9punkt - Die Debattenrundschau

Wir haben niemanden unter Mindestlohn bezahlt

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.02.2019. Im Netz und den Medien wird heftig über das Framing-Papier der ARD gestritten: Ist es "Schönsprech" oder "von vielen missverstanden" oder gar eine "Umerziehungsfibel" zum Preis von 120.000 Euro? Wir bringen eine ausführliche Presseschau.  Der Tagesspiegel legt offen, wie sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beim Thema Sterbehilfe gegen das Bundesverwaltungsgericht stellt - unter anderem mit einem überflüssigen Gutachten, für das Udo Di Fabio 95.000 Euro erhielt. Im Gespräch mit der Welt über die Insolvenz des Grossisten KNV findet Verleger Klaus Schöffling sehr selbskritische Worte über die Bruchbranche.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.02.2019 finden Sie hier

Medien

Schwerpunkt Debatte über das Framing-Papier der ARD

Die ARD möchte die Debatte zwar "framen", sich ihr aber nicht stellen. Gut, dass Netzpolitik das Framing-Manual, das die Sprachforscherin Elisabeth Wehling für die ARD erarbeitete, ins Netz gestellt hat (unser Resümee). Die ARD hatte das Papier angeblich aus urheberrechtlichen Gründen nicht veröffentlicht - man hat aber noch nicht gehört, dass die Urheberin gegen die Veröffentlichung protestiert hätte. Im Gegenteil, sie meldet sich auf ihrer Website mit einer eher trockenen "Klarstellung" zu Wort: "Inhalt des Auftrages des MDR während seines ARD-Vorsitzes war es, die Kommunikation der öffentlich-rechtlichen ARD als Institution zu analysieren und auf Basis der wissenschaftlichen Erfahrung aufzuzeigen, welche Alternativen zu welchen Worten mit welchen Bedeutungsinhalten besetzt sind."

"Objektives, faktenbegründetes und rationales Denken gibt es nicht, zumindest nicht in der Form, in der es der Aufklärungsgedanke suggeriert", schreibt Wehling viel schwungvoller in ihrem Papier, es gebe nur Frames. Im Netz jedenfalls wird über die Aussagen des Papiers und die Frage, was die ARD damit bezweckt, intensiv diskutiert - die Linguistin Pipoer fragt etwa in einem Twitter-Thread, wie angemessen der Begriff des "Newspeak" für das von Wehling vorgschlagene Framing sei.

"Organisiertes Schönsprech, moralisierende Stimmungsmanipulation und die gezielte Sprachzersetzung von Kritikern kannte man hierzulande bisher nur aus Diktaturen wie der DDR", schreibt der konservative Publizist Wolfram Weimer bei ntv.de, der mit dem Begriff des Newspeak also offenbar keine Schwierigkeiten hat. Er weist auch darauf hin, dass die ARD in einer Klarstellung vom 17. Februar besonders hervorgehoben hat, dass das Papier zwei Jahre alt sei und unter der damaligen ARD-Vorsitzenden Karola Wille (die Erfahrungen im Framing hat, mehr hier) in Auftrag gegeben wurde. Kritik kommt aber auch aus der taz. Eric Wallis schreibt: "Der kapitale Fehler des Manuals besteht in dem Glauben, mit Wortspielereien inhaltliche Kritik ausräumen zu können."

Ganz anders sieht es bei Uebermedien der den Öffentlich-Rechtlichen kritisch zugetane Medienjournalist Stefan Niggemeier: "Der Begriff des 'Framings' wird in der Debatte von vielen missverstanden - teilweise vermutlich bewusst. Er wird mit dem Versuch gleichgesetzt, Menschen auf unzulässige Weise zu manipulieren. Dabei geht es zunächst einmal nur darum, sich bewusst zu machen, welche Assoziationen man mit bestimmen Begriffen weckt, welchen Denkrahmen man setzt, welche tief sitzenden Sprachbilder man aktiviert." Praktisch ist natürlich, wenn man für diese Aktivierung einen milliardenschweren Apparat hat, in dem man seine Frame widerspruchlos setzen kann! Niggemeier macht aber auch klar, dass das Papier durchaus Einfluss auf die Kommunikation der ARD hatte. Das Framing-Manual der ARD "ist in Gebrauch", berichtet auch Michael Hanfeld in der FAZ, der bei der ARD die Auskunft erhielt, dass Wehling zu dem Manual in der ARD noch Workshops abhalte - über die Kosten wollte man Hanfeld nicht informieren.

ARD-Chefredakteur Rainald Becker kann laut welt.de "keinen Skandal entdecken, wie einige das getan haben. Wir haben niemanden unter Mindestlohn bezahlt, wir haben niemanden unterdrückt. Ich finde das eine künstlich aufgeblasene Diskussion." Daher sicher die eher knappe Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Und dann sei hier noch die Meisterin des "Framing", die Bild-Zeitung zitiert: "ARD zahlte 120.000 Euro für Umerziehungs-Fibel."
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Europa

Nach den jüngsten Attacken gegen Alain Finkielkraut (unser Resümee) machte ein Politiker den Vorschlag, nicht mehr nur antisemitische sondern auch antizionstische Hassparolen unter Strafe zu stellen. Die israelische Autorin Ruth Amossy reagiert in Le Monde skeptisch: "Sicher ist es richtig, die Wurzeln des Phänomens zu untersuchen und Gegenmittel durch Information und Bildung zu suchen - es sei denn diese Gesetz soll der verzweifelte letzte Ausweg all jener sein, die nicht mehr an das französische Bildungssystem glauben."
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Internet

Die Wikipedia ist in der Krise, schreibt FAZ-Redakteur Patrick Bernau im Leitartikel auf Seite 1 der Zeitung. Viele Artikel seien nicht mehr aktuell. Unter anderem liege es daran, dass "altgediente Wikipedia-Autoren den Neuankömmlingen das Leben schwermachen können... Deshalb vergeht vielen Autoren die Lust an der Mitarbeit. Seit Jahren diskutieren die Wikipedianer darüber, dass es an Frauen mangelt. Doch es gibt noch mehr Leute, die für Wikipedia wichtig wären und die oft keine Lust mehr haben. Ganz vorn stehen Wissenschaftler. Heute ist die Wikipedia weit von seiner Hochform entfernt."
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Kulturpolitik

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier ist Vorsitzender der Limbach-Kommission, die ich mit Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter befasst. Im Gespräch mit Jörg Häntzschel von der SZ beklagt er mangelnde Befugnisse und Wirksamkeit der Kommission: "Wozu verhandeln wir diese Fälle überhaupt, wenn ein Rechtsstreit später vor amerikanischen Gerichten geführt wird? Diese Fälle gehören vor deutsche Gerichte, denn es sollte um Akte deutscher Wiedergutmachung gehen, nicht um solche, die von ausländischen Gerichten aufgezwungen werden. Belässt man alles, wie es ist, kann die Kommission die Gründe, die in der Öffentlichkeit zu ihrer Delegitimierung immer wieder angeführt werden, nicht ausräumen."
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Kulturmarkt

Gregor Dotzauer hat für den Tagesspiegel zur Insolvenz des Buch-Grossisten KNV recherchiert: "Vor allem kleinere Verlage machen einen bedeutenden Teil ihres Umsatzes über diesen Zwischenhandel. Bei einem regulären Zahlungsziel von 90 Tagen sehen sie derzeit vor allem die Einkünfte aus dem Weihnachtsgeschäft bedroht. Derzeit gibt es keinerlei Informationen, ob sie jemals etwas von diesem Geld wiedersehen werden. Der Bonner Verleger Stefan Weidle klagt, dass die Hälfte seines Umsatzes über KNV laufe."

Der Verleger Klaus Schöffling findet im Gespräch mit Welt-Redakteur Marc Reichwein über die Krise des Grossisten und Barsortimenters KNV ein paar selbstkritische Worte für die Branche: "Wir sind als Buchhandel längst nicht mehr in der Lage, etwas gegen Amazon zu unternehmen. Die Branche ist letztlich nicht solidarisch. Wenn alle Verlage Amazon mit seinen Rabattforderungen gemeinsam auf die Finger hauen würden, wäre durchaus etwas zu erreichen. Nur dass das passiert, ist eine große Schimäre. Wenn einer den Aufstand gegen Amazon probt, wie in der Vergangenheit Diogenes, steht keiner dem anderen bei."
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Gesellschaft

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hintertreibt nach Kräften ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Todkranken in bestimmten Fällen die Verabreichung von Suizidmedikamenten erlaubt, berichtet Jost Müller-Neuhof im Tagesspiegel. Ähnlich wie beim Thema Abtreibung scheint es Spahn dabei auch um Wahlkampf zu tun zu sein: "Um seine umstrittene Haltung in der öffentlichen Diskussion abzusichern, hatte das Ministerium bei dem früheren Bundesverfassungsrichter und erklärtem Sterbehilfe-Gegner Udo Di Fabio frühzeitig ein Rechtsgutachten bestellt, in dem dieser die Ansicht vertrat, die Entscheidung der Leipziger Richter von 2017 sei verfassungsrechtlich unhaltbar. Dieses Gutachten diente offenkundig weniger der fachlichen Beratung des Ministeriums als der Außenwirkung." Kostenpunkt für Di Fabios Gutachten, dessen Ergebnis von vornherein feststand: 95.200 Euro. Wenn schon nicht Sterbe-, dann wenigstens Lebenshilfe!

Die Autorin Deborah Feldman, die sich aus einer orthodoxen jüdischen Gemeinde in New York befreite und heute in Berlin lebt, reagiert im Gespräch mit Claudia Schwartz auf das Buch "Desintegriert Euch" des jungen Autors Max Czollek: "Er hat eine bewundernswerte Haltung. Aber ich bin natürlich als ein Kind der Aufklärung anderer Meinung, stehe eher in der Tradition von Hannah Arendt: Integriert euch, ändern wir die Gesellschaft. Was mich an Czollek beeindruckt hat, ist diese Aussage, die er macht, und die ist ja nicht neu. Es gibt eine ganz alte Tradition im Judentum, die sagt: Vermengt euch nicht, integriert euch nicht. Das beruht auf dem Mythos der Diaspora."
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