9punkt - Die Debattenrundschau

Mit russischem Geld

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.01.2022. Die Ampelkoalition will den Paragrafen 219a abschaffen, aber was ist mit Paragraf 218, fragt die taz. Deutsche Politiker informieren die Russen im Moment vor allem darüber, was im Fall eines Angriffs auf die Ukraine nicht in Betracht kommt: ein Stopp von Nord Stream 2, Waffenlieferungen an die Ukraine und Swift als Druckmittel. Aber wie würde Deutschland dann agieren, fragt die SZ. Die SPD ist im Moment vor allem eine Nord-Stream-2-Parte, konstatiert der Spiegel. taz und FAZ berichten über Boris Johnsons Attacken auf die BBC.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.01.2022 finden Sie hier

Europa

Die Ampelkoalition will den Paragrafen 219a abschaffen, der es ÄrztInnen verbot, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Eine Erleichterung, ist das, kommentiert Patricia Hecht in der taz, aber nur eine halbe, denn der Paragraf 219a war nur "Detail eines viel größeren Übels: Des Fortbestehens des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, der seit über 150 Jahren Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert. Es ist eine Besonderheit der deutschen Debatte, dass es in den letzten Jahren nicht, wie in vielen anderen Ländern, um die Frage ging, ob Schwangerschaftsabbrüche endlich legalisiert werden. Sondern schlicht darum, ob Ärzt:innen darüber informieren dürfen, dass und wie sie vorgenommen werden." Hier Hechts Bericht über den "langen Weg zur Abschaffung". Außerdem gibt es in der Sache noch Verfahren, die am Bundesverfassungsgericht anhängig sind, so Christian Rath.

Wenn die Bundesregierung wirklich einen Krieg mit Russland verhindern helfen will, muss sie in ihrer Außenpolitik etwas klarer werden, fordert Daniel Brössler in der SZ und deutlich vermitteln, was der Preis für einen Einmarsch in die Ukraine wäre: "Mit einem Aus für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 will [Olaf Scholz] nicht drohen. ... Aus der Opposition heraus entdeckt die Union Argumente für jene Waffenlieferungen an die Ukraine, von denen Angela Merkel als Bundeskanzlerin nichts wissen wollte (woran auch Olaf Scholz und Annalena Baerbock festhalten). Ein Abkoppeln Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift ist dem künftigen CDU-Chef Friedrich Merz wiederum zu gefährlich - eine Meinung, die in großen Teilen der Ampelkoalition geteilt werden dürfte. Im Ergebnis übermittelt Deutschland nach Moskau, was alles gerade nicht infrage kommt: ein Stopp von Nord Stream 2, Waffenlieferungen an die Ukraine und Swift als Druckmittel."

Die SPD ist zur Nord-Stream-2-Ermöglichungspartei geworden, kommentiert  Mathieu von Rohr im Spiegel: "Wie problematisch das Verhältnis von Teilen der SPD zu Russland ist, dafür steht besonders anschaulich Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Sie ließ es sich nicht nehmen, zur Vollendung von Nord Stream 2 eine sogenannte Umweltstiftung mit russischem Geld zu gründen, um auf diesem Weg die amerikanischen Sanktionen zu umgehen und sogar mit einem eigenen Schiff die Pipeline zu Ende zu bauen. Mit russischem Geld werden ansonsten in Europa gern rechtspopulistische Parteien finanziert - und jetzt fließt es halt in die Stiftung einer SPD-geführten Landesregierung."

Der AfD-Mann Jens Maier gehört zum rechtsextremen "Flügel" der Partei. Nach seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter will er in Sachsen wieder Richter werden, ein Skandal, meint der Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano im Gespräch mit Gareth Joswig von der taz. Agieren müsse das sächsische Justizministerium unter der Grünen-Politikerin Katja Meier: "Wenn das Justizministerium vor dieser Tatsache die Augen verschließt und stur aufs Abgeordnetengesetz und die Bundeszuständigkeit verweist, dann ist das alarmierend. Das Ministerium selbst scheint Teil des Rechtsextremismusproblems in Sachsen zu sein. Ihre vollmundige Ankündigung, den Rechtsextremismus in Sachsen bekämpfen zu wollen, kann die Ministerin offenbar nicht einmal im eigenen Haus umsetzen."

Außerdem: Bora Cosic denkt in der NZZ darüber nach, was eine Geschichte wie das Verbot für den ungeimpften Novak Djokovic, an den Australian Open teilzunehmen, für ein kleines, von seiner Geschichte und seinen dunklen Leidenschaften gebeuteltes Land wie Serbien bedeutet.
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Kulturpolitik

In der SZ erzählt Catrin Lorch am Beispiel der Sammlung von Richard Stein, wie oft sich deutsche Ämter und Stiftungen auch heute noch bei Raubkunst in einem Nebel aus Zuständigkeiten und Nichtwissen verschanzen. Einige der verschollenen Gemälde der Sammlung sollen laut Unterlagen des Erben Felix Bloch im Georg Schäfer Museum in Schweinfurt sein. Doch dort mauert man seit Jahren: "Auf Anfragen der Blochs antwortet Museumsdirektor Wolf Eiermann, in seiner Sammlung befinde sich das Waldmüller-Gemälde nicht. Dem Eintrag im Werkverzeichnis Feuchtmüllers zum Trotz wisse man nicht mehr, so die Stiftung." Auch die Familie weiß nichts, sagt sie. "Doch wie kann das alles sein? Georg Schäfer hat zeitlebens kein Bild verkauft, erst drei Jahre nach seinem Tod haben die Erben Hunderte Spitzenstücke versteigert, zugunsten der Gründung der Stiftung. Hätte die Familie nicht anbieten können, nach Unterlagen aus dieser Zeit zu suchen? Ein Gemälde wie 'Mutter mit Kindern unter einem Blütenstrauch' ist jedenfalls zu groß und zu kostbar, um verloren zu gehen."

In der Welt kritisiert der Historiker Hubertus Knabe scharf das 340 Seiten dicke Dossier des Politikwissenschaftlers Felix Sassmannshausen, der im Auftrag des Berliner Senats Straßennamen mit "antisemitischen Bezügen" in Berlin gesucht hat und dabei von Martin Luther bis Schenk Graf von Stauffenberg fündig wurde. Knabe findet das absurd: "Ein solches Vorgehen kennzeichnete bisher vor allem totalitäre Regime. So ließen die Nationalsozialisten, als sie an die Macht kamen, systematisch sozialistische und jüdische Namen aus dem Straßenbild tilgen. Auch in der DDR ordnete die SED flächendeckende Umbenennungen an. ... Auch die Methodik des Papiers erinnert an dunkle Zeiten. Anders als bei vergleichbaren Studien handelt es sich nicht um ein wissenschaftliches Gutachten, das bewusst auf Handlungsempfehlungen verzichtet. Vielmehr werden oftmals private Äußerungen und vage Verdächtigungen herangezogen, um ein vernichtendes Urteil zu fällen. Manchmal stimmen nicht einmal die Fakten - wie die Behauptung, die beiden ersten Strophen des Deutschlandliedes seien 'aufgrund ihres aggressiven Nationalismus und revanchistischen Gehalts' verboten worden. Ihr Verfasser, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, findet sich ebenfalls auf der Liste."
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Geschichte

Eine Autorengruppe behauptet, herausgefunden zu haben, wer Anne Frank verraten hat - das Buch ist in den Niederlanden und auf Englisch erschienen und kommt bald auch auf Deutsch, berichtet Thomas Gutschker in der FAZ. Es handelt sich um den Notar Arnold van den Bergh, der selbst Mitbegründer des Jüdischen Rates war. "Er versuchte, seine eigene Familie zu schützen. Doch im Sommer 1944 geriet er selbst unter Druck - und soll Adressen von Verstecken verraten haben. Der Rat wusste davon, er leitete auch die Post von Häftlingen weiter, die an ihre untergetauchten Familienmitglieder schrieben. Die besonderen Umstände scheinen die Spur zu erhärten. So ging der Hinweis auf das Versteck bei einem hohen Beamten des Sicherheitsdienstes (SD) der Nationalsozialisten ein, den nur jemand wie Van den Bergh direkt habe anrufen können." Mehr in der Jüdischen Allgemeinen.
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Stichwörter: Frank, Anne

Medien

Boris Johnson attackiert die BBC, berichtet Steffen Grimberg in der taz. Auch in Deutschland sollen die Anstalten reformiert werden, Bürger durften sich mit Vorschlägen beteiligen, zeigten allerdings kein besonderes Interesse: "Zwar kann von einer wirklich breiten gesellschaftlichen Debatte über Sinn, Zweck und künftigem Zuschnitt der öffentlich-rechtlichen Medien leider keine Rede sein. Doch Johnsons Frontalangriff auf die BBC wird bei den medienpolitischen Entscheidungsträger*innen eher dafür sorgen, dass sie den Anstalten den Rücken stärken. Wohl keinE Politiker*in möchte in diesen Tagen in einem Atemzug mit Boris Johnson genannt werden."

Die BBC ist auch in der FAZ Thema. "Im Jahr 2027 läuft die dem deutschen Rundfunkvertrag vergleichbare Royal Charter aus, die seit 1927, fünf Jahre nach der Gründung des traditionsreichen Senders, alle zehn Jahre neu verhandelt wird", erläutert Gina Thomas im Feuilletonaufmacher. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass das Gebührenmodell ganz abgeschafft wird und sich die BBC danach anders finanzieren soll.
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