9punkt - Die Debattenrundschau

Sachsen gibt es anderswo auch

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.01.2021. Wir haben verhandelt und verhandelt, dann kam endlich der Brexit, und was blüht uns jetzt? Verhandlungen, fürchtet Timothy Garton Ash im Guardian. Trump könnte immer noch putschen und sich dabei auf die Verfassung berufen,  sagt der Verfassungsrechtler Russell Miller in der FAZ. NZZ und Welt befassen sich mit Verschwörungstheoretikern, die zur größten terroristischen Bedrohung für die USA werden könnten. Die FAZ prangert die Praxis des Zitierens an. Zitate seien Enteignung.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.01.2021 finden Sie hier

Politik

Donald Trump ist nun der erste Präsident in der Geschichte der USA, gegen den zum zweiten Mal ein Impeachmentverfahren angestrengt wird, mehr in der New York Times.

Unterdessen hat sich auch Twitter-Chef Jack Dorsey in einem ausführlichen Thread zur Sperrung des Trump-Kontos geäußert. Seine Eröffnung klingt etwas unsicher:


Donald Trump könnte immer noch auf die Idee kommen, einen "Aufstand zu bekämpfen", sagt der Verfassungsrechtler Russell Miller im Gespräch mit Reinhard Müller von der FAZ: "Das Statut räumt dem Präsidenten in diesem Zusammenhang einen großen Ermessensspielraum ein. Der Präsident entscheidet, ob außergewöhnliche Maßnahmen 'notwendig' sind. Der Supreme Court betrachtet diese Delegation von Autorität an den Präsidenten als eine exklusive und erschöpfende Erteilung von Macht. Die Entscheidung, ob ein entsprechender Notstand vorliegt, so urteilte der Supreme Court in Luther v. Borden im Jahre 1849, obliegt allein dem Präsidenten und kann als politische Frage nicht von den Gerichten überprüft werden." Die Frage wäre allerdings, ob jeder mitmacht: "Militärfachleute erkennen weithin an, dass Soldaten nicht verpflichtet sind, einem ungesetzlichen Befehl zu gehorchen. Offiziere schwören einen Eid auf die Verfassung und nicht auf einen Präsidenten."

Die Republikaner sind nicht erst durch Trump  in den "autoritären Populismus" geführt worden, meint der Politologe Jan Werner Müller in der NZZ: "Einerseits waren sie die Partei, die sich mehr um die Unternehmen und die Staatsfinanzen sorgte (wobei seit Nixon so gut wie jeder republikanische Präsident dank Steuergeschenken an die Wohlhabenden riesige Defizite hinterlassen hat). Andererseits betrieben sie aber gnadenlos Kulturkampf im Namen konservativer Werte - und scheuten sich dabei nicht, sotto voce an den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft zu appellieren. Politikwissenschafter haben für diesen Mix den Begriff 'plutokratischer Populismus' geprägt. Gerade weil die finanzpolitischen Vorstellungen der Republikaner eigentlich enorm unpopulär sind - für eine systematische Umverteilung zugunsten des obersten einen Prozents lassen sich kaum Mehrheiten organisieren -, muss man von ihnen mit radikaler Rhetorik ablenken und immer wieder behaupten, die Demokraten zerstörten das weiße, christliche Amerika."
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Urheberrecht

Es ist eine Enteignung, ruft Carsten Knop im Leitartikel auf der Seite 1 der FAZ und meint die Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform in Deutschland. Dort war bisher - aber der Lobbydruck der Industrien wird das schon verhindern - eine Bagatellgrenze für Zitate vorgesehen, bei der soziale Plattformen die Medien nicht erst fragen müssen, bevor sie sie zitieren. Für Texte ist bisher eine Grenze von tausend Zeichen vorgesehen. Cnop fordert: "Die Bagatellschranke ist deshalb nicht nur auf 500 Zeichen abzusenken, sondern möglichst ersatzlos zu streichen. Denn Plattformen müssen die Verpflichtung haben, die Rechte aktiv einzuholen." Also bei jedem Zitat eines Presseartikels erstmal nachzufragen, ob man zitieren darf.
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Ideen

Vor zwei Jahren brachten Kulturfunktionäre eine "Erklärung der Vielen" gegen die AfD heraus, Ende letzten Jahres einen Aufruf der "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit", um BDS-Sympathisanten einladen zu können. Dabei agieren AfD und BDS in vielem recht ähnlich, findet Thomas Wessel bei den Ruhrbaronen. Und nebenbei stilisieren sich die Kulturmandarine zu Opfern - auf Konsistenz werde dabei keine Rücksicht genommen. "Hat die 'Erklärung der Vielen' noch eine halbwegs konkrete Praxis gegen AfD und rechte Strategien gesetzt, findet sich bei der 'Initiative' nichts: kein Programm, keine Aktion, keine Idee dafür, wie man den Leuten, die BDS zum cultural code erheben, denn eigentlich begegnen will, mit welchem Ziel, welcher Strategie, in welchen Formen. Stattdessen textet man munter ins Blaue hinein, da ist ist BDS mal 'unbedeutend' und dann wieder Stimme eines 'globalen Südens'; mal kennt 'kaum jemand' die Kampagne, dann wieder wäre ein Verzicht auf sie 'nachhaltig negativ'; mal geht es um 'Kampf', dann um die 'Auflösung kriegerischer Schemata' und so weiter. Egal was, es passt."
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Gesellschaft

In der NZZ untersucht der Soziologe Tilman Allert verschiedene Formen des Leugnens im Allgemeinen - und die Verschwörungstheoretiker im Besonderen: "Das Trauma, unter einer permanent erzwungenen Zwangskonformität gelebt zu haben, wie sie für die Diktatur des Nationalsozialismus sowie diejenige der DDR charakteristisch war, filtert das Verständnis der Gegenwart und verhindert eine angemessene Situationswahrnehmung. Die Tatsache etwa, dass die wegen der Corona-Pandemie derzeit geltenden Einschränkungen des täglichen Lebens vorübergehend und als solche vom Souverän, also dem Parlament, legitimiert sind, wird notorisch übersehen. Das setzt die Bereitschaft zu einer Art nachträglichem Ungehorsam frei, einer Geste, der sich auch und gerade die Generation anschließt, die die DDR, die 'Ungeheuerlichkeit eines historisch durch und durch kontaminierten Raumes' (Durs Grünbein) mittlerweile nur noch aus Erzählungen kennt - Sachsen wäre ein Beispiel, aber Sachsen gibt es anderswo auch."

Verfassungsschutz und Politik müssen mehr gegen Verschwörungstheoretiker tun, fordert Ibrahim Naber in der Welt: "Der Terrorismusforscher Peter R. Neumann warnt davor, dass Teile dieser Bewegung um QAnon in den kommenden Jahren zur größten terroristischen Bedrohung für die USA werden könnten. 'Eine größere Gefahr als der Dschihadismus', schreibt Neumann auf Twitter und führt mehrere Gründe für seine These an. Die Verschwörungsbewegung vereine mehr Menschen, mehr Waffen und kämpfe gleichzeitig gegen einen Gegner im eigenen Land. Das verstärke die Polarisierung. Zudem geht der Forscher davon aus, dass QAnon bereits Polizei und Militär infiltriert hat. Auch in Deutschland hat QAnon bereits Tausende Anhänger. Sie glauben an ein im Verborgenen agierendes Netzwerk an Pädophilen, das die Gesellschaft unterwandert und Kinder tötet."
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Medien

In der Trump-Ära haben sich nicht nur einige populistische Sender wie OANN oder Newsmax rechts von Fox News gegründet, Trump zieht auch "konservative Medienhäuser, TV-Sender, Zeitungen, Newsportale immer weiter mit in seine Richtung, als hingen sie an einem Seil; konservativ sein und Trump nicht zu folgen, ist mit Blick auf das polarisierte Publikum schwierig", schreibt Jürgen Schmieder in der SZ: "All das führt dazu, dass mittlerweile laut einer Umfrage der Monmouth University mehr als 61 Prozent der Republikaner angaben, dass sie den Ergebnissen der Wahl nicht trauen - im Oktober waren es noch weniger als 15 Prozent. 'Die Frage ist, ob es sich um einen kurzfristigen Protest handelt, nach dessen Ende wieder alle Fox News schauen - oder ob sich diese Sender langfristig etablieren können', sagt Historikerin Hemmer. Es wird immer wieder spekuliert, ob Trump im kommenden Jahr bei OANN oder Newsmax als Investor einsteigen wird - doch: Warum sollte er? Die sind doch längst auf seiner Seite."
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Stichwörter: Trump, Donald, Fox News, USA

Internet

Dem zwanzigsten Geburtstag der Wikipedia widmet die SZ eine ganze Seite. Alex Rühle singt ein Loblied auf diesen "Seriositäts-Anker im Meer des Unsinns". Noch immer ist die Wikipedia "weiß, westlich, männlich", nach wie vor werden Frauen anders behandelt als Männer, kritisiert dagegen Simon Hurtz: "Das gilt nicht nur für ihre Themen, sondern auch für die Gemeinschaft derer, die an ihr arbeiten. Auf neun Wikipedianer kommt eine Wikipedianerin."
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Stichwörter: Wikipedia, Gendergap

Europa

Brexit ist durch, Britannien steht wieder souverän für sich. Und die Folgen? Es muss immer neu und immer wieder verhandelt werden, fürchtet Timothy Garton Ash im Guardian: "Die Johnson-Regierung sagte, wir hätten die Wahl 'Australien oder Kanada' zu sein, aber in Wirklichkeit werden wir eher wie die Schweiz sein, die endlose Runden pingeliger Verhandlungen mit der EU ertragen muss, unterbrochen von anfallsweisen Schikanen  aus Brüssel. Gewiss, Großbritannien ist eine Groß-Schweiz mit Raketen, aber das Dilemma ist im Grunde dasselbe."

Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny will am Sonntag nach Moskau zurückkehren. Ihm droht vermutlich Haft, schreibt Frank Herold im Tagesspiegel: "Aber das weiß er natürlich - und auch, dass er keine andere Wahl hat. Er muss zurückkehren, wenn er in Russland weiter eine politische Rolle spielen will. Im Exil hätte er die schon verloren. Ihm erginge es wie dem früheren Schachweltmeister Garri Kasparow, der in den USA lebt, und Michail Chodorkowski in der Schweiz: Wladimir Putin hat sie erfolgreich kaltgestellt."

Es ist nicht unmöglich, dass "Nawalny den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Fall bringt", glaubt Viktor Funk in der FR: "Noch weiß der Geheimdienstler die Mehrheit der Menschen im Land hinter sich. Dafür sorgen auch nicht zuletzt die auf Linie gebrachten Fernsehsender - nach wie vor die Hauptinformationsquelle der älteren Bevölkerung. Zugleich misstrauen aber die 18 bis 24 Jährigen (51 Prozent) mehr und mehr dem Regime und beziehen ihre Informationen übers Internet, aus sozialen Medien oder direkt von Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen."

Der Türkei geht es zwar im Moment nicht so gut. Aber sie ist durchaus fähig, Rekorde zu brechen, schreibt Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne. Zum Beispiel diesen: "Fünf türkische Bauunternehmen schafften es unter die Top 10 der Gewinner staatlicher Ausschreibungen weltweit. Die Unternehmen auf Platz eins, drei, vier, sieben und acht sind, mit Erdogans Worten, 'einheimische und nationale' türkische Firmen. Gemäß Weltbank-Report erhielten diese fünf Bauunternehmen seit Erdogans Regierungsantritt 2002 den Zuschlag für staatliche Ausschreibungen im Wert von rund 120 Milliarden Euro."
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