9punkt - Die Debattenrundschau

Die was auf ihrem Blog raushauen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.08.2014. In der FR beklagt sich Philosoph Robert Pfaller: Ausnahmslos alles, was Spaß macht, wird steht unter Verdacht. Im Focus ruft Daniel Kehlmann nach den Kartellbehörden gegen Amazon - Buchreport fasst die deutsche Debatte zum Thema zusammen. Heise.de bringt Neues über die Kolonisierung des Internets durch die Geheimdienste. Die taz erzählt, wie der Putinismus nun noch die Geschichte der Gulags kapert. Ebenfalls in der taz freut sich Merve-Verleger Thomas Lamberty über eine neue Generation von Selberdenkern.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.08.2014 finden Sie hier

Internet

Thomas De Maizière hatte sich gestern in der FAZ darüber beschwert, dass sein Entwurf für die "Digitale Agenda", der seit Tagen unter Journalisten zirkulierte", von dem Blog Netzpolitik.org (das er nicht nennt) online gestellt wurde. Markus Beckedahl antwortet in Netzpolitik: "Wenn solche Papiere durchs politische Berlin wandern und den meisten Journalisten und Lobbyisten vorliegen, kann man sie auch gleich veröffentlichen. Warum sollten nur gut vernetzte Menschen daraus zitieren und darauf Einfluss nehmen dürfen?"

Der Schriftsteller Jan Brandt warnt bei Spiegel Online vor Amazon: "Das Alleinstellungsmerkmal von Amazon ist seine Omnipotenz. Amazon ist nicht nur das größte Buchkaufhaus, sondern seit der Übernahme des Antiquariatsportals ZVAB auch Deutschlands größte Buchgebrauchtwarenplattform - und womöglich in Zukunft auch eines der größten Verlagshäuser. Dann wäre das Ideal eines geschlossenen Warenkreislaufs in einer Firma verwirklicht."

Eine sehr nützliche Zusammenfassung der deutschen Amazon-Debatte bringt buchreport.de, wo auch aus Daniel Kehlmanns (nicht online stehendem) Focus-Artikel zitiert wird: "Das Geschäftsmodell von Amazon nimmt langfristig in Kauf, ja beabsichtigt wahrscheinlich sogar, dass die Verlage ihre Tätigkeit nicht fortführen können. Dann kann Amazon billig alle Autorenrechte erwerben und alle neuen Bücher selbst verlegen - und dieses Ziel verfolgt der Konzern, indem er zur Etablierung seiner Marktmacht gigantische Verluste in Kauf nimmt. Es ist nicht zu begreifen, warum die Kartellbehörden nicht reagieren."

Dass die Leute der Wikipedia mehr trauen als gedruckten Lexika, hat sich inzwischen herausgestellt. Nun zeigt eine Umfrage, dass sie der Wikipedia mehr trauen als den Medien. Für Timothy Geigner in Techdirt liegt das daran, dass "eine Diskussion immer vertrauenswürdiger ist als eine Lektion. Das ist der eigentliche Unterschied. Wenn du wissen willst, wie gut ein Lehrer in der Schule ist, holst du den besten Schüler, den schlechtesten Schüler, den Direktor und den Lehrer und analysierst, was sie zu sagen haben. Du holst nicht den PR-Mann der Schule."
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Überwachung

Eine Gruppe von Autoren (darunter Laura Poitras und Jacob Applebaum) veröffentlichen bei heise.de ein Powerpoint-Dokument des britischen Geheimdienstes GCHQ, das zeigt, wie Geheimdienste Internetserver auf der ganzen Welt "kolonisieren": "Das GCHQ-Programm mit dem Namen HACIENDA (Folie 2) bewirbt in einer Präsentation aus dem Jahr 2009 Vollscans für insgesamt 27 Länder, verbunden mit dem Angebot: Wer ein anderes Land aufklären will, braucht nur eine E-Mail zu schicken. (Folie 3). Regeln für die Begutachtung oder notwendige Begründungen für eine solche Aktion finden sich in den Dokumenten nicht." Auch Zeit online berichtet.
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Europa

In einem Akt staatlicher Piraterie hat Russland die von der Menschenrechtsgruppe Memorial geführte Gulag-Gedenkstätte Perm 36 übernommen und gleichgeschaltet. Bei der Medienkampagne gegen die "Vaterlandsverräter" und "Volksfeinde" schlachtete Moskau auch weidlich die grassierenden Antipathien gegen die Ukraine aus, berichtet Klaus-Helge Donath in der taz: "Verherrlichung von Faschisten wird den Ausstellungsmachern unterstellt. Denn neben den mehrheitlich politischen Häftlingen saßen auch Unabhängigkeitskämpfer aus dem Baltikum und ukrainische Nationalisten zeitweilig im Lager. Deren Nachfahren seien in der Ostukraine gerade damit befasst, einen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung zu verüben."
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Ideen

Die Theorie muss aus der Kunstecke raus, meint im taz-Interview mit Jette Gindner der Merve-Verleger Thomas Lamberty und sieht dafür auch gute Chancen: "Im Moment kommt eine ganz neue Generation von Denkern, nach all den Leuten in den nuller Jahren, die immer nur über irgendjemanden gearbeitet haben: über Deleuze oder über Foucault... Jetzt gibt es eine neue, internationale Bewegung von Leuten, die das Denken nicht immer aufschieben, sondern die was auf ihrem Blog raushauen, selbst wenn"s mal unfertig und vielleicht peinlich ist. Die machen Theorie mit Verve und Affekt - nicht nur über Affekt. Und zwar nicht wutbürgerlich wie die FAZ mit Hans Magnus Enzensbergers "Wirf dein Smartphone weg" auf Seite 1. Sondern im Hier und Jetzt, angedockt an den Kulturen, aus denen wir kommen: Musik, Kino, das Netz."
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Kulturpolitik

Harald Jähner dämmert es in der FR, warum sich das Berliner Stadtschloss als Musterbaustelle geriert: Es fehlen noch 69 Millionen Euro der zugesagten Spendengelder, da muss Druck aufgebaut werden. "Ein gewaltiger Betonriegel, 180 Meter lang, 120 Meter breit, steht teilweise schon bis zum dritten Stock. "Wir liegen voll im Zeit- und Kostenplan", sagt Bauherr Manfred Rettig. "Im Frühsommer wollen wir Richtfest feiern." Dann hat der Bürger die Alternative: Entweder er lässt es so, wie es ist, in einer Art Parkhausstil, oder er lässt die Sache im Barock zu Ende bauen."
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Gesellschaft

Der Wiener Philosoph Robert Pfaller beklagt im Interview mit Michael Hesse in der FR eine um sich greifende Unfähigkeit zum guten Leben: "Darum haben wir das Rauchen, das Trinken, das ungesunde Essen, den Sex, das Feiern, den Müßiggang, das Witzemachen, das Flirten, das Höflichsein, das Parfümiert-Sein et cetera nicht einfach nur als etwas Lästiges oder Bedrohliches gemieden. Auch die postmoderne Spaßkultur ist letztlich so eine feige Art von "Bier ohne Alkohol": Sie will einfach nur Spaß, aber nicht das Mühsame und Verbindliche der Wahrheit, das der Erheiterung durchaus auch anhaften kann."
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Weiteres

Heute vor 2000 Jahren starb Augustus. In der Welt gedenkt Sven Felix Kellerhoff des Kaisers. In der FR schreibt Christian Thomas. Im Aufmacher des FAZ-Feuilletons fragt sich Dietmar Dath, was es für die Gesellschaft bedeutet, dass Computer per Wahrscheinlichkeitsrechnung auf unsere Welt Einfluss nehmen. Ebenfalls in der FAZ rümpft Hannah Lühmann die Nase über den "Krawalljournalismus" des Vice-Magazins, dass nicht mal vor Reportagen aus dem "Islamischen Staat" zurückschreckt. In der SZ erklärt Johannes Boie, wie sich Handynutzer per "Mesh-Netzwerken" vom normalen Netz - und somit möglicherweise auch von sie trakassierenden Regimes - unabhängig machen.
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