9punkt - Die Debattenrundschau

Fünf Euro je Student

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.07.2014. In der FR erinnert Jürgen Osterhammel daran, dass Hunderttausende von Soldaten aus den Kolonien im Ersten Weltkrieg kämpften. Spanien besteuert jetzt Hyperlinks, berichtet Heise.de. Europa ist nicht die Schweiz, ruft Adam Michnik In Le Monde. Überall wird weiter über Israel und die Hamas und den neuen Antisemitismus gestritten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.07.2014 finden Sie hier

Politik

In der NZZ erkennt Marc Zitzmann in den antiisraelischen Ausbrüchen der französischen Vorstädte eine neue Spielart des Antisemitismus, der sich weder aus alten Ressentiments noch aus neuer Benachteiligung speist: "Hauptregisseur des Remakes dieses Gruselfilmklassikers, der auf den "Protokollen der Weisen von Zion" basiert, ist hierzulande der "Komiker" Dieudonné. Hunderttausenden überwiegend jungen Menschen, die oft nie wirklich Fuß gefasst haben in der Gesellschaft, verkauft dieser Volksverhetzer via Facebook, Youtube und Twitter einen Mix aus Antizionismus, Revisionismus, Verschwörungstheorien und einem Humor, der zum Heulen ist." Joachim Güntner blickt außerdem auf die antisemtiischen Pöbeleien bei den Demonstrationen in Deutschland.

In der Berliner Zeitung beschreibt die Berlinerin Yasmin Kassar, wie wenig die arabischen Jugendlichen in Deutschland eigentlich über den Nahost-Konflikt wissen: "Weil die Geschichte des Nahost-Konflikts normalerweise im Unterricht keine Rolle spielt. Dort wird der Holocaust durchgenommen, aber was danach geschehen ist, lernen die meisten Schüler nicht."

In Zeit Online fragt sich Tanja Dückers mit Blick auf Russland und Israel, "warum vor allem Linke in Deutschland dem einen Land ständig mit einer Dauerschon-Haltung begegnen, hingegen das andere - gern als Vorposten der USA im Vorderen Orient gesehen - zur Zielscheibe von Hass mutiert ist."

Mit der "Harmlosigkeit" der Hamas-Raketen ist das so eine Sache, schreibt Eric Leser in slate.fr: "Die Tausende Geschosse und Raketen, die auf die israelischen Städte zielen, haben nur ein Ziel: Sie sollen eine Erwiderung auslösen. Ihr militärischer und strategischer Nutzen ist gleich null. Selbst Mahmud Abbas, Chef der Palästinenserbehörde, hat sich gefragt: "Was bezweckt ihr mit euren Raketen?" Die Hamas will so die "Unmenschlichkeit" der Israelis unter Beweis stellen."

Jonathan Freedland bescheibt im NYRBlog die Sorgen und Nöte linker Zionisten, die sich lange auf die Hoffnung der Zweistaatenlösung zurückziehen konnten. Aber "das Scheitern von Oslo, das Scheitern von Camp David, das Scheitern von John Kerrys unermüdlichen Anstrengungen seit neun Monaten führt zu einem ungemütlichen Gedanken: Was, wenn die Zweistaatenlösung nicht wegen fehlender Bemühungen scheitert, sondern weil der Plan nicht funktionieren kann? Was ist, wenn die Zweistaatenlösung unmöglich ist?" In der FAZ scheibt Alaxandra Belopolsky über "die Angst davor, sich (in Israel) als Linker oder Linke zu bekennen".
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Europa

Adam Michnik fordert in Le Monde eine klarere Position Europas zu Wladimir Putin: "Die EU führt sich auf wie eine Version der ach so neutralen Schweiz. Das gilt besonders für seine politischen und wirtschaftlichen Eliten. Aber Europa ist nicht die Schweiz. Europa war der Schauplatz zweier blutiger Weltkriege."
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Internet

(Via Netzwertig) Spanien verschärft die Urheberrechtsgesetze. In einem neuen Gesetz zum geistigen Eigentum (LPI, Ley de Propriedad Intelectual) werden künftig kleinste Textausschnitte, aber auch Hyperlinks steuerpflichtig, berichtet Heise.de. Das Gesetz soll "den Urheberschutz für Fotografen und Journalisten verbessern, dürfte dabei aber vor allem den Interessen von Verlagen entgegenkommen. Informationsvermittler, zum Beispiel Suchmaschinenbetreiber, sollen dem Gesetz zufolge Schadenersatz leisten. Selbst Universitäten sollen eine Pauschalgebühr von fünf Euro je Student entrichten, sogar dann, wenn die verbreiteten Inhalte unter Creative-Common-Lizenz stehen."

Elisabeth Pohl berichtet zugleich in Netzpolitik, dass einem kolumbianischen Studenten mehrere Jahre Gefängnis drohen, weil er einen wissenschaftlichen Artikel auf scribd zugänglich machte.
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Geschichte

In der FR unterhält sich Arno Widmann mit dem Historiker Jürgen Osterhammel über den Beginn des Ersten Weltkriegs. Osterhammel erzählt auch, wie die Kolonien und Dominions von den europäischen Mächten in den Krieg hineingezogen wurden: "Der Truppeneinsatz von Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika musste viel stärker politisch verhandelt werden. Das ließ sich nicht einfach in London dekretieren. Aber sogar in Indien, das über 800.000 kämpfende Soldaten stellte, genügte kein einfacher Erlass. Nachdem Großbritannien nach dem Großen Aufstand von 1857 Indien beinahe schon einmal verloren hatte, hütete man sich, zu sehr in die indische Gesellschaft einzugreifen... In Neuseeland und Australien spielt übrigens die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg noch immer eine große Rolle. Neuseeland hatte immerhin ein Zehntel seiner Bevölkerung auf die Schlachtfelder geschickt."

Heute gehört das Feuilleton der taz Gabriele Goettle. Sie porträtiert den Soziologen Jörg Becker, der viel über die Manipulation der Medien durch amerikanische PR-Agenturen erzählt. Interessant ist seine Erinnerung an den Mordanschlag von Solingen, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen: "Täter waren angeblich vier junge Neonazis, die sich haben verführen lassen und dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Inzwischen sind sie, glaube ich, wieder frei und leben irgendwo in anderen Städten. Die linke Opposition hier in Solingen hat diese Verführungsthese nie geglaubt. Nie, nie, nie! Einer der Gründe war, die vier Jugendlichen gingen damals in eine Kampfsportschule, und der Leiter dieser Schule war "zufällig" ein Informant des Verfassungsschutzes. Dieser Mann bekam keine Aussagegenehmigung im Prozess. Er verschwand spurlos aus Solingen."
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Weiteres

In der FAZ informiert Jürgen Kaube: "Tücke ist das Hauptprinzip der Verteidiger von Annette Schavan." Unter der Überschrift "Der Selfmade-Möchtegern-Rebell" ("selbsternannt" fehlt noch, dann wäre die nach oben offene Naserümpfskala dieser Zeitung ausgereizt) fragt sich Hannah Lühmann, ob Tim Renners Vorliebe für alles Digitale wirklich als Programm für die Berliner Kulturpolitik taugt. Im Gespräch mit Oliver Das Gupta in der SZ klopft die deutsch-britische Historikerin Annika Mombauer ein für alle Mal fest: "Deutschland und Österreich sind hauptverantwortlich" für den Ersten Weltkrieg. Und in seinem Blog staunt Stefan Niggemeier nicht schlecht, dass BamS-Vize Nikolaus Fest für seine antiislamische Tirade von seine Chef Kai Dieckmann quasi öffentlich abgemahnt wurde.
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