9punkt - Die Debattenrundschau

Allenfalls 20 Millionen echte Demokraten

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.09.2019. Der Historiker Norbert Frei plädiert in der SZ für ein Museum des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Die SPD-Politikerin Lale Akgün plädiert in dem Blog Watch-Salon für eine Trennung von Staat und Kirche in Deutschland. Wusste die Bundesregierung, dass das deutsche Leistungsschutzrecht vom EuGH kassiert werden würde?, fragen Netzpolitik und Berliner Morgenpost. Falls China Demokratieaktivisten in Deutschland attackiert, ist das Sache der Bundesländer, sagt die Bundesregierung laut SZ.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.09.2019 finden Sie hier

Politik

Im FAZ-Feuilleton kritisiert Mark Siemons, ehemals Kulturkorrespondent in Peking, den Hongkonger Aktivisten Joshua Wong: "Wenn Wong heute Solidarität mit Hongkong einfordert, ist keineswegs klar, auf was genau sich die Unterstützung beziehen soll. Was ist mit der Befreiung der Stadt, was mit der Befreiung Chinas gemeint, und mit welchen Mitteln soll der Westen sie bewerkstelligen? Zu dieser Unklarheit gehört auch, dass Wong nichts zu der Gewaltbereitschaft vieler Aktivisten sagt, die in Hongkong selbst heftig diskutiert wird."

Ein Rechercheteam der SZ hat unterdessen herausgefunden, dass China auch in Deutschland massiv gegen Demokratie-Aktivisten vorgeht. Die Autoren zitieren aus eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage, die sie stellten: "Ein Schwerpunkt der Tätigkeit staatlicher chinesischer Stellen in Deutschland, insbesondere der chinesischen Nachrichtendienste, liege 'in der Ausspähung und Bekämpfung von Bewegungen, die aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas ihr Machtmonopol infrage stellen und eine Bedrohung für die nationale Einheit darstellen'. Damit umzugehen sei Sache der Bundesländer." Aha, wenn ein Staat wie China in Deutschland massiv Einfluss nimmt, ist das Sache der Bundesländer?
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Geschichte

Zur Zeit wird in Berlin über ein Denkmal für die Opfer des deutschen Überfalls auf Polen diskutiert. Aber am Askanischen Platz, wo es stehen soll, ist noch viel Platz. Warum nicht dort auch ein Museum des Zweiten Weltkriegs errichten, schlägt der Historiker Norbert Frei in der SZ vor. Das gibt es in ganz Deutschland noch nicht. Dort könnte man ohne - ohne eine Nationalisierung des Erinnerns - "all das Leid und Unrecht dokumentieren, das mit dem Überfall auf unsere polnischen Nachbarn nur begann". Denn, so Frei,  "die deutsche Okkupation in Polen [umfasste] nur einen Vorschein dessen, was nationalsozialistische Großraumplaner für später ins Auge gefasst hatten. Emblematisch für den perspektivischen Wahnsinn des deutschen Rassenimperialismus steht der noch immer wenig bekannte Generalplan Ost, ohne den auch die Besatzungspolitik in Polen nicht zu verstehen ist."

Der Spiegel stellt einen Text Niklas Franks frei online, der großes Aufsehen erregte. Frank, 80,  ist der Sohn Hans Franks, des Generalgouverneurs Hitlers im besetzten Polen also. Und Niklas Franks Text beginnt mit einem finsteren Satz: "Obwohl ich gegen die Todesstrafe bin, habe ich sie meinem Vater immer gegönnt." In der Folge legt Frank dar, warum er die AfD für Wiedergänger der Nazis hält. Und das deutsche Volk für einen Wiedergänger des deutschen Volks: "Hitler baute eine furchtbare Diktatur auf. Das deutsche Volk wehrte sich nicht. Für mich ist klar, warum: Unter den 80 Millionen Deutschen damals und heute waren und sind allenfalls 20 Millionen echte Demokraten, von denen sich höchstens Hunderttausend aktiv für die Demokratie einsetzen. Die übrigen Demokraten grummeln abgeschlafft daheim vor sich hin. Folge: Die schweigende Mehrheit von rund 60 Millionen Deutschen würde sich gegen eine AfD-Diktatur nicht wehren."
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Kulturmarkt

Normseitenhonorare für Übersetzer weiter gesunken, meldet der Buchreport. Die Honorare pro Seite hätten im Schnitt im Jahr 2001 bei 22 Euro gelegen, nun seien sie auf 18,72 Euro gesunken (nachdem sie zwischendrin sogar noch niedriger lagen): "Zwar haben die Übersetzer gesetzlich einen Anspruch auf angemessene Vergütung, viele schrecken aber aus Angst vor Auftragseinbußen zurück. Die überwiegend weiblichen Übersetzer gerieten dadurch in eine prekäre Lage: Mit einem Jahresgewinn von rund 19.000 Euro erzielten Übersetzer laut VdÜ nur 55 Prozent des bundesdeutschen Durchschnittseinkommens. Eine Rente beziehungsweise Rentenerwartung von durchschnittlich unter 700 Euro bedeute für sie, dass sie auch im Alter akut armutsgefährdet sind."
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Medien

Mit dem deutschen Leistungsschutzrecht von 2013, das jetzt vom EuGH kassiert wurde, gab die damalige Bundesregierung dem Lobbydruck der Presseverlage nach. Der EuGH hat bemängelt, dass das Gesetz in Brüssel hätte vorgelegt werden müssen (unser Resümee), schreibt der Medienjournalist Kai-Hinrich Renner in der Berliner Morgenpost. Beteiligt waren damals  das Bundesjustizministerium unter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), das Wirtschaftsministerium unter Philipp Rösler (FDP) und Kulturminister Bernd Neumann (CDU): "Hätte die Bundesregierung wissen können, dass sie das Gesetz der EU-Kommission vorlegen musste? Das hätte sie. Das geht aus einem internen Schreiben eines Referenten Neumanns hervor: 'Ich verstehe, dass hinter der gewählten Auslegung der Richtlinie der politische Wunsch nach möglichst schneller Verabschiedung des Leistungsschutzrechts steht', schrieb er. 'Auf die Gefahr einer späteren Blamage durch die Nichtanwendbarkeit des Gesetzes sollte BMJ', gemeint ist das Bundesjustizministerium, 'aber hingewiesen werden'. Diese Blamage ist nun eingetreten." Als hätten die Verleger es geahnt, haben sie das Leistungsschutzrecht inzwischen auf europäischer Ebene durchgesetzt. Die Verlage könnten wegen des Fehlers der Bundesregierung klagen, aber Renner hält das für wenig wahrscheinlich.

Das Gesetz hatte sich ohnehin als wenig praxistauglich erwiesen, kommentiert Alexander Fanta bei Netzpolitik: "Die deutschen Presseverlage knickten bereits kurz nach Einführung des Leistungsschutzrechts gegenüber Google ein und stimmten der vergütungsfreien Verwendung ihrer Texte zu. In Spanien wiederum drehte das Unternehmen den dortigen Google-News-Dienst ganz ab, um keine Lizenzgebühren entrichten zu müssen. Auf diese erprobte Taktik setzt Google nun europaweit."

Außerdem: Ulrike Simon präsentiert bei horizont.net hoffnungsvolle Nachwuchstalente im Managment der öffentlich-rechtlichen Sender.
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Gesellschaft

"Entweder alle religiösen Symbole rein oder alle raus", sagt die SPD-Politikerin Lale Akgün in einem lesenswerten Gespräch mit Eva Hehemann im Blog Watch Salon: "Das religionsfreundliche System, das in Deutschland immer noch so hochgehalten wird, kann nicht den Muslimen verbieten, was allen anderen erlaubt ist. Der Rechtsstaat kann kein Lex Islam gestalten. Wenn man also nicht will, dass es demnächst muslimische Krankenhäuser gibt, wo der Krankenschwester gekündigt wird, weil sie kein Kopftuch trägt, dann muss man eben auch dafür sorgen, dass an katholischen Krankenhäusern keinem Arzt gekündigt werden kann, weil er geschieden ist."

Ist der Antisemitismus in deutschen Fußballstadien besonders akut? Fabian Scheler unterhält sich in Zeit online mit Florian Schubert, der eine Dissertation zum Thema verfasst hat und das Phänomen als durchaus massiv beschreibt: "Es gibt kaum jüdische Profis, keine jüdischen Vereine in den obersten Ligen, aber es kommt vor, dass Hunderte oder gar mehr Fans zusammen 'Judenverein' brüllen. Das geschieht sonst nirgends, noch nicht mal auf Neonazidemos. Das gibt es nur im Fußball."
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