9punkt - Die Debattenrundschau

Erst werden die Begriffe besetzt, dann die Köpfe

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.01.2021. In seinem Blog erklärt Andrew Sullivan den Unterschied zwischen "equity" und "equality" und warum er ihm Sorgen macht. Die SZ fragt: wie kompatibel ist die gehypte Iphone-App "Clubhouse" mit deutschem Recht? SZ und Welt empören sich über einen Auftritt Xi Jinpings im virtuellen Davos. Die FAZ ist so weit zufrieden mit der kommenden Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform. Die taz porträtiert die Familie von Walter Lübcke in den Tagen vor dem Urteil gegen den Terroristen Stephan Ernst.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.01.2021 finden Sie hier

Medien

Am Mittwoch wird das Kabinett den Entwurf der gesetzlichen Umsetzung der Europäischen Urheberrechtsrichtlinie beschließen. Michael Hanfeld berichtet in der FAZ recht zufrieden. Die Bagatellgrenze für das Zitieren von Texten ist im neusten Entwurf offenbar von tausend auf 160 Zeichen gesunken. Betroffen sind vor allem die Plattformen (was auch immer das sein mag), kleine Unternehmen werden geschützt. Das Leistungsschutzrecht für die notleidenden Presseverlage (die außerdem mit 220 Millionen Euro subventioniert werden sollen) wird kommen: "Das Recht der Verleger auf Vergütung umfasst dabei nicht die in der Berichterstattung genannten Tatsachen, es gilt nicht bei privater oder nicht kommerzieller Nutzung einer Presseveröffentlichung, Hyperlinks darf man ebenfalls frei setzen, und urheberrechtlich und lizenzfrei erlaubt ist auch 'die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Veröffentlichung'."

Australien geht noch einen Schritt weiter und möchte eine regelrechte Linksteuer einführen, von der im diesem Fall vor die Medien eines gewissen Rupert Murdoch gefüttert würden. Google hat recht, mit Abzug aus Australien zu drohen, findet Friedhelm Greis bei golem.de: Eine der umstrittenen Vorgaben des drohenden Gesetzes laute etwa, "dass die Plattformen die Medien über Änderungen ihrer Algorithmen zur Nachrichtenauswahl und -darstellung informieren sollen. Nach Ansicht Googles werden Medienunternehmen im Vergleich zu anderen Webseitenbetreibern dadurch bevorteilt. Mithilfe der bereitgestellten Daten könnten sie ihr Ranking bei den Suchergebnissen künstlich aufblähen, selbst wenn andere Angebote besser seien."

In der SZ greift Andrian Kreye die Debatte um Bodo Ramelows Bemerkungen in der bei Journalisten sehr beliebten App Clubhouse auf (mehr hier) und erzählt daneben noch, wer hinter der App, die man nur auf Einladung und nur mit einem Iphone benutzen kann, steckt: "Die kalifornische Mutterfirma Alpha Exploration schreibt zwar in ihren Verhaltensregeln für die Clubhouse-Gemeinde, dass man die Inhalte der Chatrunden weder aufnehmen noch weitergeben darf. Das darf sie nach deutschem Recht aber nicht verbieten. Rechtlich zweifelhaft ist auch die Praxis der Firma, die Kontaktdaten der Nutzerhandys sowie Aufnahmen der Clubhouse-Runden auf amerikanischen Rechnern zu speichern. Letzteres angeblich, um bei Streitfällen darauf zurückzugreifen. Wobei die Firma im vergangenen Jahr eine neunstellige Summe von Andreessen Horowitz bekam, einer der erfolgreichsten Investmentfirmen im Silicon Valley, die derzeit viel Geld in Überwachung, Verteidigung und Gesundheit steckt. Was den Schluss zulässt, dass mit Clubhouse ein Big-Data-Schatz mit Audiodaten aufgebaut wird."
Archiv: Medien

Europa

Anders als Xi Jinping mit seinen ergebenen Parteistrukturen gelingt es Wladimir Putin nicht, das Internet zu kontrollieren, schreibt der Moskau-Korrespondent der FAZ, Friedrich Schmidt. So offenbaren Nawalnys Attacken inzwischen die Schwächen seines Regimes, das mit seinen Erzähungen über die nationale Größe Russlands nicht mehr durchdringe: "Zentral darin sind geopolitische Coups wie, als größter, die Krim-Annexion. Doch die Begeisterung dafür ist verpufft, neue Erfolge sind nicht in Sicht. Geld wird für neue Krisen und Sanktionen zurückgelegt, an die Bevölkerung verteilt Putins Regierung gelegentlich Almosen wie magere Unterstützungszahlungen in der Pandemie." Verlassen kann sich Putin allerdings auf Deutschland und Frankreich, die sich auf einer EU-Außenministerkonferenz gegen Sanktionen wandten, berichtet Thomas Gutschker ebenfalls für die FAZ aus Brüssel.
Archiv: Europa

Gesellschaft

Im Prozess zum Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke wird jetzt ein Urteil erwartet. Der Angeklagte Stephan Ernst ist geständig, unsicherer ist die Lage beim zweiten Angeklagten Markus H. Konrad Litschko porträtiert in seinem großen Bericht in der taz vor allem die Familie des Opfers: "Im Prozess erzählte die Familie, dass sie nach dem Mord ganz bewusst nicht weggezogen sei. Um nicht nachzugeben. Sie lebt weiter im gleichen Haus, die Witwe im Erdgeschoss, Jan-Hendrik mit seiner Familie oben. Die Söhne gehen ihrer Arbeit nach. Die Mutter ist pensionierte Lehrerin. Und doch ist alles anders. 'Das Haus ist nicht mehr das Haus. Das Leben ist nicht mehr das Leben', sagt Irmgard Braun-Lübcke, die vierzig Jahre mit ihrem Mann verheiratet war. 'Er fehlt uns unendlich.' Jan-Hendrik sagt, der Mord habe die Familie 'innerlich zerrissen'."

Fatina Keilani, Redakteurin im Tagesspiegel, hatte kürzlich scharf kritisiert, dass der Rassismusvorwurf zu einer Art Geschäftsmodell verkommen sei (unser Resümee). Daraufhin schlug ihr in den sozialen Medien ein derartiger Shitstorm entgegen, dass sie in einem zweiten Artikel den Rassismus aufs Korn nahm, dem eine Migrantin ausgesetzt ist, die nicht konform geht mit der linken Opferagenda (mehr hier). In der Welt benennt Don Alphonso einige Wortführer dieses Shitstorms, die oft in der Politik arbeiten. Dazu gehören Niema Movassat, Bundestagsabgeordneter von der Linkspartei, Charlotte Obermeier, Koordinatorin Social Media der Grünen-Bundesfraktion, die laut Don Alphonso schon eine Autorin des Westfalen-Blatts zu Fall gebracht haben soll, sowie zwei Personen, die ihre Funktion in ihren Twitterprofilen nicht so offensichtlich machen: Krsto Lazarevic, Pressesprecher des grünen Europaparlamentsabgeordneten Erik Marquardt, und eine gewisse Sarah, die tatsächlich Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Stefan Liebich sei. Für Don Alphonso ist die "Botschaft offensichtlich: Wer vom gewünschten Meinungskorridor abweicht, wird von Politikern angegriffen, von bezahlten Mitarbeitern der Politik mal verdeckt, mal offen verleumdet, und die Pöbler im Netz besorgen den Rest. Es gibt momentan jede Menge Vorwürfe, die konstruiert werden, um Fatina Keilani und ihren Ruf zu zerstören: Natürlich ist das ein Angriff auf die Pressefreiheit, und bei Linken und Grünen hat man offensichtlich auch keine Hemmungen, das mit Leuten zu betreiben, die für den Bereich Presse und Social Media angestellt sind."

Außerdem: In der NZZ fürchtet Adrian Lobe die Smart City, in der wir bald alle leben sollen: "Eine kleine Clique von Programmierern definiert Probleme und Sollwerte: Tempolimit, Grenzwerte und anderes mehr. Was in den Modellen nicht als Problem auftaucht, ist schon gar nicht problemlösungsfähig, geschweige denn politisierungsfähig."
Archiv: Gesellschaft

Politik

Natürlich war Joe Bidens Rede eine Wohltat nach den Exzessen Trumps. Aber nun lohnt es sich, sie auch genauer anzusehen, schreibt Andrew Sullivan in seinem neuen Blog. Und ihm fiel auf, dass Biden in den Ausführungen zu seiner Politik nicht die "Gleichheit" der Bürger - "Equality" - anstrebte, sondern "Equity", was sich mit Gerechtigkeit oder Äquivalenz übersetzen ließe. Damit hält das Vokubular der "Social Justice"-Theorien, also der Gender-, Queer- und postkolonialen Theorien Einzug in die offizielle Politik der Demokraten, so Sullivan. "Das Problem ist natürlich, dass, wer 'equity' erreichen will, zunächst einmal Gleichheit für bestimmte Personen abbauen muss, die nicht in die richtige Identitätsgruppe geboren wurden. Equity heißt, Personen ungleich zu behandeln, damit Gruppen gleich werden."

In der Welt nimmt ein erboster Clemens Wergin die Heuchelei aufs Korn, mit der Chinas Xi Jinping beim virtuellen Weltwirtschaftsforum den Multilateralismus lobte, andererseits das Dominanzstreben des Westens kritisierte. "Das sagt der seit Mao machtvollste Herrscher eines Landes, das ständig auf eklatante Weise gegen internationales Recht und Regeln verstößt. Schließlich ist Xi derjenige, der einen kulturellen Genozid an der muslimischen Minderheit der Uiguren angeordnet hat und damit die UN-Menschenrechtscharta aufs Schwerste verletzt. Er ist verantwortlich dafür, dass China seine illegalen Landnahmeversuche im südchinesischen Meer weiter betreibt, obwohl der internationale Schiedsgerichtshof die chinesischen Ansprüche klar zurückgewiesen hat. Xi ist auch für die Unterdrückung der Freiheits- und Demokratiebewegung in Hongkong verantwortlich und somit für einen eklatanten Verstoß gegen das internationale Abkommen mit Großbritannien über die Rückgabe der ehemaligen Kronkolonie. Und er ist der oberste Vertreter des Landes, das versuchte, die WHO zum Büttel der eigenen Vertuschungsversuche über den Ausbruch von Corona in China zu machen, was die Reaktion auf die Pandemie in der ganzen Welt verlangsamte."

"So viel Heuchelei war seit Donald Trump nicht mehr", meint auch Stefan Kornelius in der SZ über den Auftritt Xi Jinpings: "Es sind ja immer wieder die gleichen Spielchen: Erst werden die Begriffe besetzt, dann die Köpfe - und dann wird man sehen, wie weit man kommt. Ein Ziel der chinesischen Offensive sind jedenfalls jene (vor allem Entwicklungs-) Länder, die sich nicht mehr der europäischen oder amerikanischen Vorstellung von Ordnung aussetzen möchten. Xi bietet ihnen eine Ersatzheimat inklusive Wörterbuch der neuen Ordnung. Ziel Nummer zwei sind globale Institutionen, allen voran die UN. Wenn China die Lufthoheit über diese Institutionen bereits für sich reklamiert, dann sollte jemand nachschauen, wie viel ihrer Charta noch in den Vereinten Nationen steckt.
Archiv: Politik

Ideen

In der NZZ warnt der Zukunftsforscher Daniel Dettling vor einer neuen Form der Despotie weltweit, als deren Anführer er Donald Trump und Xi Jinping festmacht: "Die neuen Despoten eint mehr, als sie trennt. Sie geben sich überparteilich und wenden sich gegen die traditionellen Eliten und Parteien. Zwischen ihnen kommt es nicht zufällig zu ungewöhnlichen Kooperationen. So wurde Trumps Kandidatur 2016 von führenden russischen Politikern unterstützt, und auch russische Medien arbeiteten zugunsten von Trump. Nach Trumps Wahlsieg von 2016 unterstützten russische Bots Le Pen in Frankreich und die AfD in Deutschland. Denn es gibt einen gemeinsamen Feind: die liberale Demokratie und ihr Projekt der Globalisierung."
Archiv: Ideen