9punkt - Die Debattenrundschau

Ganz besonders gelungene Geschichte

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.11.2014. Verantwortung ist ein Grund für die Übergabe des Gurlitt-Erbes. Angst ist ein anderer, meint die Jüdische Allgemeine. Hermann Parzinger wendet sich in der FAZ gegen Jutta Limbachs Vorschlag, dass sich Museen von den Nazis als "entartet" verfemte Kunstwerke zurückgeben. Auf Google Plus erklärt Jeff Jarvis, warum seine Polemik gegen die deutsche "Technopanik" in Zeit online und nicht in der FAZ erschien. Maßgebliche Europapolitiker, die für eine Zerschlagung von Suchmaschinen kämpfen, sind auch maßgebliche Juristen in maßgeblichen Kanzleien maßgeblicher Lobbyorganisationen, hat Zeit online herausgefunden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.11.2014 finden Sie hier

Kulturpolitik

Von Verantwortung war bei der Übergabe des Gurlitt-Erbes an das Kunstmuseum Bern viel die Rede. Es spielen aber noch andere Beweggründe eine Rolle - zum Beispiel Angst, meint Michael Wuliger in der Jüdischen Allgemeinen: "Der moralische wie materielle Preis für den Besitz von Raubkunst ist in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen. Das verdankt sich einer Gruppe, die hierzulande einen denkbar schlechten Ruf hat: Anwälte, vor allem jüdische und aus den USA, die mit allen Finessen Rückgabeverfahren betreiben. Es ist die Sorge, um nicht zu sagen, Angst davor, sich mit ihnen Ärger einzuhandeln, die viele Gewissen schlagen lässt."

"Das sind die Gurlitt-Bilder", ruft der Tages-Anzeiger inzwischen und präsentiert zwei Listen mit den vom Kunstmuseum Bern geerbten Werken, als pdf-Dokumente hier und hier.

Hermann Parzinger, Präsident der Preußen-Stiftung wendet sich in der FAZ gegen Jutta Limbachs Vorschlag, dass Museen sich von den Nazis als "entartet" verfemte Kunst gegenseitig zurückgeben. Es sei inzwischen gelungen, "mit großem finanziellem Aufwand, enormem bürgerschaftlichem Engagement und beeindruckenden wie berührenden Schenkungen und Dauerleihgaben die Lücken in den Museen zumindest teilweise wieder zu schließen. Dabei sind neue Sammlungszusammenhänge entstanden, die - folgte man dem Vorschlag Jutta Limbachs - wieder aufgebrochen werden müssten. Ist wirklich unaufrichtig, wer das Rad nicht zurückdrehen möchte?"

Währenddessen geht eine andere Rückerstattung enteigneter Kunstschätze still und leise über die Bühne, berichtet Andreas Förster in der FR. Am kommenden Sonntag endet die sogenannte "2014er Regelung", nach der das 1945 im Rahmen der Bodenreform enteignete Kulturgut an die Adelsfamilien restituiert werden muss, sofern in den letzten zwanzig Jahren keine einvernehmliche Lösung zwischen Neu- und Altbesitzern gefunden werden konnte. "Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, nennt das einen "außerordentlichen Heilungsprozess der deutschen Geschichte... Dass man den Familien ihr rechtmäßiges Eigentum zurückgegeben und gleichzeitig die Möglichkeit einer Einigung geschaffen hat, die ostdeutsche Museen und Stiftungen vor einem Kahlschlag bewahrt hat, ist eine ganz besonders gelungene Geschichte der Wiedervereinigung.""

Außerdem denkt Reinhard J. Brembeck in der SZ darüber nach, weshalb an vielen Opernhäusern gespart wird, aber gleichzeitig immer neue Konzertsäle entstehen.
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Europa



Ganz Paris diskutiert über das geplante, herbeigesehnte und gefürchtete "Groß Paris". Libération bringt eine Fotostrecke von Lionel Charrier mit kontrastierenden Panoramen aus der dereinst eingemeindeten Banlieue.

Hoffnungsfroh schreibt die junge Politologin Mayte Schomburg, Initiatorin der Diskussionsplattform Publixphere, in der Europa-Diskussion bei Carta über das Internet als Gamechanger für eine europäische Bürgergesellschaft, "da es das Knüpfen und Aufrechterhalten grenzüberschreitender Beziehungen erleichtert. Nicht nur für junge Europäer ist das Internet schon längst auch die Brücke ins europäische Ausland. Digitalisierung des kulturellen Erbes, freie Zugänglichkeit europäischer Medien, und eine unendliche Vielzahl transnational organisierter zivilgesellschaftlicher Akteure und Netzwerke weben den europäischen Teppich immer enger - in wirtschaftlicher, kultureller und ziviler Hinsicht."
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Überwachung

Sascha Lobo weist in seiner Spiegel-Online-Kolumne darauf hin, dass die Spionagesoftware Regin von Virenscannern erkannt und ausgeschaltet wird: "Aus Sicht der durchgedrehten, antidemokratischen Geheimdienste ist das eine neue Qualität. Ein Standardprodukt für Normalanwender setzt eine extrem teure und aufwendige digitale Waffe außer Gefecht."
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Internet

Das Europaparlament hat in einer nicht bindenden Resolution dafür gestimmt, Googles Suchmaschinengeschäft von anderen Unternehmensbereichen abzutrennen. In der taz fasst Eric Bonse die Befürchtung der Grünen- und Piraten-Abgeordneten zusammen, dass es in der Entschließung vor allem darum geht, auf Kosten von Netzneutralität und Verbraucherschutz das deutsche Leistungsschutzrecht durchzusetzen. Vorgebracht wurde die Resolution unter anderem vom CDU-Politiker Andreas Schwab - was nicht ganz unheikel ist, wie Zeit Online feststellt: "Schwab selbst hatte mit einer Nebentätigkeit bei der Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle Aufmerksamkeit erregt. Diese vertritt unter anderem den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der zu den Beschwerdeführern in den EU-Wettbewerbsermittlungen gegen Google zählt. Schwabs Büro bestätigte, dass er die Kanzlei "gelegentlich zu verschiedenen europarechtlichen Themen" berate, jedoch keine eigenen Mandate als Rechtsanwalt übernehme."

Am Ende würden wahrscheinlich doch die Nutzer am meisten unter einer Zerschlagung von Google leiden, befürchtet Johannes Boie in der SZ: "Wer darüber nachdenkt, muss sich auch überlegen, was den Platz der Google-Suche einnehmen würde, wenn man sie Google ganz entreißen würde. Eine öffentliche, europäische Suchmaschine, wie sie jetzt von Google-Kritikern gefordert wird? Das Ergebnis dieser Idee wäre ein Produkt, das nicht halb so gut funktionieren würde wie die Google-Suche, das aber eine digitale Grenze in den transatlantischen Wirtschaftsraum einziehen würde, ein Schritt Richtung Protektionismus."
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Medien

Auf Google Plus erklärt Jeff Jarvis, warum seine Polemik gegen die deutsche "Technopanik" gestern in Zeit online erschien (unser Resümee): "Ich habe das Stück zuerst der Frankfurter Allgemeinen angeboten, denn diese Zeitung stand an vorderster Front der deutschen Antitechnologie-Bewegung, und ich dachte, sie wäre vielleicht an einer Diskussion interessiert. Auch hatte die FAZ eine 8.000-Wörter-Attacke gegen mich publiziert, so dass meine 3.000 Wörter eine billige Abzahlung wären. Aber die FAZ wollte es nicht publizieren."

Auf einer ganzen Seite darf in der FAZ Stephan Richter, Betreiber der Website The Globalist, in 45 numerierten Argumenten ausbreiten, warum Amerika nicht mehr funktionieren kann. Wegen der geringen Wahlbeteilgung bezweifelt der Autor gar, dass das Land eine Demokratie sei.
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Politik

Nirgends in der Welt ist die Unterdrückung der Frauen schlimmer als in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie in Nordafrika, weiß Alan Posener in der Welt nach Lektüre eines OECD-Berichts: "Zwei Drittel der Länder in der Region haben gar keine Gesetze gegen sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt oder Vergewaltigung. Insgesamt erleiden in der Region 7,2 Prozent der Frauen die Verstümmelung ihrer Genitalien. Im Yemen sind es 91 Prozent. Nur vier Prozent der Frauen haben das Recht, Land zu besitzen." Das einzige Land der Region, das positiv heraussticht, Israel, wird in der Studie aus unklaren Gründen nicht berücksichtigt.
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