9punkt - Die Debattenrundschau

So etwas wie Schmerz um die untreue Geliebte

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.10.2014. Wir brauchen mehr Whistleblower, ruft Lawblogger Thomas Stadler, denn die Parlamente bringen's nicht. Rue89 erklärt, was Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole gegen Google hat und was nicht. Die FAZ will kein Recht auf Beihilfe zum Suizid. Die New York Times schafft ihre Schachkolumne ab, Garry Kasparow ist aber nicht traurig. Google übersetzt für uns Joseph Brodskys Spottgedicht über die ukrainsche Unabhängigkeit, über das laut FAZ im russischen und ukrainischen Netz gestritten wird.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.10.2014 finden Sie hier

Überwachung

Wir brauchen mehr Whistleblower, ruft Lawblogger Thomas Stadler und zwar gerade in Ländern wie Großbritannien oder Deutschland, wo der folgenlose Rechtsbruch der Geheimdienste nachgewiesen ist. "Die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten funktioniert nirgendwo auf der Welt. Der Druck einer kritischen Öffentlichkeit scheint das einzige halbwegs erfolgsversprechende Korrektiv zu sein, das überhaupt noch Hoffnung auf Veränderungen bietet, die erforderlich sind um die Grundrechte der Bürger weltweit zu schützen. Aber diese kritische Öffentlichkeit muss informiert werden."
Archiv: Überwachung
Stichwörter: Grundrechte, Whistleblower

Politik

Marko Martin stellt in der NZZ fest, dass die kritischen Intellektuellen in Israel aus eigenem Unvermögen so schwach dastehen, nicht weil sie von der Regierung marginalisiert werden: "Von den "schwachen Schultern der Linken" schrieb der Dichter Yehonatan Geffen, immerhin ein Sprössling der israelweit bekannten Großfamilie Moshe Dayans, Vater des Rockstars Aviv Geffen und Schwiegervater von Etgar Keret. Sein in der Zeitung Haaretz veröffentlichter offener Brief an die Schauspielerin Penelope Cruz zeigte das ganze Dilemma. Geffen beklagte die Ignoranz von "Künstler-Boykotten" gegen sein Land, zeigte sich als erklärter Pink-Floyd-Fan zutiefst enttäuscht von den antiisraelischen Parolen Roger Waters" und versuchte der "lieben Pen" klarzumachen, dass ja doch nicht alle Israeli mit dem Gazakrieg (und der fortdauernden Besatzung Cisjordaniens) einverstanden seien. Wer Geffens frühere, subversiv-provokative Arbeiten schätzte, konnte ob dieser Weinerlichkeit nicht anders als erschüttert sein."

In der Welt lästert Martin dann über die deutschen Israel-Kritiker.

In einem etwas emotionalen Text beklagt Charlotte Wiedemann in der taz, wie Entfernung, kulturelle Zugehörigkeit, Hautfarbe und politische Interessen das mediale Mitgefühl bestimmen: "Syrien und Irak: Die Toten in ein und derselben Region sind von ganz unterschiedlicher Wertigkeit - je nachdem, welches Verhältnis der Westen zu den Mördern hat. Die Opfer der Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staats sind an Zahl gering im Vergleich mit den Opfern von Baschar al-Assad - dennoch ist IS nun das Böse pur, von dessen Bekämpfung "die Zukunft der Menschheit" abhänge (Obama)."
Archiv: Politik

Internet

Unter Beisein von Eric Schmidt hat der Google-Expertenrat über das "Recht auf Vergessen" gestritten, das Google und andere Suchmaschinen nach einem EuGH-Urteil zwingt, missliebige Links zu entfernen, berichtet zeit.de mit dpa. Insgesamt "bekam Google bislang fast 150.000 Anträge, allein aus Deutschland kamen mehr als 25.000. Dabei seien insgesamt rund 42 Prozent der beanstandeten Links aus den Suchergebnissen entfernt worden. In Deutschland seien es 53 Prozent gewesen."

Der Ökonom Jean Tirole hat den Nobelpreis bekommen, weil er über Unternehmen wie Google und über die Netzökonomie nachdenkt, schreibt Pascal Riché in rue89. "Diese Unternehmen habe eine natürliche Tendenz zum Monopol, was nach Tirole nicht an sich schecht ist, solange dynamischere Unternehmen kommen können, um sie zu ersetzen. Hier beginnt die Rolle der politischen Regulatoren: Sie müssen gewährleisten, dass das Monopol keine Barrieren für den Markteintritt anderer Unternehmen aufrichtet."
Archiv: Internet

Europa


(Diese "Gratulation zum ukrainischen Unabhängigkeitstag" hat "tOrange.biz" auf Flickr unter CC-Lizenz publiziert.)

Ein nie veröffentlichtes antiukrainisches Spottgedicht von Joseph Brodsky sorgt für Streit im russischen und ukrainischen Internet, schreibt Kerstin Holm in der FAZ. "Das russische Publikum ist beeindruckt von Brodskys Schärfe und spürt so etwas wie Schmerz um die untreue Geliebte darin. Einige irritiert seine unverhohlene "Ukrainophobie". Ukrainische Intellektuelle, beispielsweise die Schriftstellerin Oksana Sabuschko, schießen zurück mit Knittelversen gegen den "hohlen Chauvinisten"". Ähem, hier die Übersetzung von Google Translate (ins Englische, weil das meist besser funktioniert).
Archiv: Europa

Gesellschaft

Anders als Daniele Dell"Agli im Perlentaucher (hier Teil 3 seines großen Essays) lehnt Stpehan Sahm in der FAZ ein Recht auf Beihilfe zum Suizid rundheraus ab: "Das Argument der schiefen Ebene, die Befürchtung, Patienten könnten mehr oder weniger offen gedrängt werden, doch endlich aus dem Leben scheiden zu wollen, wird nur allzu leichtfertig abgefertigt mit dem Hinweis, wissenschaftliche Begleitung, Meldepflichten und Transparenz würden Missbrauch schon verhindern. Ein Blick in die Niederlande lehrt anderes." Der Autor Gerbert van Loenen, auf den Sahm verweist, hat seinen Standpunkt ebenfalls im Perlentaucher dargelegt.
Archiv: Gesellschaft

Medien

Recht unsentimenal kommentiert Matt Gaffney den Tod der Schachkolumne in der New York Times, die am Sonntag zum letzten Mal erschien und gestrichen wurde, weil man Kosten für freie Mitarbeiter sparen will: "Sollte es Schachfanatiker und andere kümmern, wenn die Times ihre wöchentliche Schachkolumne abschafft, wie es die Washington Post bereits 2010 tat? Nicht wirklich. Als Format ist die wöchentliche Kolumne archaisch, ein weiteres in der langen Liste von Dingen, die vom Internet überflüssig gemacht wurden. Ich halte es mit Ex-Weltmeister Garry Kasparow, der twitterte; "Wenige werden die Kolumne betrauern, nicht einmal als symbolischen Verlust"."

In der taz berichtet der Fotograf Björn Kietzman, wie er im türkischen Polizeigewahrsam landete und meint: "Wir hatten Glück, dass wir deutsche Staatsbürger sind. Als wir die Zellen bei der Antiterrorpolizei verließen, wurden andere Journalisten einkassiert - kurdische oder türkische."

Michael Hanfeld stellt in der FAZ erleichtert fest, dass auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil der Einfluss der Landesregierung auf den ZDF-Verwaltungsrat gesichert bleibt! Mehr noch freut ihn aber die Aufnahme eines LSBTTIQ-Vertreters.
Archiv: Medien

Religion

Wie steht die katholische Kirche in den USA eigentlich zur Todesstrafe, fragt William Saletan in Slate und verweist auf den Erzbischof Charles Chaput, der republikanische Politiker unterstützt und offizielle Lehren der Kirche gegen die Todesstrafe recht großzügig auslegt: "Er unterschied Todesstrafe von Abtreibung und sagte, dass diese beiden Themen "ganz klar nicht das gleiche Gewicht haben". Im Jahr 2004 führte Chaput eine Bewegung von Bischöfen an, die Katholiken aufforderte, gemäß ihrem Glauben abzustimmen. Die Ablehnung von Abtreibung und Homoehe war für sie nicht verhandelbar, Todesstrafe erwähnten sie meist nicht."
Archiv: Religion