9punkt - Die Debattenrundschau

Etwas, gegen das man sein kann

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.12.2016. Das Problem mit Facebook, sagt Lawrence Lessig in Libération, ist, dass es eine private Organisation ist. Nick Cohen fragt im Observer, warum sich die Brexit-Sieger aufführen, als wären sie die Verlierer. Der Westen ist mit schuld an den Zuständen in der Türkei, sagt Can Dündar im Tages-Anzeiger. Nicht der Westen, Dschingis Khan erfand die Religionsfreiheit, schreibt Arno Widmann in der FR. Masha Gessen warnt in der New York Times vor den falschen Debatten über Trump.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.12.2016 finden Sie hier

Europa

Warum um Himmels willen führen sich die Brexit-Sieger immer noch so aggressiv auf, als hätten sie verloren oder müssten um ihren Sieg bangen?, fragt Nick Cohen im Observer: "Ein Teil der Antwort liegt darin, dass sie gar nichts anderes können als wüten. Im ganzen Westen ist die populistische Rechte mindestens ebenso sehr eine gegenkulturelle wie eine politische Bewegung. Ihre Anhänger gleichen eher Satirikern als Denken oder Pragmatikern mit konkreten Plänen, die Gesellschaft zu verändern. Die Rechte weidet sich an tatsächlichen Heucheleien und Übeln des liberalen Mainstreams. Sie reißt sie aus dem Zusammenhang und untersucht ihre schaurigen Widersprüche. Aber dann verliert sie sich wie ihr Gegenpart auf der Linken sehr schnell in der magischen Welt der Verschwörungstheorien."

Die polnische Regierung will die Berichterstattung der Medien aus dem Parlament, dem Sejm, beschränken und hat damit wütende Proteste und eine Besetzung des Parlamentsgebäudes provoziert. Der vom polnischen Fernsehen geschasste Korrespondent Marcin Antosiewicz sagt im Gespräch mit Gabriele Lesser in der taz: "Ich befürchte, dass die PiS demnächst selbstherrlich entscheiden wird, welche Journalisten eine Akkreditierung für das Parlament bekommen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass es nur parteikonforme Reporter sein werden. Dann hätte die Opposition im Parlament keine Stimme mehr. Zudem könnte der Parlamentsvorsitzende jederzeit die Videokameras ausschalten lassen, wenn im Parlament etwas geschieht, was er nicht so gerne zeigen möchte. Es gäbe keine Informationsfreiheit mehr."

Dass Erdogans antiwestliche Politik bei den Türken so zieht, liegt auch am Westen, meint Can Dündar im Interview mit dem TagesAnzeiger: "Der Westen hat sich mit seiner verlogenen Doppelmoral sehr geschadet. Die Antiterrorgesetze etwa haben überall zivil­gesellschaftliche Freiheiten und Rechte reduziert. Auch die Pressefreiheit wurde geringer. Und lange Zeit hat der Westen die demokratischen Kräfte in der Türkei nicht unbedingt unterstützt. Eine 'stabile' Türkei war und ist, auch geostrategisch, offenbar wichtiger als eine demokratische."'

Der italienische Autor Vincenzo Latronico vermisst in der FAZ schon jetzt Matteo Renzis Pragmatismus, der das Land tatsächlicn in dem einen oder anderen Punkt vorangebracht habe: "Jetzt hat dieses Projekt ein Ende gefunden. Indem er das Überleben seiner Regierung mit dem Verfassungsreferendum verknüpfte, hat Renzi den Befürwortern des Neins das stärkste Argument geliefert, das man sich in Italien vorstellen kann: etwas, gegen das man sein kann."
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Internet

Der amerikanische Jurist Lawrence Lessig warnt im Gespräch mit Amaelle Guiton  von Libération vor der Filterblase und der Macht von Facebook: "Das wahre Problem ist, dass es ein privater Akteur ist. Die Leute von Facebook können entscheiden, was öffentlich ist oder nicht, ohne sich rechtfertigen zu müssen: Es ist ja ihre Plattform... Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in dieser Welt, die heute von privaten Organisationen beherrscht wird, Standards und Werte schaffen. Die Demokratie hat hier wenig Werkzeuge. Wir sind immer mehr Souveränen unterworfen, nicht nur den Regierungen, sondern auch den neuen Souveränen wie Facebook, Twitter, Google, Microsoft... Darum müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, welche Werte wir verlieren, wen wir die Kontrolle über den Cybespace aufgeben."
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Ideen

Religionsfreiheit wurde nicht im Westen erfunden, sondern von Dschingis Khan, lernt Arno Widmann (FR) bei der Lektüre von Jack Weatherfords Biografie des mongolischen Herrschers "Genghis Khan and the Quest for God: How the World's Greatest Conqueror Gave Us Religious Freedom": "Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwischen Imperialismus und Religionsfreiheit. Ein Imperium, das zum Beispiel von Peking bis Kiew alles sich unterwirft, hat mit zig Religionen, mit Hunderten einander bekämpfenden Bekenntnissen zu tun. Die Neutralität des Staates wird zur Voraussetzung seines Überlebens. Die europäische Friedensidee nach dem Gemetzel des Dreißigjährigen Krieges basierte auf dem Prinzip cuius regio, eius religio (wes der Fürst, des der Glaub'). Das war der Sieg der Territorialstaaten und das Ende des Reiches. Mit Religionsfreiheit hatte das nichts zu tun. Wer nicht konvertieren wollte, der musste, wenn er sich das leisten konnte, emigrieren."

In der SZ überlegt die Politologin Eva Marlene Hausteiner, ob die amerikanischen Institutionen wirklich stark genug sind, einen Trump zu überleben:  "Gelingt es Trump und seinen mächtigen Beratern, sukzessive das Wahlrecht von schwarzen Amerikanern zu beschneiden, sich mit persönlicher Bereicherung im politischen Amt zu brüsten und die Unterordnung unter Interessen anderer Staaten wie Russland hoffähig zu machen, wird es bleibende Schäden geben. Die Trump'sche Kaperung der Republik müsste mit einer Revolution gekontert werden."

Außerdem: Die Zeit hat das Streitgespräch der beiden Ökonomen Marcel Fratzscher und Clemens Fuest über Ungleichheit online nachgereicht.
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Religion

In der NZZ widerspricht der Publizist Gerhard Schwarz Papst Franziskus und erklärt, warum man ein Kapitalist und trotzdem ein guter Christ sein kann.
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Stichwörter: Papst Franziskus, Franziskus

Urheberrecht

Martin Vogel kommentiert im Perlentaucher die von der Bundesregierung eilends neu beschlossene Verlegerbeteiligung in der VG Wort nach dem alten Modell (das vonm BGH eigentlich gekpippt worden war): "In dem von den Verlagen, insbesondere den Zeitungsverlagen, beherrschten öffentlichen Klima war es, noch dazu im Vorwahlkampf, nicht schwierig, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, deren Ziel es ist, den Urhebern gegen einige Brotkrumen beim Urhebervertragsrecht wieder bis zur Hälfte des Aufkommens aus ihren gesetzlichen Vergütungsansprüchen abzujagen. Dass Urheber als solche keine Lobby haben, haben so die Vorgänge um die Verlegerbeteiligung wieder einmal nur zu deutlich gezeigt."
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Medien

Zum Thema "Fake News" hat Jacob Soll in politico.eu eine kleine Korrektur anzubringen: "Bei all dem Händeringen der Medien um Fake News ist eine Tatsache verloren gegangen: Fake News sind kein neues Phänomen. Es gibt sie, seit vor 500 Jahren mit der Druckerpresse Nachrichten zu einem Begriff wurden, wesentlich länger als als verifizierte, 'objektive' Nachrichten, die vor kaum mehr als einem Jahrhundert entstanden sind."

Aber keine bange, Martin Schulz hat die Lösung des Problems schon gefunden, meldet die SZ: "Martin Schulz fordert EU-weites Gesetz gegen Fake News."

Florian Zechmeister zitiert bei Netzpolitik aus einer Studie über Überwachung von Journalisten, auch in Demokratien, und lernt in Russland einiges über die Zukunft des Metiers: "Wie reagieren die Journalisten auf das gestörte Gleichgewicht zwischen Überwachung und investigativem Journalismus? Einige wenige Befragte, wie beispielsweise ein Mitarbeiter der russischen Nowaja Gaseta, verzichten der Studie zufolge komplett auf digitale Geräte wie Mobiltelefon, Kamera und Laptop. Stattdessen fühlen sie sich mit kleinen Notizbüchern, die sie regelmäßig austauschen, am sichersten."
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Politik

Was den russischen Einfluss auf die amerikanischen Wahlen oder das Thema Fake News angeht, lassen sich die Medien immer wieder von Trump in eine Falle locken, schreibt Masha Gessen in der New York Times. Durch seine Leugnung von Fakten wird nur noch darüber diskutiert, was Fakt ist. Aber die Diskussion müsste komplexer sein, so Gessen: "Wir sollten uns fragen, wie Öffentlichkeit in einer international vernetzten Welt entsteht. Wir sollten fragen, ob es Informationen gibt, die aus der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen werden müssen, weil sie durch Spionage oder andere illegale Methoden erlangt wurden. Wir sollten diskutieren, wie Journalisten mit solchen Informationen umgehen."

Außerdem: Joseph Croitoru hat für die FAZ nochmal in Donald Trumps Büchern nachgeschlagen und hat die größten Befürchtungen übe seine Pläne für den Nahen Osten.
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