9punkt - Die Debattenrundschau

Das Internet ist völlig out

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.11.2015. Politico.eu beschreibt eine neue Regierungsform: Despotismus mit Wahlen. In der NZZ spricht Aris Fioretis über die schwedische Reaktion auf die Flüchtlinge. Die Welt erklärt, warum Motorräder nur bei bestimmten Geschwindigkeiten leise sind. Zwei Professoren machen den Medien in Meedia keine Hoffnung mehr. Und der Börsenverein ist empört über ein EuGh-Urteil, das die Verleger nicht mehr von der VG Wort profitieren lässt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.11.2015 finden Sie hier

Kulturmarkt

Oje, der Börsenverein ist empört, und das merkt man selbst in der Meldung über das lang erwartete Urteil des EuGh, das Verlage nicht als Urheber betrachtet und darum ihren Status bei Ausschüttungen in der VG Wort annulliert: "Der Grund: Sie seien formal keine Rechteinhaber im Sinne der europäischen Urheberrechtsrichtlinie InfoSoc (2001/29/EG). Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist es geltendes Recht, die Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften zwischen Verlagen und Autoren aufzuteilen. Das geschieht deshalb, weil Verlage für ihre Leistungen honoriert werden müssen." Müssen? Die Richter haben's anders gesehen. Boersenverein.de zitiert auch den Vorsitzenden des Verlegerausschusses, Matthias Ulmer: "Die EU-Kommission, die ohnehin an Urheberrechtsänderungen arbeitet, hat jetzt die Pflicht, das zügig zu korrigieren." Hintergünde zum Urteil, für das der Urheberrechtler Martin Vogel seit Jahren gekämpft hat, erklärt David Pachali bei irights.info.

Im Gespräch mit Alexis Petridis vom Guardian erklärt Prince seinen berühmten Spruch von 2010 "Das Internet ist völlig out.": "Was ich damit meinte, war, das es out war für jeden, der bezahlt werden möchte, und ich hatte recht damit. Sagen Sie mir einen Musiker, der mit digitalen Verkäufen reich geworden ist. Aber Apple geht's ganz gut, oder?"

Außerdem: In der SZ erklärt Cornelia Funke, warum sie in den USA einen eigenen Buchverlag gegründet hat.
Archiv: Kulturmarkt

Religion

Angeblich plant die Regierung von NRW, die konservativen Islamverbände maßgeblich in die Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts miteinzubeziehen. Davor warnt bei den Ruhrbaronen der Sozialarbeiter Tim Pickartz. Sein Problem ist unter anderem die Nähe einiger Verbände zur türkischen AKP: "Da DITIB nicht völlig unabhängig von der AKP-Regierung in der Türkei agieren kann, ist nicht auszuschließen, dass demokratie- und verfassungsfeindliche Inhalte der türkischen Regierung Einfluss auf die deutsche Politik, die deutsche Gesellschaft und auf den staatlichen Islamunterricht haben können, wenn DITIB den Status einer Religionsgemeinschaft erhalten würde." Vor dem Einfluss der AKP in Deutschland warnt in der Welt auch Ertan Toprak, der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschlands.
Archiv: Religion

Geschichte


Alexander Gardner, Group about Fort Laramie, Dakota, 1868

Ronald D. Gerste besucht für die NZZ eine Ausstellung in Washington über den Fotografen Alexander Gardner, der den amerikanischen Bürgerkrieg dokumentiert hat und die amerikanische Landschaft, die durch den Bau der Eisenbahn endgültig verändert wurde: "Die Landschaft, durch die der Schienenstrang sich frisst, mag über Hunderte von Meilen öde sein - unbewohnt ist sie nicht. Gardners Kamera hält eine ganz andere amerikanische Lebensform fest: die Tipis der Dakota, der Crow, der Cheyenne. Er ist dabei, als die Repräsentanten der Regierung im fernen Washington, typischerweise in Uniform, mit den Ureinwohnern 'verhandeln' und 'Abkommen' schließen - beides ist eine Farce ... 'Es gibt nichts zu feiern, nur zu erinnern', so sagt die Direktorin der National Portrait Gallery in Washington, Kim Sajet, mit Blick auf die neue Ausstellung zum Wirken des aus Schottland stammenden Fotografen Alexander Gardner."
Archiv: Geschichte

Medien

In einem kurzen Interview mit der Presse prangert der Journalist und Besitzer der serbischen Zeitung Kurir, Aleksandar Rodić, die Verunglimpfung regierungskritischer Journalisten in Serbien an: "Wir haben Artikel über Korruption veröffentlicht. Dabei ging es auch um einen Geschäftsmann, der ein Freund von Premier Aleksandar Vučić ist. Es gab Druck auf uns, das nicht zu publizieren. Aber wir haben es trotzdem getan. Daraufhin wurden wir von der Zeitung Informer und dem Fernsehsender Pink attackiert. Beide stehen der Regierung nahe. Sie haben eine Kampagne gegen uns gestartet und behauptet, dass wir für ausländische Interessen arbeiten, für die EU und die USA. Dass wir ausländische Spione seien und dass wir die Regierung stürzen wollen. Innenminister Nebojsa Stefanović hat dann auf einer Pressekonferenz diese Vorwürfe gegen uns sogar noch unterstrichen."

Nicht gerade rosig sind die Aussichten für Printmedien, wenn man den Professoren Michel Clement und Christian-Mathias Wellbrock glaubt, die bei Meedia ein Thesenpapier veröffentlichen. Auffällig ist, dass sie der Parole vom paid content, die vor ein paar Jahren noch das Management-Credo war, auch nicht mehr recht glauben. Zwar sehen sie einen plattformübergreifenden Dienst wie Blendle als eine Chance. Aber "je mehr Verlage sich zusammentun, desto größer ist gleichzeitig der Anreiz für jeden einzelnen Verlag aus dieser Strategie auszu­brechen und sich durch Gratisinhalte hohe Reichweiten zu sichern (klassisches Gefangenen-Dilemma)".
Archiv: Medien

Politik

Eine neue Staatsform sucht Europa und die Welt heim, eine Art Despotentum mit Wahlen, schreibt Melik Kaylan in politico.eu mit Blick auf Länder wie Russland, die Türkei, aber auch Georgien oder Venezuela und beschreibt das neue Phänomen als einen "Hybrid, der demokratische Prozeduren nachäfft. Wir denken immer noch, dass wir nur geduldig sein müssen, dass sich diese Staaten im Übergang befinden, dass sie es am Ende schaffen werden, weil das Positive überwiegt und am Ende zu einer liberalen Demokratie führen wird. Stattdessen stehen wir verwirrt vor Staaten, die in permanentem Übergang erstarrt sind, ein politisches Ziel mit seiner ganz eigenen Dynamik."
Archiv: Politik
Stichwörter: Georgien, Russland, Türkei, Venezuela

Ideen

(Via lit21) Zur Idee vom "Tod des Autors" bei Roland Barthes schreibt Lars Hartmann bei Aisthesis: "Dass der Autor tot sei, schuldete sich bei Barthes nicht primär dem Umstand agonaler Subjekte, die im Zuge postheideggerscher französischer Metaphysikkritik am dualen Denken untergingen, sondern dieser mortale Effekt sollte schlicht Platz für den Leser schaffen. Wenn nicht sogar für eine emphatisch verstandene Subjektivität, die den Begriff des Ichs durchaus im Titel zu führen gewillt war."

Im Standard erklärt Barthes-Biografin Tiphaine Samoyault, welche Kraft heute noch in Barthes "Mythen des Alltags" liegt: "Es ist vielmehr Barthes Art zu denken und zu erkennen, was eine Gesellschaft oder eine Epoche ausmacht. Diese Art, die Zeichen zu lesen, kann man dem Text entnehmen und auf andere Wirklichkeiten übertragen. Ich war im Mai in China. Da haben Studenten Dinge aus der gegenwärtigen urbanen Wirklichkeit Chinas genommen wie das elektrische Fahrrad oder die Atemschutzmaske und im Stil Barthes eine Mythologie des chinesischen Alltags erarbeitet. Zugleich fand ein Diskurs statt über die Veränderung der chinesischen Gesellschaft."
Archiv: Ideen

Europa

Im Interview mit der NZZ spricht der griechisch-schwedische Schriftsteller Aris Fioretos über den Unterschied zwischen Schweden und Griechenland und über die neue, gegen die Flüchtlinge gerichtete Stimmung in Schweden: "Wären morgen Wahlen, so würden wohl die rechtsradikalen Schwedendemokraten die größte Partei stellen. Die Tatsache, dass es dieser Partei gelungen ist, ihre Ansichten in der Gesellschaft zu verankern, ist schlimm. Für mich liegt die Ursache ihres Erfolgs darin, dass die andern Parteien keine überzeugende Antwort auf die Frage liefern, wie die Gesellschaft in fünf oder fünfzehn Jahren aussehen soll. Bis jetzt ist in der Flüchtlingsfrage nur von Maßnahmen und Herausforderungen die Rede. Das hat etwas Alternativloses, Beklemmendes. Oder es wird beschwichtigt. Man sollte das Thema aber weder dämonisieren noch sentimentalisieren."

Ulli Kulke erklärt in der Welt, wie Lobbyismus in Deutschland funktioniert. Nicht nur VW mogelt, auch die Hersteller von Motorrädern mogeln, mit Einwilligung des Gesetzgebers, der den Lärm von Motorrädern nur bei bestimmten Geschwindigkeiten misst: "Natürlich nutzen die Hersteller dies aus. Weil der Gesetzgeber außerhalb dieses kleinen 'Fensters' keine Lärmregelungen eingeführt hat, ist es ihm auch egal, dass viele Zweiräder mit einem 'Klappenauspuff' ausgestattet sind. Und dabei handelt es sich um nichts anderes als um jene 'Testzyklus-Erkennung', die jetzt bei Volkswagen für den ganz großen Skandal gesorgt hat. Der Bordcomputer teilt dem Auspuff mit, wie schnell man gerade fährt, dann schaltet er mal kurz auf weniger laut und anschließend geht es wieder mit voller Dröhnung weiter."

Ist die Europäische Union eine christliche Gründung? Jedenfalls eine sehr katholische, schreibt Wolf Lepenies in der Welt mit Blick auf die Gründergestalten. Für Robert Schuman läuft schon ein Verfahren zur Seligsprechung: "Als bekannt wurde, dass auch für den früheren italienischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi vom Erzbistum Trient ein Seligsprechungsprozess initiiert worden war und das Gerücht aufkam, auch Konrad Adenauer solle selig gesprochen werden, spottete der Londoner Daily Telegraph, demnächst werde wohl der Papst dekretieren, die EU sei von Gott gesandt."

Außerdem: In der SZ erklärt Timothy Garton Ash, warum er glaubt, dass die Briten pro Europa abstimmen werden.
Archiv: Europa