9punkt - Die Debattenrundschau

Zeichen des Läppischen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.05.2017. Zum Schutz der Meinungsfreiheit lässt die türkische Medienaufsicht drei kurdische Satellitensender abschalten, meldet die FAZ. Vom türkischen Wirtschaftsministerium lässt sich die FAZ außerdem zum Überbringer von Fake News machen. SZ und Berliner Zeitung streiten über die Rekonstruktion der Kuppel auf dem Berliner Stadtschloss. In der taz erklärt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger, warum die heute vor 300 Jahren geborene Maria Theresia keine Königin, sondern ein König war. Und Emma erklärt, warum Necla Kelek nicht bei einer Hamburger Demo gegen Rechtsextremismus und Islamismus redet.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.05.2017 finden Sie hier

Medien

Mit Meşale Tolu ist in Istanbul erneut eine deutsche Journalistin verhaftet worden, meldet Tobias Schulze in der taz und wirft den türkischen Behörden Verletzung des Völkerrechts vor: Weil sie ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft habe, "gelten für sie die Vorschriften des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen. Die türkischen Behörden hätten demnach das deutsche Konsulat in Istanbul unverzüglich über die Festnahme und die Untersuchungshaft informieren müssen. Außerdem ist der deutsche Generalkonsul eigentlich dazu berechtigt, mit der Inhaftierten 'zu sprechen und zu korrespondieren sowie für eine Vertretung vor Gericht zu sorgen'." Nichts davon ist geschehen.

In der FAZ meldet außerdem Rainer Hermann die Festnahme von Oguz Güven, dem Chefredakteur der Online-Ausgabe von Cumhuriyet. Darüberhinaus habe der Präsident der türkischen Medienaufsichtsbehörde RTÜK den französischen Satellitenbetreiber Eutelsat angewiesen, drei kurdische Sender aus seinem Programm zu nehmen: "Er begründete das mit einer Konvention des Europarats zum Schutz der Meinungsfreiheit. Der Präsident des RTÜK behauptet, die drei Sender seien Organe der verbotenen PKK und betrieben Terrorpropaganda. Die Sender haben ausführlich über den schmutzigen Krieg im kurdischen Südosten der Türkei berichtet, aus dem Nachrichten nur noch über Medien wie die drei betroffenen Sender an die Öffentlichkeit dringen. Nun sollen diese Stimmen zum Schweigen gebracht werden."

Es gibt aber auch positive Schlagzeilen aus der Türkei. "Das Potenzial der Türkei ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft", ist in der FAZ ein Interview mit dem stellvertretenden Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in der Türkei, Frank Kaiser, über den Investitionsstandort Türkei übertitelt. Der Haken: Der Text ist Teil einer Werbekampange des türkischen Wirtschaftsministeriums - und das Interview hat niemals stattgefunden, klärt Christian Geinitz auf FAZ.net auf: "Wie Kaisers Vorgesetzter, der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Handelskammer in Istanbul, Jan Nöther, der FAZ sagte, kannten weder er noch Kaiser den Text vor der Veröffentlichung. 'Das Interview ist ohne unsere Zustimmung erschienen. Es wurde in dieser Form nie gegeben, und wir haben es auch nie zur Publikation freigegeben.'"
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Kulturpolitik

Während das Geld für die Fassaden des Berliner Stadtschlosses noch nicht beisammen ist, hat ein Einzelspender Millionen für die Rekonstruktion der Schlosskuppel samt Cherubim, Palmenzweigen und vergoldetem Kreuz bereitgestellt, meldet Jens Bisky in der SZ. Seinen Verdruss über die Ignoranz und Oberflächlichkeit dieser Entscheidung kann er nicht verhehlen: "Cherubim, Palmenzweige und Kreuz haben einmal etwas bedeutet. Nun werden sie aber über dem Riesenbau schweben wie ein allegorisierender Tafelaufsatz im bürgerlichen Haushalt. Sie verkünden einen vagen Anspruch und zugleich die Hoffnung, niemand würde je die Einlösung verlangen. Das ist prätentiös. Die 'fast vollständig' rekonstruierte Kuppel wird wirken wie ein Zeichen des Läppischen. Sie degradiert das Gebäude zum Schmücke-die-Stadt-Bauwerk."

"Nur konsequent" findet hingegen Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung die Rekonstruktion der Kuppel. Dass die darin enthaltenen Symbole ihre Bedeutung verloren haben, macht die Sache für ihn überhaupt erst erträglich. Anders verhält es sich allerdings mit dem Kreuz, dessen Rekonstruktion durchaus eine mächtige Symbolik hätte: "Nichts spricht gegen eine Fahnenstange auf der Engellaterne, auf der es europäisch, deutsch, katholisch, evangelisch, hindu-oder buddhistisch oder auch regenbogenbunt wehen kann. Aber es darf keine feste Hierarchie geben. Ein goldenes Preußen-Kreuz würde eine solche Hierarchie signalisieren. Also darf es dieses Kreuz nicht geben."
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Europa

In Hamburg soll heute ein Frauenmarsch gegen Rechtsextremismus und Islamismus stattfinden. Rednerinnen sollten unter anderem Necla Kelek und Zana Ramadani sein - bis muslimische Organisationen fürchteten, dass die beiden gegen die "Freiheit, das Kopftuch zu tragen" argumentieren könnten, berichtet emma.de. Linke Organisationen distanzierten sich dann auch. Die beiden nehmen nun zwar noch an der Demo teil, reden aber nicht. "Unterzeichnet ist die 'Distanzierung' unter anderem von der DITIB (!) Hamburg und Schleswig-Holstein, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Hamburg, dem interreligiösen Frauennetzwerk Hamburg - und der Jüdischen Gemeinde Hamburg. Ist der Jüdischen Gemeinde eigentlich klar, mit wem sie da paktiert?" 

Der Erfolg von Emmanuel Macron basiert nicht zuletzt auf seinem Kniff, mit der Formel "et en même temps" ("und zugleich") gegensätzliche Positionen zu vereinen. In der deutschen Politik schickt sich Diana Kinnert an, das Prinzip des Sowohl-als-auch zu perfektionieren. Sie ist Mitte zwanzig, lesbisch, aus einem migrantischen Elternhaus stammend - und zugleich Zukunftshoffnung der CDU. Wie das zusammengeht, erklärt sie in einem (kostenpflichtigen) Beitrag in der Welt - und zugleich im Gespräch mit Anja Maier und Sonja Trabandt in der taz, denen sie ihre Motivation erläutert: "Weil ich das Gefühl habe, wenn mehr Schwule in der Partei wären, dann wäre Schwulenpolitik anders, wenn mehr Migranten da wären, wäre Migrantenpolitik anders. Das ist dieses berühmte Gedicht von Zoe Leonard, das ich so gut finde: 'I want a dyke for president.' Ich will eine Kampflesbe als Präsident, ich will eine Schwuchtel als Vizepräsident, ich will jemandem im Parlament, der keine Versicherung hat und weiß, wie sich das anfühlt. Wenn jede Betroffenheit repräsentiert wird und Eingang findet in einen Gesamtprozess, dann wird auch alles miteinander vereinbar. Das ist für mich Demokratie."

In der Debatte um rechtsextreme Auswüchse in der Bundeswehr ist viel von einem "Haltungsproblem" der Truppe die Rede, womit die mangelhafte Durchsetzung der offiziellen Verhaltensstandards gemeint ist. Zur Bildung von Kameradschaft sind Verstöße gegen diese Standards allerdings unabdingbar, meint der Soziologe und Historiker Stefan Kühl in der taz: "Wenn die Bundeswehr unter etwas leidet, dann darunter, dass man das Gespür dafür verloren hat, welche Regelabweichungen punktuell geduldet werden können und welche nicht... Wenn formal festgelegt werden würde, dass beispielsweise bei sexuellen Übergriffen, Misshandlungen Kriegsgefangener oder rechtsextremen Betätigungen hierarchische Meldeketten übersprungen werden müssen und die Armeeführung direkt einzuschalten ist, wäre für alle Armeeangehörigen ein klares Zeichen gesetzt, wo die Grenzen der geduldeten Regelabweichungen liegen."
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Ideen

Im Interview mit der FR erklärt der Philosoph Wilfried Hinsch, warum es seiner Ansicht nach "gerechte Kriege" durchaus gibt, und er weist auf den blinden Fleck der Pazifisten hin: "Der Pazifismus tendiert dazu, anderen Menschen Opfer abzuverlangen, die man ihnen - moralisch betrachtet - eigentlich nicht zumuten kann."
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Internet

Keine Frage, Amazon, Apple, Facebook und Google erleichtern unseren Alltag, meint Hannah Jane Parkinson im Guardian. Dennoch sollte uns nicht wohl sein bei dem Gedanken, dass sich so viele Menschen derart abhängig von so wenigen Großkonzernen machen: "Es ist nun Zeit für zweierlei: dafür, dass die Leute aufwachen und sich bewusst machen, wie viel von unserem Leben von ein paar Silicon-Valley-Typen dominiert wird, die mit einer Hand in der Hosentasche ihren nächsten Move ankündigen. Und dafür, dass die Tech-Konzerne ihre Macht und ihren Einfluss anerkennen und wirklich rechenschaftspflichtig werden. Ihre verdammten Steuern zahlen. Etwas gegen Missbrauch unternehmen. Ich will mir keine Sorgen machen müssen, dass die Kuratierung von Apple-News quasi-Pravda ist. Oder dass Konzerne Geld mit extremistischen Inhalten verdienen."
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Geschichte

Zum dreihundersten Geburtstag von Maria Theresia unterhält sich Tania Martini in der taz mit der Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger, deren Biografie "Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit" jüngst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Als feministisches Rollenmodell mag Stollberg-Rilinger die Monarchin nicht durchgehen lassen, wohl aber als Beispiel für das geradezu postmoderne Verständnis von Geschlechterrollen im Ancien Régime: "Um das Problem, das man mit der 'Weiberherrschaft' hatte, zu überwinden, hat man sich gesagt, kraft einer rechtlichen Fiktion ist Maria Theresia ein Mann. Sie galt als König von Böhmen und Ungarn und nicht als Königin, weil sie selbst die Herrschaft geerbt hatte und nicht Gattin eines Königs war. Das war ein elementarer Unterschied. Kaiserin dagegen war sie nur als Gattin des gewählten Kaisers. Es ist charakteristisch, dass man im Ancien Regime eine solche Rollentrennung vornehmen konnte."
Archiv: Geschichte