9punkt - Die Debattenrundschau

Ein flüssiges Stück anderen Lebens

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.02.2014. Edwy Plenel enthüllt in Mediapart, warum Nicolas Sarkozy 2012 nicht wiedergewählt wurde: sein wichtigster Wahlkampfhelfer 2008 war Gaddafi. Der Freitag feiert Facebook allen Enttäuschungen zum Trotz als globalen Gegenwartsroman. Der deutsche Gegenwartsroman ist in der Tat bildungsbürgerlich brav, aber die Autoren können nichts dafür, meint Olga Grjasnowa in der Welt. Und in der NZZ erinnert sich Oleg Jurjew, was die Olympischen Spiele von 1980 der Sowjetunion brachten: Pepsi-Cola.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.02.2014 finden Sie hier

Politik

Edwy Plenel ist der bekannteste investigative Journalist in Frankreich. Lange war er Chefredakteur von Le Monde und gründete dann das allseits wegen seiner Enthüllungen gefürchtete Internetmagazin Mediapart, das sich fast total hinter seiner Bezahlschranke versteckt. Dieser Artikel war Plenel allerdings so wichtig, dass er ihn freistellte. Die Memoiren des libyschen Politikers Mohamed el-Megarief, die in Frankreich nur in bereinigter Form erschienen, bestätigen, was Plenel vermutete: Gaddafi hat angeblich den Wahlkampf Nicolas Sarkozys im Jahr 2007 unterstützt - mit der bescheidenen Summe von 50 Millionen Euro: "Monsieur el-Megarief sagt, 'er sei sicher, dass Sarkozy die Summe nicht für persönliche Zwcke genutzt hat. Nach dem Wahlkampf gab es weitere Transferts. Es gibt eine Menge Vermutungen über die Summe.'"
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Geschichte

Anlässlich der Winterspiele in Sotschi erinnert sich der russische Schriftsteller Oleg Jurjew in einem schönen Essay in der NZZ an die Olympischen Spiele 1980 in Moskau, die vom Boykott mehrerer Länder wegen des Einmarschs der Sowjetunion in Afghanistan überschattet wurden. Eindrücklicher als der Sport oder die Politik war für die Sowjetbürer jedoch ohnehin das Drumherum, berichtet Jurjew: "Den vielleicht größten Eindruck auf die Sowjetbürger (zumindest in den Großstädten) machte nicht der sportliche Wettbewerb, sondern Pepsi-Cola, das plötzlich in sämtlichen Lebensmittelläden und auch in Cafés und Imbissen auftauchte: Zu den Olympischen Spielen hatte die Sowjetregierung eine Pepsi-Cola-Lizenz erworben, wahrscheinlich um die ausländischen Sporttouristen nicht verdursten zu lassen. Für uns war das damals aufregend: ein flüssiges Stück anderen Lebens in einer so ungewöhnlichen Flasche, dass man sie sogar als Leergut nicht annahm! Man kritisierte nur, dass es nicht Coca-Cola, sondern Pepsi war - 'die da oben' hatten wieder einmal an uns gespart."

In der taz informiert Georg Etscheit über die Debatte um den bisherigen Sitz des BND in Pullach. Die Kommunalpolitik um den CSU-Bürgermeister Jürgen Westenthanner wünscht einen lukrativen Verkauf des siebzig Hektar großen Grundstücks an einen Investor, doch Historiker haben den Ort wegen seiner zentralen Rolle im Dritten Reich unter Denkmalschutz stellen lassen.
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Internet

Zum zehnten Geburtstag von Facebook zieht Katja Kullmann im Freitag eine sehr lesenswerte Bilanz. Mag sein, dass Facebook Narzissmus, Exhibitionismus und Konformität fördert, doch es steckt zugleich so viel Potenzial und Hoffnung in diesem Projekt, meint Kullmann: "Der lang erwartete, große, globale Gegenwartsroman ist längst da. Er heißt Facebook, und er erzählt von einer kleinen, sehr menschlichen Utopie - und von einer großen Entzauberung - und von den angestrengten Versuchen, die Entzauberung herunterzureden, sie harmonisch in die Gesamterzählung einzupassen, damit doch noch ein Happy End zustande kommt. Der Roman hat klar identifizierbare Protagonisten: Es sind die schwer flexibilisierten, hochnervösen Mittelschichten in aller Welt. Facebook ist ihre Schlüsselerfahrung, ihr Selbstbildnis und ihr Vermächtnis. Das verzagte 'Ho-Ho-Ho-Chi-Minh' der Bewegung lautet: 'Keep calm and carry on.'"
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Überwachung

In einem Artikel, der mehr eine Ergänzung als eine Replik ist, nimmt Evgeny Morozov in der FAZ die Warnung von Martin Schulz vor einem "technologischen Totalitarismus" auf. Morozov fordert die Politik, insbesondere die Linke, auf, "die zahlreichen Schichten technologischer Mystifizierung zu durchdringen, die Silicon Valley der öffentlichen Debatte aufgezwungen hat. Es gibt immer noch zahlreiche Übel, und wenn wir die technologische Infrastruktur Google und Facebook und ihresgleichen überlassen, werden wir die Plattformen für die Veränderung der Situation verlieren."
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Gesellschaft

Hannes Stein berichtet in der Welt von der amerikanischen Debatte über die immer krasser werdende soziale Ungleichheit in den USA, die sich in einen "neuen Feudalismus" auszuwachsen drohe: "Wie müssen wir uns die Superreichen vorstellen? Keineswegs als fette Kapitalisten mit Zigarre und Zylinderhut - eher wie Sergey Brin, den Mitbegründer von Google (geschätztes Privatvermögen: 24,4 Milliarden Dollar) oder Sheryl Sandberg, die Chefmanagerin von Facebook (geschätztes Privatvermögen: eine Milliarde Dollar). Ziemlich junge und fitte Leute also, die sich auf sauteuren Fahrrädern durch Kalifornien bewegen, gesund essen, im Zweifel eher den Demokraten ihre Stimme geben und Umweltschutz für wichtig halten. In ihrer unmittelbaren Nähe hausen in deutlich weniger luxuriösen barrios jene Leute, die den Milliardären als Gärtner, Kinderfrauen und Chauffeure zur Verfügung stehen."

Nachdem sich Hilal Sezgin am Donnerstag in der Zeit für ein Verbot von Tierversuchen ausgesprochen hatte, plädiert sie heute in der taz für ein Ende der modernen Viehzucht. Artgerechte Tierhaltung, so ihre These, ist nicht mit dem Ziel eines nennenswerten Ertrags vereinbar: "Praktisch ist es schlicht nicht möglich, tierische Nahrungsmittel in der bisherigen Menge 'fair' zu erwirtschaften - auch nicht annähernd in diesen Mengen. Was heute jeden Tag verzehrt wird, wäre eine Kostbarkeit wie etwa Trüffel. Man würde einmal die Woche ein paar Gramm Käse essen."

In der New York Times verwahrt sich Woody Allen gegen den Missbrauchsvorwurf seiner Stieftochter Dylan Farrow und schildert die Umstände, unter denen die Beschuldigungen in den frühen neunziger Jahren erhoben wurden: "Mia (Farrow) insisted that I had abused Dylan and took her immediately to a doctor to be examined. Dylan told the doctor she had not been molested. Mia then took Dylan out for ice cream, and when she came back with her the child had changed her story. The police began their investigation; a possible indictment hung in the balance. I very willingly took a lie-detector test and of course passed because I had nothing to hide. I asked Mia to take one and she wouldn't." In Esquire hat sich Stephen Marche dennoch die Mühe gemacht, alle Allen-Filme auf Indizien zu Pädophilie zu durchleuchten.
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