr zulässt."

Ähnlich sieht es Thomas Bauer, Professor für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Münster, der in seiner in der FAZ abgedruckten Preisrede für den Sachbuchpreis der Wissenschaftlichen Buchpreisrede klagt: "Es möchte jeder überall mitreden können."
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Medien

Der Finanzanalyst François Godard hält es im Gespräch mit Uwe Jean Heuser von der Zeit für sehr gut, dass  der Axel-Springer-Konzern sich von dem Finanzinvestor KKR aufkaufen lassen will: "Wenn Springer mit Bild und Welt etwas Kühnes machen will, dann vielleicht mit diesen Medien im Internet ganz hinter eine Bezahlschranke zu gehen." Dann gibt's aber keine Einnahmen von Google!
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Geschichte

D-Day vor 75 Jahren. Die Agentur Magnum bringt auf ihrer Website einige Fotos von Robert Capa, der die Landung auf Omaha Beach begleitete:




Ulrich Ladurner besucht für die Zeit das Valle de los Caídos, wo General Franco ein gigantisches Mausoleum für sich bauen ließ, das er mit einem 150 Meter hohen Kreuz krönte. Aber seine Überreste sollen umgebettet werden, und seitdem gibt es in Spanien Streit: "Achtzig Jahre nach dem Bürgerkrieg und fast 45 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur hat sich Spanien noch immer nicht mit der Vergangenheit ausgesöhnt. Der Streit um die Exhumierung Francos ist nur der vorläufige Höhepunkt einer langen und schmerzhaften Wahrheitsfindung. Der 'Pakt des Vergessens', den die Politiker in den Siebzigerjahren geschlossen hatten, war mit der Zeit löchrig geworden. Es zeigte sich, dass man den Umgang mit der Geschichte nicht auf Dauer untersagen kann."
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Ideen

Nach dem Anschlag von Pittsburgh sieht der Philosoph Michael Walzer, lange Herausgeber der Zeitschrift Dissent, auch die Juden - so wie die Muslime oder Mexikaner - als Opfer eines christlichen "Rassismus", wie er im FAZ-Gespäch mit Tilman Salomon darlegt: "Mein Eindruck ist, dass die Anschläge das jüdische Bewusstsein noch nicht grundlegend verändert haben. Es gibt eine Sensibilisierung gegenüber dem Ansteigen von weißem christlichen Rassismus und das Gefühl, dass das in Zukunft zu einer richtigen Gefahr werden könnte. Und Donald Trump wird mit dieser Gefahr in Verbindung gebracht. Daher glaube ich, dass bei der nächsten Wahl noch mehr Juden für die Demokraten stimmen werden." Und als was wären in dieser Theorie zum Beispiel schwarze Christen zu bezeichnen, die antisemitisch eingestellt sind?
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