9punkt - Die Debattenrundschau

Männer, die ausschließlich weibliche Kinder zeugen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.02.2014. Die Gegner Salman Rushdies haben eine Schlacht verloren, aber einen Krieg gewonnen, meint Kenan Malik in einem Essay zum 25. Jahrestag der Morddrohung gegen den Autor. Aus dem Ersten Weltkrieg kann man nun wahrlich kein Argument gegen die EU drechseln, findet Adam Krzeminski in der Welt. Durch viele Straßen Ungarns mag man nach einem Artikel György Dalos' in der NZZ kaum mehr schreiten. Die SZ empfiehlt deutschen Angsthasen die kontroverse Europa-Debatte in den Niederlanden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.02.2014 finden Sie hier

Religion

In einem längeren Essay zum 25. Jahrestag der der Morddrohung gegen Rushdie zieht Kenan Malik auf seinem Blog Pandaemonium die Konsequenzen: "Dank der Fatwa wurde die Rushdie-Affäre zum wichtigsten Streit über Meinungsfreiheit der modernen Zeit. Sie wurde zu einer Wasserscheide in Bezug auf unsere Einstellung zu diesem Wert. Rushdies Kritiker verloren eine Schlacht - die 'Satanischen Verse' sind nach wie vor in Umlauf. Aber sie gewannen einen Krieg. Das innerste Argument des Rushdie-Falls - dass es moralisch inakzeptabel ist, andere Kulturen zu beleidigen - ist nun weithin verinnerlicht." Sein Beispiel ist der Rückzug von Wendy Donigers Buch "The Hindus: An Alternative History" nach Protesten in Indien (mehr dazu hier).
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Internet

Für den FAZler Thomas Thiel steht es nach Lektüre eines neuen Buchs des Intenetskeptikers Jaron Lanier endgültig fest: "Was man sich von der Digitalisierung an individuellem Souveränitätsgewinn und demokratischem Aufbruch versprach, ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Auf der anderen Seite steht die ungebrochene Erfolgsgeschichte der großen Netzwerke, die ein Zwangssystem etabliert haben, das auf systematischer Entrechtung und Ausbeutung beruht."

Svenja Bergt fürchtet in der taz, dass das Internet der Dinge nicht nur die Daten an die Konzerne ausliefert, sondern dem Menschen die Autonomie nimmt: "Das Leben wird bequemer. Doch wo Programme das Leben vorplanen, steigt auch der Rechtfertigungsdruck bei einer Entscheidung gegen das System, die sich später als falsch erweist. Einfacher ist es, sich den Algorithmen zu beugen.
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Gesellschaft

Der Psychoanalytiker und Schriftsteller Sudhir Kakar erklärt in der NZZ, dass die Kriminalisierung homosexueller Beziehungen in Indien den traditionellen Auffassungen widerspricht, nach denen Homosexualität eher mit einem Stigma der Defizienz belegt und von "Mitgefühl" begleitet war: "Schwule zählten zu einer Klasse von Männern, die auf Sanskrit 'kliba' genannt wurden; der Begriff stand für eine ganze Reihe unterschiedlicher Defizite: für Sterilität, Impotenz, Kastratentum, für Männer mit verstümmelten oder mangelhaft ausgebildeten Geschlechtsorganen und Hermaphroditen; für Transvestiten, Männer, die oralen oder - als passive Partner - analen Geschlechtsverkehr mit anderen Männern hatten, und schließlich auch für solche, die ausschließlich weibliche Kinder zeugten."

In der taz bilanziert Malte Göbel das queere Programm der Berlinale, dem er eine eindeutige Schlagseite attestiert: "Fast alle der Filme handeln von Schwulen. Es gab ein paar Beiträge mit Trans-Thematik, aber Lesben? Fehlanzeige. ... 'Frauen, macht mehr Filme! Nehmt eure iPhones, tut etwas!', flehte auch der Präsident der Teddy-Jury, Marten Rabarts."

Zum Fall Edathy schreibt Thomas Schmid in der Welt: "Es gibt in der Bundesrepublik das Institut der Unschuldsvermutung. Gerade wenn es um so Abscheuliches wie Kinderpornografie geht, ist hier äußerste Umsicht geboten. Solange jemand eines Vergehens oder Verbrechens nicht überführt und deswegen verurteilt ist, bleibt er unschuldig und im Besitz aller Bürgerrechte."
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Geschichte

Adam Krzeminski greift in die Welt-Debatte um den Ersten Weltkrieg ein und antwortet auf den Artikel von vier Intellektuellen, die angesichts der relativierten deutschen Kriegsschuld die ganze EU einkassieren wollten: "Nun muss die Durchlöcherung der deutschen Alleinschuld 1914 ja nicht zwangsläufig der EU eine moralische Rechtfertigung entziehen, wie die vier Autoren des Welt-Manifestes andeuten. Im Gegenteil: Die Verteilung der Schuldfrage für den Ersten Weltkrieg auf mehrere Akteure verschärft nur die europäische Verantwortung für das europäische Krisenmanagement heute."

Der Autor György Dalos erklärt in der NZZ die heikle Vergabe von Straßennamen in Ungarn, wo die nationalkonservative Regierung zwar die kommunistischen Altlasten loswerden möchte, aber kaum auf eigene historisch unbedenkliche Vorbilder zurückgreifen kann: "Obwohl in den westlichen Medien in diesem Kontext der Name Horthy am häufigsten erwähnt wird, besitzt der Reichsverweser nur insgesamt vier Statuen. Der eigentliche Gewinner der Eroberung des symbolischen Raums ist der rechtslastige, in Rumänien als Kriegsverbrecher verurteilte, 1995 verstorbene Exilautor Albert Wass von Czege, dem seine Fans bis Ende 2012 34 Denkmäler erbauen liessen - manche davon auf dem nach ihm benannten Platz vor dem Kulturhaus, das seinen Namen trägt. Der andere Meistbegünstigte war der militant antisemitische Bischof der Zwischenkriegszeit, Ottokár Prohászka, an den allein in Székesfehérvár neun Straßen bzw. Denkmäler erinnern."
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Europa

Thomas Kirchner empfiehlt den Deutschen in der SZ, die offene Europa-Debatte in den Niederlanden zur Kenntnis zu nehmen, wo etwa der linksliberale Europa-Befürworter Geert Mak zusammen mit dem jungen Nationalkonservativen Thierry Baudet ein Buch schrieb, um die Frage zu erörtern. Im Hintergrund steht die Erfahrung des Populismus: "Die etablierten Parteien lernten, dass es sinnlos ist, Leute wie Wilders zu dämonisieren, sie versuchten gar - vergeblich -, sie einzubinden in die Verantwortung. Das hat zwar den Aufstieg der Populisten nicht verhindert, aber das Explodieren des Kessels. Die Lektion jedenfalls haben viele gelernt: Wenn wir nicht hören und akzeptieren, was die Menschen wirklich umtreibt, verlieren wir sie ganz."
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Weiteres

Wolfgang Büchner macht sich beim Spiegel als Chefredakteur nicht unbedingt nur beliebt, meldet turi2 unter Bezug auf einen Artikel Kai-Hinrich Renners im Handelsblatt.

In der SZ erzählt Thorsten Schmitz nebenbei aus der deutschen Klassengesellschaft, wie Springer-Chef Mathias Döpfner bei der Berlinale zwei Kinozuschauerinnen von ihren Plätzen vertreiben ließ.

Joseph von Westphalen denkt für seine Kolumne in der Abendzeitung über das Wörtchen "gern" nach, dass ihm beim Augustiner in der Neuhauser und überhaupt überall immer häufiger begegnet: "Anzunehmen, dass Angela Merkel mit ihrem Handy ziemlich häufig vertraute Mitarbeiter um einen Gefallen bittet: Such' mir doch mal bitte übers Wochenende raus, was ich vor 5 Jahren auf dem Parteitag zum Thema Steuersenkung gesagt habe. Anzunehmen, dass der Mitarbeiter 'Scheiße' denkt und 'gerne' sagt. Hier könnte der amerikanische Geheimdienst NSA für die Sprachforschung hilfreich sein und seine Ergebnisse zur Verfügung stellen: seit wann, wie oft, in welchem Maß zunehmend haben abgehörte deutsche Politiker in den letzten Jahren das Wort 'gern' zu hören bekommen?"
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