9punkt - Die Debattenrundschau

Wenn Ihr Nachbar auf der anderen Straßenseite...

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.08.2014. Zwei Fragen, die Amos Oz in der Deutschen Welle stellte, bewegen Medien in den USA und Frankreich. Yahoo erhebt Verfassungsbeschwerde gegen das Leistungsschutzrecht, meldet Netzpolitik. Netzpolitik berichtet auch über die Weigerung Glenn Greenwalds, vor dem NSA-Ausschuss des Bundestags auszusagen. Die taz freut sich über die Wiedergeburt des Marxismus an unerwartetem Ort: den USA. Die NZZ bringt Péter Esterházys beim Pride-Festival in Budapest gehaltene Rede über Toleranz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.08.2014 finden Sie hier

Politik

Sehr von sich reden macht ein Interview, das Dennis Stute (korrigiert) für die Deutsche Welle mit Amos Oz geführt hat - wegen der zwei Fragen, die Oz an den Anfang des Gesprächs gesetzt hat: "Frage 1 - Was würden Sie tun, wenn Ihr Nachbar auf der anderen Straßenseite seinen kleinen Jungen auf den Schoß nimmt und dann mit dem Maschinengewehr in Ihr Kinderzimmer schießt? Frage 2 - Was würden Sie tun, wenn Ihr Nachbar auf der anderen Straßenseite einen Tunnel von seinem Kinderzimmer zu Ihrem Kinderzimmer gräbt, um es in die Luft zu jagen oder Ihre Familie zu entführen?"

Im New Yorker schreibt Philip Gourevitch über dieses Interview und vergleicht Oz" regierungskritische Äußerungen, die auf seine Eröffnungsfragen folgen, mit einem Text des palästinensischen Autors Rashid Khalidi für den New Yorker, der eine vergleichbar selbstkritische Position vermissen lässt. Auch Jeffrey Goldberg nimmt im Atlantic Bezug auf das Oz-Interview: Selbst Israelis der Friedensbewegung sähen keine Alternative mehr zur Ausschaltung der Hamas. Und für Eric Leser in Slate.fr offenbart das Interview die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Konflikts in Israel und außerhalb des Landes.

In der FAS beschreibt der ARD-Korrespondet Richard Schneider, wie schwierig es ist, im Nahost-Konflikt gegen die Macht der Bilder anzukommen, wenn er über Gaza berichtet: "Der Zuschauer sieht das schreiende Kind vor der Leiche seines Vaters - und hört nicht mehr zu. Er sieht umgekehrt verschreckte Israelis, denen es im Vergleich zu Gaza gut geht und denkt: Was regen die sich so auf, es geschieht ihnen doch fast nichts."
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Internet

Yahoo erhebt als erstes betroffenes Unternehmen Verfassungsbeschwerde gegen das kommende Leistungsschutzrecht. Netzpolitik zitiert aus der Pressemitteilung des Konzerns: "Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zum Schutz der Informationsfreiheit und damit auch der Strukturen, die die Informationserlangung garantieren. Daher halten wir das Leistungsschutzrecht mit der im Grundgesetz garantierten Pressefreiheit (Art. 5 GG), ferner der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) für unvereinbar. Nicht zuletzt sind wir der Ansicht, dass das Leistungsschutzrecht aufgrund seiner Unklarheit gegen das Bestimmtheitsgebot verstößt und dadurch zu einer unzumutbaren Rechtsunsicherheit führt."

Die digitale Ökonomie neigt zur Monopolbildung, meint der Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer auf Zeit Online, aber da die Monopole oft nur von kurzer Dauer sind, hält er Google markttechnisch nicht für gefährlich: "Wir raten aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon ab, mit sehr drastischen Mitteln wie der Zerschlagung von Unternehmen zu operieren. Und wir gehen davon aus, dass die Menschen freiwillig eine bestimmte Suchmaschine benutzen und im Prinzip zu einer anderen wechseln können."

Im Tagesspiegel erklärt Christopher Ziedler ausführlich, warum es nun möglicherweise doch zu einem europäischen Kartellverfahren gegen Google kommen könnte.
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Überwachung

Glenn Greenwald (der zur Zeit allerdings auch mehr mit dem Verfassen antiisraelischer Tweets beschäftigt ist) will nicht vor dem NSA-Untersuchungssausschuss aussagen. Netzpolitik zitiert aus seiner Begründung: "Unglücklicherweise haben deutsche Politiker mit ihrer Weigerung, den Schlüsselzeugen - Edward Snowden - persönlich zu befragen demonstriert, dass es ihnen ihnen wichtiger ist, nicht die USA zu verärgern, als eine wirkliche Untersuchung zu führen."

Heribert Prantl erklärt in der SZ, warum die amerikanischen Behörden Edward Snowden eigentlich nicht vorwerfen dürfen, Staatsgeheimnisse verraten zu haben: "Schutzwürdig kann und darf in einem demokratischen Verfassungsstaat nur ein Dienst- oder ein Staatsgeheimnis sein, das mit dem geltenden Recht im Einklang steht. Das Recht darf nicht Unrecht schützen."
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Ideen

Robert Misik beobachtet in der taz mit Begeisterung den amerikanischen Sommer der Marxisten, zu deren Wortführer Benjamin Kunkel mit seiner Zeitschrift n+1 geworden ist: "Vielleicht ist das eigentlich Erstaunliche der marxistelnden Schule um Kunkel und Freunde: Dass sie, anders als wir das in den vergangenen Jahrzehnten von Denkern des Radikalen gewohnt waren, verdammt realistisch und vernünftig sind. Dem antipolitischen Affekt von Occupy kann er genauso wenig abgewinnen wie der direkter Aktion durch führungslose, antihierarchische Bewegungen, wie sie etwa vom Wortführer David Graeber regelmäßig vorgeschlagen wird."
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Europa

Schwere Fehler wirft der Konstanzer Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel in der taz der deutschen Außenpolitik vor, die Moskaus Destablisierungspolitik in der Ukraine mit anhaltender Freundlichkeit belohnte: "Der Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen, Gernot Erler (SPD), warnt nun nicht etwa Russland, seine Politik des Bürgerkriegsexports fortzusetzen, sondern die Ukraine, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Putin, so Erler allen Ernstes, habe die russischsprachige Bevölkerung unter seinen Schutz genommen. Und wenn die Separatisten an den Rand einer Niederlage kämen, könne niemand ein direktes russisches Eingreifen über die Grenze hinweg ausschließen. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass die Bundesregierung Putin die Rechtfertigung eines offenen Krieges gegen die Ukraine durch ihren Beauftragten frei Haus liefern lässt."
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Geschichte

Für die FAZ liest der Germanist Helmuth Kiesel im Rahmen eines Selbstversuchs Hitlers "Mein Kampf" und stößt auf "eine über fast achthundert Seiten sich erstreckende Aufblähung eines Einzelnen zum historisch-politischen Alleswisser und Alleskönner".
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Stichwörter: Hitler, Adolf, Mein Kampf

Gesellschaft

Online ist jetzt Péter Esterházys Rede zur Eröffnung des schwulen Kulturfestivals Budapest Pride. Zehn Punkte zur Toleranz zählt er auf, die NZZ hat sie abgedruckt. Hier Punkt 7: "Wenn die Gesellschaft in ihren Reflexen nicht tolerant ist, funktioniert sie in ihrer Intoleranz auch nicht und hat dann auch für sie keine beruhigende Übereinkunft."
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Stichwörter: Esterhazy, Peter, Toleranz