9punkt - Die Debattenrundschau

Da kommt schon ein Torpedo

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.04.2014. In der huffpo.fr erklärt die Femen-Aktivistin Inna Schevchenko, warum sie Angst hat vor den Faschisten in der Ukraine - wegen Putin. In der Zeit streiten Mely Kiyak und Michail Schischkin mit Außenminister Steinmeier über Russland. Die Zeit will nicht immer über Google jammern, sondern was tun, während die Software-Pionierin  Shoshana Zuboff in der FAZ Mathias Döpfner nur zustimmen kann. Der Tagesspiegel staunt über Michel Houellebecqs Vorschläge zur Reform der Demokratie in Frankreich.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.04.2014 finden Sie hier

Europa

Die Femen-Aktivistin Inna Schevchenko bekennt in einem Blogbeitrag für die huffpo.fr ihre Angst vor den Faschisten in der Ukraine: Zwar "haben nicht sie die Revolution gemacht, und sie standen nicht mal in vorderster Linie. Aber ich bekenne, ich habe Angst, obwohl sie lächerlich minoritär sind. Ich fürchte, dass ihre bloße Existenz von Putin auf intelligente Weise ausgebeutet wird, der die ukrainische Revolution als 'Bandera-Revolution' bezeichnet und sie zum Vorwand für militärische Interventionen nimmt. Ich zittere, wenn europäische Politiker den Rechtsextremisten Oleh Tjahnybok als Repräsentanten der ukrainischen Opposition betrachten, wo er nur eine faschistische Minderheit repräsentiert, mehr nicht."

Einen Schlagabtausch über Europa liefern sich die beiden Schriftsteller Mely Kiyak und Michail Schischkin in der Zeit mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Vor allem Schischkin bringt Steinmeiers Blumigkeit auf die Palme: "Mir kommt es merkwürdig vor, wenn wir in diesen Tagen abstrakt über Europa und Kultur diskutieren. Heute ist Europa ein Schiff, und der Krieg ist schon da, und da kommt schon ein Torpedo - wir wissen nicht, ob der Torpedo das Schiff Europa erreicht oder nicht. Wir wissen nicht, was morgen geschieht. Die Leute, die diesen Torpedo schicken, das sind auch Schriftsteller! Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Schriftsteller in Russland die Annexion der Krim in einem offenen Brief an Putin unterstützt haben. Sie können sich die aufgeladene Atmosphäre in Russland nicht vorstellen."

Im Interview mit Alice Bota spricht der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jaseniuk ebenfalls in der Zeit über die Lage im Osten des Landes seine Abhängigkeit von den Oligarchen: "Ich kann nicht jedes Problem sofort lösen. Zivilisten sterben in diesem Land, und Sie fragen nach den Oligarchen? Ich brauche deren Unterstützung, damit ich irgendwie diese Situation in der Ostukraine lösen kann. (dreht sich um und geht)"

Noch viel schlimmer als Gerhard Schröders Geburtagstagsfeier mit Putin findet Jürgen Roth in der taz das Schweigen der SPD dazu: "Das Fatale ist, dass seine Saat aufzugehen scheint."
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Urheberrecht

Spiegel Online und andere Medien melden, dass der C.H. Beck Verlag die Auslieferung des Buchs "Große Seeschlachten" von Arne Karsten und Olaf Rader stoppt. Der Verlag hat die in einem Facebook-Post von Arne Janning vorgebrachten Vorwürfe gegen das Buch gründlich geprüft und ausschließlich in Kapiteln von Olaf Rader einige nicht nachgewiesene Wikipedia-Zitate gefunden: "Als 'besonders problematisch' habe sich jedoch das neunte Kapitel zum Thema Trafalgar ergeben. Dort werde der Schlachtablauf angelehnt an den 2003 von Thomas Siebe im Internet publizierten Artikel 'Mythos Trafalgar' erzählt. 'Die Quote der sehr ähnlichen Formulierungen beläuft sich hier auf rund 10 Prozent', heißt es in der Stellungnahme."
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Politik

Genau ein Jahr ist es her, seit Google das Syntagma "Palästinensische Gebiete" durch "Palästina" ersetzte und damit die Existenz Palästinas anerkannte. Xavier de La Porte erzählt aus diesem Anlass auf Rue89 die kleine Geschichte der komplizierten Existenz Palästinas im Internet. So habe bereits die Anerkennung der "besetzten palästinensischen Gebiete" durch die UNO zu der noch nie dagewesenen Situation geführt, dass eine politische Einheit ohne geografische Grenzen im technologischen Raum einer formellen internationalen Anerkennung gegenübersah. "Viele betrachteten diese Technologien und insbesondere das Internet als DEN Ort, in dem heute ein palästinensischer Staat existiert. Ich zitiere [die Amsterdamer Medienforscherin] Anat Ben-David: 'Die offizielle Repräsentation Palästinas im Internet wird von palästinensischen Offiziellen deshalb als eine höchst bedeutsame und nie dagewesene Möglichkeit wahrgenommen, ein 'Cyber-Land' zu schaffen, einen idealisierten und imaginierten Cyberspace, der als Modell für einen künftigen Staat auf dem Gebiet fungiert.'"
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Internet

Nicht immer nur über Google jammern, fordert Götz Hamann in der Zeit, "denn wer sagt, er sei ohnmächtig, lässt sich bald wirklich hängen." Man könnte ja auch einfach mal was tun, zum Beispiel Googles Machtmissbrauch und den Umgang mit Daten von der EU überprüfen lassen. Die hat zwar schon mal versagt, aber wenn die Wettbewerbshüter "jetzt mit der Technik und dem Geschäftsmodell von Google überfordert sind, was hindert Berlin, was hindert Brüssel, eine Expertentruppe aufzubauen? Sie mit entsprechenden EU-Richtlinien und Gesetzen auszustatten? Die Amerikaner haben das mit ihrer Federal Communications Commission längst getan. Liegt es an der Allmacht von Google, wenn so etwas in Europa nicht existiert? Sicher nicht."

Die Software-Pionierin Shoshana Zuboff kann Mathias Döpfner, der neulich seine große Angst vor Google bekannte und die EU aufrief, sie ihm zu nehmen, in der FAZ dagegen nur recht geben. Sie sieht Google auf dem Weg zur absoluten Macht: "Es geht nicht nur darum, alles zu sehen wie Gott; es geht um eine gottgleiche Macht, die Realität zu gestalten und zu kontrollieren. Google Glass, intelligente Kleidung und selbststeuernde Autos dienen einem eindeutigen Ziel: Sie sollen darüber informieren, wo man war und wo man ist, und sie sollen Einfluss darauf nehmen, wohin man geht."

Der Roboterjournalismus beginnt Felder standardisierter Berichterstattung, etwa in Sport oder Wirtschaft, zu erobern. Lorenz Matzat gibt bei Netzpolitik Hintergrundinformationen zu diesem Thema: "Die Methoden des Roboterjournalismus" könnten beispielsweise eingesetzt werden, um eine automatisierte Factchecking-Schleife für Beiträge vor Veröffentlichung zu haben; könnten helfen, die Qualität zu heben. Könnten andererseits aber auch dazu dienen, um das Internet zuzumüllen oder gar systematisch und anhaltend Fakten zu verzerren oder weitflächig zu manipulieren. Etwa durch koordiniertes und nimmermüdes Bearbeiten der Wikipedia auch über Sprachräume hinweg."
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Gesellschaft

Tobias Kniebe bespricht in der SZ das Buch "Flash Boys" des Wirtschaftsjournalisten Michael Lewis über das Treiben der Hochfrequenzhändler an den Finanzmärkten, die durch superschnelle Technik unfaire Vorteile suchen: "Die heimlichen Herrscher der Black Boxes haben Spuren in der physischen Welt hinterlassen, weil sie zum Beispiel darauf bestanden, eine Datenleitung direkt durch den harten Fels der Allegheny Mountains in Pennsylvania zu bohren, um beim Informationsfluss zwischen den Handelsplätzen New York und Chicago ein paar Millisekunden Vorsprung zu gewinnen."

Michel Houellebecq hat nachgedacht und im Magazin Lui (aber nicht online) seinen Plan zur Verhinderung eines Bürgerkriegs in Frankreich unterbreitet, wie der Tagesspiegel berichtet: "Als Lösung wolle er zunächst die direkte Demokratie allgemein einführen, indem das Parlament abgeschafft werde, sagte Michel Houellebecq. Auch mit der fünfjährigen Amtszeit von Frankreichs Staatschefs solle es ein Ende haben: 'In meinen Augen sollte der Präsident auf Lebenszeit gewählt werden, aber nach einem einfachen Referendum auf Initiative des Volkes sofort abgesetzt werden können."
Archiv: Gesellschaft

Kulturpolitik

In der Welt fürchtet sich Eckhard Fuhr vor Restitutionsansinnen in Ethnologischen Museen. Anlass ist der Berlin-Besuch zweier Schamanen der Kogi-Indianer aus Kolumbien, die gern ihre Kultmasken zurückhätten: "Noch gibt es keine große öffentliche Debatte um den Status von Objekten, die im Zeitalter des Kolonialismus in europäische Museen gelangten und dort jetzt die 'Kulturen der Welt' repräsentieren, obwohl sie im Kontext ihrer Herkunftskultur ihre ursprüngliche, gar nicht museale Bedeutung noch besitzen."
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Weiteres

Die Islamwissenschaftlerin Sarah Eltantawi versucht in der taz die Theologie der Muslimbrüder zu ergründen. In der Welt erinnert Marc Reichwein an das Konzil von Konstanz vor 600 Jahren, dem ebendort eine Ausstellung gewidmet ist - hier wurde zum einzigen Mal auf deutscem Boden ein Papst gewählt. Die Übersetzerin Christiane Körner hat sich von Freunden über die Situation im ukrainischen Slawjansk erzählen lassen und berichtet in der FAZ. Ebenfalls für die FAZ besucht Markus Bickel den syrischen Oppositionssender Hawa Smart und erzählt, wie Journalisten in diesem Krieg zwischen alle Fronten geraten können. Im Dossier der Zeit spricht Giovanni di Lorenzo mit der Journalistin und Auschwitz-Überlebenden Renate Lasker-Harpprecht. In der SZ bespricht Volker Breidecker eine Ausstellung über den Staatsanwalt Fritz Bauer, der den großen Auschwitz-Prozess in den sechziger Jahren in Gang brachte, im Jüdischen Museum Frankfurt.
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