9punkt - Die Debattenrundschau
Über das Allerheiligste gelacht
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Ideen
Die Annehmlichkeiten der Moderne wollen viele in Anspruch nehmen, weiß in der NZZ der in Marokko geborene Schweizer Schriftsteller Kacem El Ghazzali, anders sieht es bei ihren Grundsätzen aus, bei Säkularismus und persönlicher Freiheit: "Wer Neuankömmlinge zur Integration auffordert, will damit nicht kulturelle Unterschiede verleugnen. Die Aufforderung ist vielmehr eine Einladung, Citoyen zu sein, Europäer zu sein, Universalist zu sein. Die Citoyenneté ist das Sicherheitsventil gegen die Vertreter der Identitätspolitik, die versuchen, den Staat zum Eigentum einer bestimmten Religion, Rasse oder Klasse zu machen. Staatsbürger zu sein, bedeutet, Demokrat zu sein, die Freiheit seiner Tochter zu respektieren und die Redefreiheit anzuerkennen, auch wenn über das Allerheiligste gelacht wird."
Europa
Man kann sich selbst nicht von einer eingebildeten Unterdrückung befreien, schreibt der irische Kolumnist Fintan O'Toole im Guardian den Briten ins Stammbuch: "Der Brexit war immer eine Wahl zwischen zwei Übeln: dem heroischen, aber katastrophalen Scheitern eines Ausstiegs ohne Abkommen, oder dem unheroischen, aber weniger nachteiligen Tausch einer EU-Mitgliedschaft erster Klasse mit einer der zweiten Klasse. Das ist das reale Nachleben eines geplatzten Traums. Wahrscheinlich haben sich die Briten die falsche Frage gestellt, wenn sie jetzt nur die Wahl haben, sich in den Fuß oder in den Kopf zu schießen. Es wird immer klarer, dass es beim Brexit nicht um Britanniens Verhältnis zur EU geht. Das Wort sagt schon alles. Europa kommt darin nicht vor. Wichtig ist, dass Britannien aussteigt, nicht wovon."
Im Guardian grämt sich Jonathan Freedland über die all die Energie, die der Brexit auffrisst: "Denken Sie nur daran, was wir mit aller der Zeit und dem Geld hätten machen können, inklusive der vier Milliarden Pfund, die wir dafür aufbringen, um uns für die völlig vermeidbare und selbstzugefügte Kalamität vozubereiten, dass wir ohne Abkommen aus der EU herauskrachen. Mühen, die wir auf mehr Jobs und Wohnungen hätten verwenden können oder auf die Reparatur der Austeritätsschäden; Arbeit, die wir darauf hätten verwenden können, das Leben derer zu verbessern, die seit drei Jahrzehnten durch Globalisierung, Automatisierung und anderem Wandel abgehängt werden. Aber Whitehall hat diese Bandbreite nicht." Ganz zu schweigen von den Medien.
In der taz erinnert Ralf Sotschek darank, dass der Brexit nicht von den Briten gewollt wurde, sondern von den Engländern. Und: "Nur 8 Prozent der Schotten und 7 Prozent der Waliser finden, dass die EU großen Einfluss auf ihr Leben habe. Ähnlich sieht es in den anderen EU-Ländern aus. Doch in England waren es 31 Prozent - Folge eines langen Propagandakriegs, der besonders von Medienmogul Rupert Murdoch geführt wird."
Stefan Kornelius weiß in der SZ, dass die Briten schon immer recht wankelmütig waren, wenn es um Europa ging. Selbst Winston Churchill konnte sich nicht entscheiden, ob Britannien mit Europa "verbunden, aber nicht umfasst" sein oder die Vereinigten Staaten von Europa führen solle: "Die Fixierung auf Churchill führt freilich zum Grundübel der britischen Europa-Obsession: einer Geschichtsbesessenheit, die gerade heute blind macht für die Realität. Geschichte fließt, aber offenbar nicht für eine einflussreiche Gruppierung der britischen Führungsschicht, die Geschichte gerne instrumentalisiert - zum Machterhalt, zur Agitation der Wähler, um sich darin zu suhlen und wohlzufühlen."
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