9punkt - Die Debattenrundschau

Unbeabsichtigtes Aufschnappen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.12.2014. Der Folterbericht des Senate Intelligence Committee in dern USA sorgt überall für Diskussionen, der Miami Herald setzt seine verdienstvolle Berichterstattung zum Thema mit neuen Enthüllungen fort. Der New Yorker erzählt, wie es in der New Republic zum Krach kam, und was Amazon damit zu tun hat. Die spanischen Zeitungsverleger wollen laut Spain Report nicht nur, dass Google für Snippets bezahlt, sondern dass es zu Snippets gezwungen wird, so dass auch wirklich Geld rüberkommt. Die SZ fürchtet, dass die aramäische Sprache vollends verschwindet.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.12.2014 finden Sie hier

Europa

Endlich mal eine Reaktion! Ziemlich wütend macht den Spiegel-Autor Georg Diez der von einigen Elder Statesmen und Künstlern lancierte Aufruf (wir berichteten) für Frieden mit Putin: "Sie wollten Freiheit und Würde in Kiew, Lwiw und anderswo: Ist das gut oder schlecht, liebe Bundesminister a. D., Bundeskanzler a. D., Bundespräsidenten a. D., liebe AdorfBrandauerJörgesKüppersbuschWenders, die ihr alle einen Aufruf unterzeichnet habt, der mit keinem Wort erwähnt, wofür die Menschen in der Ukraine ihr Leben riskiert haben?"

Im Interview mit Rudolf Balmer spricht der französische Soziologe Michel Wieviorka über den Antisemitismus unter französischen Muslimen, der in jüngster Zeit zu einigen Morden und Anschlägen führte, aber auch über die Geschichte des Antisemitismus im Front national: "Die Leute, die den FN gegründet haben, waren meistens sehr antisemitisch eingestellt, gerade mit der Annäherung an die Thesen des Holocaustleugners Faurisson hat der FN in Frankreich für den Antisemitismus eine Bresche geschlagen und trägt somit eine enorme historische Verantwortung. Mit Marine Le Pen an der Parteispitze hat sich etwas geändert. Der Antisemitismus existiert weiterhin im FN, steht aber in Konflikt mit der offiziellen Parteilinie. Marine Le Pen will nicht mehr, dass der FN als antisemitisch gilt."

(Via rue89) Joseph A. Smith bezweifelt auf der französischen Website von globalvoices.org, dass die in den sozialen Netz zirkulierenden Vorschläge für ein neues Design der georgischen Geldscheine wirklich etwas gegen den Sturz der Währung vermögen:



Weiteres: Kerstin Holm überlegt in der FAZ, ob das Tragen der Burka auch in Deutschland zu verbieten sei ("Es lohnt sich aber in jedem Fall, zu überlegen, inwieweit der öffentliche Raum auch ein Kulturraum ist, in dem man bestimmte Dinge einfach nicht tut"). Der ungarische Regierungschef Viktor Orban fordert Drogentests für Journalisten. Nur so könne man sicherstellen, dass der Kampf gegen die Drogenmafia gelingt: Der Guardian berichtet. Und in der FAZ klagt Felix-Emeric Tota, dass die Rumänen die 25 Jahre des Ceaucescu-Regimes auch 25 Jahre danach noch nicht überwunden haben.
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Überwachung

Ganz nebenbei haben Kongress und Senat in den USA ein Gesetz verabschiedet, das der NSA nun auch das Ausspionieren der eigenen Bürger gestattet, berichtet Stefan Krempl bei heise.de: "Dabei handelt es sich um Paragraph 309 des "Intelligence Authorization Act". Er legitimiert den "Beifang" aus der Auslandsaufklärung, also das eigentlich "unbeabsichtigte" Aufschnappen von Inhalts- oder Metadaten eigener Bürger beim Erfassen von Kommunikationsströmen etwa per Satellit, klassischer Telekommunikation oder Internet, die primär auf "Auslandsstrecken" ausgerichtet sein sollen."
Archiv: Überwachung
Stichwörter: Geheimdienstaffäre, NSA

Politik

Boingboing verweist auf die Reporterin Carol Rosenberg und auf die höchst verdienstvolle und langfristige Berichterstattung des Miami Herald über Folterpraktiken in Guantanamo. In ihrem kaum zu ertragendenen neuesten Bericht schreibt sie über Folterpraktiken, die etwa darin bestehen, Lebensmittel in den Anus von kopfüber aufgehängten Gefangenen einzuführen, um sie für Hungerstreiks zu bestrafen. Rosenberg hält auch fest, dass der jüngste Bericht des Senate Intelligence Committee "bestätigt, dass die CIA Guantánamo als Geheimort ("black site") benutzte und fortfuhr, das Gefängnis zu betreiben, nachdem 9/11-Mastermind Khalid Sheik Mohammed und 13 andere Männer offiziell dem Pentagon übergeben waren, das Klage gegen sie erheben sollte." Besonders unter Wählern der Republikanern wird Folter immer noch befürwortetet, meldet The New Republic unter Bezug auf Umfragen. Der Guardian berichtet zum selben Thema, dass Labour-Politiker sich gegen eine neue Untersuchung der britischen Rolle in der Anwendung von Folter wehren.

Ronen Steinke fürchtet in der SZ, dass die aramäische Sprache, eine der ältesten überhaupt, verschwinden wird: "Erst die Arabisierung der Region, die islamische Eroberung, drängte das Aramäische schließlich zurück. Es blieb die Sprache derjenigen, die nicht zum Islam konvertierten: Juden, Assyrer, Chaldäer, Christen - genau jener Minderheiten also, die nun vor islamistischen Milizen im Irak und in Syrien fliehen. Die heutigen Vertreibungskampagnen der Dschihadisten setzen gewissermaßen dort an, wo die Eroberer im Mittelalter aufhörten."
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Gesellschaft

In der Welt spricht Güner Balci im Interview über ihr neues Buch "Aliyahs Flucht", über das Wegbügeln der Islamkritik in Deutschland und über die Pegida-Bewegung, die durch solches Schweigen befördert wird: "Den aufgeklärten Islam gibt es vor allem in Frankreich, England und Amerika. Genau dort, wo die Situation schon so eskaliert ist, dass außer Frage steht, ob bestimmte Islamauslegungen eine Bedrohung sind für die freie, demokratische, laizistische Gesellschaft. Davon geht man aus und eben deshalb gibt es eine klare muslimische Gegenbewegung: Imame, die sich für ein Kopftuchverbot stark machen, für Gleichberechtigung eintreten - und trotzdem anerkannte Religionsgelehrte sind."

Ebenfalls in der Welt erklärt Dirk Schümer den Verteidigern des Abendlandes von Pegida, wovon sie eigentlich reden.
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Ideen

Der Merkur stellt die Beiträge seiner Konferenz "Intellektuelle Beißhemmung" über ausbleibende Kontroversen in den heutigen Geisteswissenschaften ins Netz. Interessant auch, weil hier der nunmehr installierte FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube sprach, dessen Polemiken als elegant gelten.
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Medien

Tja, das ist so die Art Missverständnis, die eine Zeitschrift zur Explosion bringen kann. Ryan Lizza erzählt im New Yorker sehr ausführlich, wie es zur Massenkündigung der Redakteure in der New Republic kam. Mit einem gravierenden Missverständnis zwischen Besitzer Chris Hughes und Chefredakteur Franklin Foer hatte Amazon zu tun, und das ging so: Foer hatte eine Titelstory über Amazon als Monopol produziert. Amazon stellte darauf seine Anzeigen bei TNR ein und teilte das in einer E-Mail an Hughes mit: "Hughes leitete die E-Mail weiter an Foer, und Foer leitete sie weiter an Andrew Wylie, einen sehr prominenten Literaturagenten, und an Douglas Preston, den Vorsitzenden der Author"s Guild, die den Kampf gegen die Praktiken von Amazon angeführt hatte. Foer wollte Amazons Anzeigenstopp publik machen, Hughes verweigerte. Aber ohne Foers Wissen hatte Preston die Amazon-E-Mail an einen Reporter weitergeleitet, der sich dann an Hughes wandte."

(Via turi2) Der Tagesspiegel war wegen seiner profitablen Zusammenarbeit mit Lobbyisten in die Kritik geraten (unser Resümee). Nun bietet er der Organisation Lobbycontrol eine Zusammenarbeit an: "Die aktuelle Diskussion zeigt, dass es Klärungsbedarf gibt."

Klaut die FAZ Texte? Wolf Biermann hat am 3. Dezember einen Artikel in der Welt geschrieben (unser Resümee). Die FAZ druckte ihn am 4. Dezember nach, so Bülend Ürük in Newsroom.de: "Das Problem bei der Veröffentlichung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist nur - den Brief hatte der streitbare Biermann gegen entsprechendes Autorenhonorar exklusiv für die Welt und nicht als Kommentar verfasst, der frei von jedem Medium veröffentlicht werden durfte. Von einer Veröffentlichung durch die FAZ wussten vorab weder Welt noch Wolf Biermann."

Nachtrag zu unseren gestrigen Zitaten über die spanische Google-Steuer und die Entscheidung des Konzerns, Google News in Spanien zu schließen. Hiergegen hatte schon in der Nacht zum Freitag der größte spanische Zeitungsverlegerverband AEDE in einem Brief an die Regierung protestiert, schreibt Matthew Bennett im Spain Report: Der Verband "brachte eine Erklärung heraus in der festgehalten wird, "dass Google angesichts seiner Marktposition nicht einfach ein Dienstleister unter anderen ist" und dasss die Entscheidung des Konzerns "ohne Zweifel einen negativen Einfluss auf das Geschäftsleben und die Bürger hat"." Und darum fordert der Verband "die spanischen Regierungs- und Regionalbehörden sowie das Kartellamt auf, die Rechte der Bürger und Unternehmen zu schützen"!
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