9punkt - Die Debattenrundschau

Keine sensiblen Themen

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.03.2021. Rupert Murdoch wird demnächst neunzig. Die Financial Times bringt ein großes Portät des Moguls, der Trump möglich machte und dessen Quoten ohne Trump jetzt sinken. Der Historiker Benjamin Zachariah erzählt bei geschichtedergegenwart.ch, wie die indische Regierung die Coronakrise nutzt, um die akademische Freiheit einzuschränken. In der SZ erzählt die ungarische Autorin Krisztina Tóth, wie sie angegriffen wurde, weil sie das Frauenbild eines ungarischen Klassikers kritisierte. Die Rede von einer "interessengeleiteten" Außenpolitik, die sich selbst als illusionslos ansieht, ist selber nur magisches Denken, schreibt Richard Herzinger in seinem Blog.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.03.2021 finden Sie hier

Medien

Rupert Murdoch, der Mann, der Brexit und Trump möglich machte und jüngst den Plattformkonzernen Google und Facebook eine Linksteuer aufzwang, wird in den nächsten Tagen neunzig Jahre alt. Er ist immer noch obenauf, regiert aber ein durch Verkäufe verkleinertes Imperium, schreibt ein Reporterteam in der Financial Times (Link über diesen Tweet). Noch ist nicht klar, wie er das Erbe weitergibt, und "in den letzten Monaten haben sich einige Risse aufgetan. Die Demokraten sind wieder an der Macht. Den Fox News und einer Handvoll prominenter Moderatoren steht ein 2,7-Milliarden-Dollar-Prozess über ihre angebliche Rolle in der Verbreitung der falschen Theorie über gefälschte Wahlen bevor. Donald Trump, das größte Marketing-Tool bei Fox, ruft manchmal noch an. Aber die Quoten sind gefallen, Ergebnis einer ruhigeren Nachrichtenlage und des Zerfallens des konservativen Publikums, das jetzt zum Teil randständige Medien wie Newsmax bevorzugt."

Gina Thomas berichtet in der FAZ über den Krieg, den die Tories und konservative Medienhäuser gegen die BBC führen. Aber die Anstalt ist auch unabhängig davon in der Krise: "Umfragen bestätigen, dass sich immer weniger Zuschauer, insbesondere die den Brexit befürwortende Arbeiterschicht im Norden, von der BBC repräsentiert fühlen. Die Rundfunkgebühr beruht auf dem Prinzip der Universalität: Jeder zahlt und jeder bekommt etwas dafür. Der Sender wird jedoch zunehmend als Domäne eines blasierten, linksliberalen, metropolitanen Gruppendenkens angegriffen, dem es im Getöse über Vielfalt und Inklusivität an Denkvielfalt fehle."

Auch die taz nimmt jetzt Geld von Google und Facebook, meldet die Zeitung in eigener Sache: "Die Summen, die Facebook und Google uns zahlen, sind nicht so hoch, dass wir von ihnen abhängig werden könnten. Auch werden weder Google noch Facebook Einfluss auf die Berichterstattung haben." Ebenfalls in der taz berichtet Anne Fromm über die jüngste Krise des Neuen Deutschland, das die Linkspartei wohl gerne abstoßen würde.

Außerdem: Donald McNeil, den die New York Times feuerte, weil er in einer Diskussion mit Studenten  über das Wort "Negro" dieses Wort ausgesprochen hatte, erzählt in einem allzu epischen vierteiligen Artikel bei Medium seine Version der Geschichte.
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Wissenschaft

Der Trierer Historiker Benjamin Zachariah erzählt bei geschichtedergegenwart.ch, wie die indische Regierung die Coronakrise nutzt, um die akademische Freiheit einzuschränken: "In aller Stille wurde in einer bürokratischen Mitteilung des Bildungsministeriums der indischen Regierung vom 15. Januar 2021 festgelegt, dass alle akademischen Online-Veranstaltungen oder Konferenzen, die an oder mit Beteiligung von staatlich finanzierten Institutionen stattfinden, einer vorherigen Genehmigung bedürfen und beim Außenministerium registriert werden müssen, wobei das Programm auf eine vom Ministerium bereitgestellte Online-Seite hochgeladen werden muss. Bei den akademischen Veranstaltungen dürfen keine inneren Angelegenheiten Indiens, keine sensiblen Themen oder Angelegenheiten der nationalen Sicherheit zur Sprache kommen."
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Europa

In der SZ erzählt die noch merklich gebeutelte ungarische Schriftstellerin Krisztina Tóth, welchen Angriffen sie ausgesetzt ist, seit sie es in einem Interview wagte, das Frauenbild von Mór Jókai, einem Autor des 19. Jahrhunderts, der in Ungarns Schulen noch viel gelesen wird, als nicht mehr zeitgemäß zu kritisieren: In der Orbán-nahen Zeitung Magyar Nemzet sei zu lesen gewesen, "ich sei niemand, unwichtig. Ich hätte nur 15 Minuten Aufmerksamkeit gebraucht. Der Autor schreibt, dass ich wahrscheinlich keine Suppe kochen kann. Können Sie sich vorstellen, dass ein männlicher Autor attackiert wird, weil er kein Auto reparieren kann? Dann legte Zsolt Bayer los, ein bekanntes Fernsehgesicht ... Er redete nicht mal über meine Literatur, betrieb nur Bodyshaming. ... Auf meiner Homepage gingen so viele Beschimpfungen und Beleidigungen ein, dass die Seite zusammenbrach. Ich brauche jetzt eine Administratorin, um die rassistischen und sexistischen Angriffe kontern zu können. Mein Gesicht ist plötzlich überall zu sehen. Ich habe das Gefühl, ich zerbreche. Es ist wie ein Albtraum. Das alles ist gut organisiert, die Angriffe geschehen koordiniert."

In Yasha Mounks Internetmagazin Persuasion übt der spanische Reporter und Kolumnist Maite Rico scharfe Kritik an der rot-roten Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez, den er als linken Doppelgänger von Trump beschreibt. Die Spanier haben ein spektakulär ineffizientes Covid-Bekämpfungsprogramm und einen ebenso spektakulär aufgeblasenen Regierungsapparat: mit 23 Ministern und 1.200 Beratern. Der Chef zeigt derweil ins diktatorische gleitende Züge, so Rico: "Sánchez lügt mit verblüffender Leichtigkeit und schwört dann, gegen 'Fake News' vorzugehen, was anscheinend jede Art von Berichterstattung einschließt, die ihm unangenehm ist. Presseverbände und Reporter ohne Grenzen haben neue Hindernisse für die Presseberichterstattung angeprangert, darunter die Schaffung eines offiziellen 'Komitees gegen Desinformation', das unter anderem verspricht, 'Freiheit und Pluralismus in den Nachrichtenmedien zu untersuchen'. Die schwerwiegendsten Auseinandersetzungen finden im Justizsystem statt. In einem beispiellosen Schritt ernannte Sánchez eine parteipolitische Figur zum Generalstaatsanwalt - ein Posten, der in Spanien unabhängig von der Politik sein soll - und seine Reibereien mit dem Gremium, das die Justiz beaufsichtigt, haben bei der Europäischen Union ernsthafte Bedenken ausgelöst. Vereinigungen spanischer Richter und der Generalrat der Justiz haben die Exekutive beschuldigt, die Gewaltenteilung zu gefährden."

In Frankreich ist Nicolas Sarkozy zu einer Haftstrafe verurteilt worden (die er mit Fußfessel zu Hause absitzen darf, falls er die Revision des Prozesses verliert). Die Strafe ist Symbol für die Schwächung eines Amtes, das seinen Trägern bis vor kurzem absolute Immunität gewährte, auch nach seinem Mandat, schreibt Dominic Johnson in der taz: "In einem modernen Frankreich würde der Staatschef nicht länger über dem Recht stehen, Rechtsbeugung wäre keine normale Begleiterscheinung einer politischen Karriere mehr." Emmanuel Macron hat Frankreich allerdings nicht modernisiert, findet Johnson: "Er hat das zentralistische, autoritäre Herrschaftsmodell der Fünften Republik gestärkt, statt es zu reformieren."

"Vor einem Jahr war kaum vorstellbar, wie rigide die Politik bereit ist, demokratische Grundrechte einzuschränken - und wie sehr sie darüber über Parteigrenzen hinweg einig ist", schreibt Thomas Gesterkamp in der taz. "Freie Berufe gehören für Sozialdemokraten, wie für die Gewerkschaften, ohnehin zum Unternehmerlager. Mehr Kurzarbeitergeld für abhängig Beschäftigte, so helfen wir!" Und die Grünen sind nicht besser: "Das alternativlose Regieren per Verordnung in einer 'epidemiologischen Notlage' befürworten auch Alt-68er, die einst gegen die Notstandsgesetze demonstrierten."
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Politik

Richard Herzinger wendet sich in seinem Blog gegen das Gerede von einer "interessengeleiteten" Außenpolitik, die von politischen Analytikern gern gepriesen wird. Wer Werte oder Moral in der Politik verteidigt, wird von solchen sich als illusionslos gebenden Autoren dann gern als Heuchler beschimpft. Dabei verfallen sie selbst magischem Denken, so Herzinger: "Oft wird nämlich über 'Interessen' so geredet, als stellten sie eine vorgegebene, unbezweifelbare Realität dar, während 'idealistische' Handlungsmotive irreale Konstrukte seien, die allenfalls zur ideologischen Ausschmückung des eigenen, in Wahrheit rein interessegeleiteten Handelns taugten. So wenig wir Menschen aber überhaupt in der Lage sind, eine 'objektive' Welt, unabhängig von unseren Vorstellungen von ihr, zu erkennen, so wenig ist 'das Interesse' ein dem Bewusstsein vorab einprogrammierter Code oder eine metaphysisch vorbestimmte Instanz, der Individuen, Gruppen oder Staaten nur blind Folge leisten müssten, um sich optimale Vorteile zu verschaffen."
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Stichwörter: Geopolitik