9punkt - Die Debattenrundschau

Und du schnappst einen Teil Polens?

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.03.2024. Die FAZ folgt den Blicken Alexander Lukaschenkos und seines adipösen Spitzes und legt einen Finger in die Suwalki-Lücke. Die taz ist gegen einen Einbürgerungstest mit Fragen zu Israel - muslimische Einwanderungswillige könnten sich ausgegrenzt fühlen. Ebenfalls in der taz fürchtet Adrian Lobe: "Die digitalen Klärwerke sind überfordert." Die Welt fragt: Warum sollen nicht ein paar jüdische Propheten auf dem Dach des Stadtschlosses stehen?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.03.2024 finden Sie hier

Europa

Die Suwalki-Lücke. (Bild: NordNordWest,, CC BY-SA 3.0)


Der belarussische Autokrat Alexander Lukaschenko hat Videomaterial streuen lassen, das ihn (zusammen mit seinem adipösen Spitz) bei einer Militärübung zeigt, berichtet Friedrich Schmidt für die FAZ. Es geht bei der Übung um die "Suwalki-Lücke", jene enge Stelle zwischen Belarus, Litauen, Polen und Königsberg, die - so Schmidt - "die schwächste Stelle der Nato" sei. "Lukaschenko fragt, wie weit es von der belarussischen Grenze nach Königsberg ist. Sein Verteidigungsminister Viktor Chrenin antwortet, Luftlinie seien es 42 Kilometer, entlang der Grenze rund 90 Kilometer. 'Praktisch nichts', antwortet Lukaschenko, 'vergebens betragen sie sich so.' Wohl mit Blick auf die Zielsetzung der eigenen Militärübung sagt Lukaschenko dann zu dem verantwortlichen Kommandeur, Alexandr Naumenko: 'Aber gerade musst du den baltischen Republiken gegenüberstehen. Und du schnappst einen Teil Polens?' Einen 'kleinen Teil', stimmt Naumenko zu. Lukaschenko präzisiert: 'Den nordöstlichen.'"

Künftig sollen Migranten, die eingebürgert werden wollen, bei einem Einbürgerungstest auch Fragen zu Israel und zum Holocaust gestellt werden. Dinah Riese findet das in der taz eher peinlich: "Solche Fragen sind geeignet, grundsätzliches Misstrauen gegenüber Menschen zu schüren, die eingebürgert werden wollen - und seien wir ehrlich: vor allem jenen gegenüber, die aus muslimisch geprägten Ländern kommen. Zur Sicherheit jüdischer Menschen in Deutschland aber trägt dieser Fragenkatalog nichts bei. Deutschland hat ein massives Antisemitismusproblem. Doch dieses zieht sich durch die gesamte Bevölkerung, ob arm oder reich, mit Hauptschulabschluss oder Doktortitel, mit oder ohne Migrationsbiografie."

Dass die AfD wie eine Agentur Wladimir Putins wirkt, war ja schon länger bekannt. Im Spiegel bringt nun eine Reportergruppe eine Recherche zum Internetmagazin Voice of Europe, das nicht nur Putin-freundliche Nachrichten im Netz streute, wie die tschechische Regierung herausgefunden hat: "Die tschechischen Behörden erheben aber noch härtere Vorwürfe gegen das Medienunternehmen und sein Netzwerk. So soll Voice of Europe auch als Vehikel zur verdeckten Finanzierung von Europawahl-Kandidaten gedient haben, die Moskau genehm sind. Nach Spiegel-Informationen soll das Geld entweder bei persönlichen Treffen in Prag bar übergeben oder per Kryptowährung transferiert worden sein. Von insgesamt mehreren Hunderttausend Euro ist die Rede." In den Berichten ist von Politkern aus verschiedenen EU-Ländern die Rede, die AfD wird ausdrücklich genannt, aber nicht einzelne Politiker.
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Politik

"Die UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, sieht 'vernünftige Gründe' für die Annahme eines israelischen Völkermords im Gazastreifen", berichtet tagesschau.de im Ton der Neutralität. Hört man sich Albaneses Rede bei der Präsentation ihres Berichts an, hört man auch, wie sie die Formel "From the River to the Sea", die eine Auslöschung Israels verlangt, provokant einflocht. Die Hamas wird in Albaneses Präsentation kaum erwähnt. Eine offizielle UN-Funktionärin wird damit zur Verkörperung einer Tendenz, die in der ganzen westlichen Welt zu verspüren ist, schreibt Maria Ossowski in der Jüdischen Allgemeinen: "Überall in der westlichen Welt lässt sich diese beunruhigende Erosion des Mitgefühls in Kombination mit Blindheit beobachten. Es begann direkt nach dem Massaker, als Medien und Politik zwar aufschreckten, die Mehrheit der Deutschen jedoch dem kollektiven Schweigen verfiel. Zwar demonstrierten in Berlin 20.000 Menschen für Israel - als zwei Jahre zuvor Russland die Ukraine überfallen hatte, waren es aber eine halbe Million. Statt Mitgefühl machte ein schrecklich abstrakter Begriff die Runde, und zwar Kontextualisierung."
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Internet

"Die digitalen Klärwerke sind überfordert", KI-generierte Trash-Inhalte fluten das gesamte Netz, stöhnt Adrian Lobe in der taz: "So spuckte Google bei der Bildersuche nach 'Tank Man' - jenem mutigen Mann, der sich im Juni 1989 am Tiananmen-Platz in Peking einer Panzerkolonne entgegenstellte - im vergangenen Jahr ein KI-generiertes Fake-Selfie als Top-Ergebnis aus. Schon seit einiger Zeit beklagen Nutzer die nachlassende Qualität der Suchmaschine. Die Ergebnisliste sei mit Anzeigen und suchmaschinenoptimiertem Müll gepflastert, heißt es. Jahrelang konnten sich die Tech-Konzerne das Müllproblem vom Leib halten, indem sie einen digitalen Putztrupp auf den Philippinen beschäftigten, der für ein paar Dollar am Tag den Unrat aussortierte. Doch jetzt dringt dieser Müll an die klinisch reinen Benutzeroberflächen."
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Stichwörter: KI-Generierte Inhalte

Urheberrecht

Im US-Staat Tennessee wurde der sogenannte "ELVIS-Act" verabschiedet, der die eigene Stimme und das Aussehen vor der Verwertung durch KI schützt, schreibt Andrian Kreye in der SZ. Dass kann zwar nicht den Wegfall von Arbeitsplätzen im Bereich des Hörspiels verhindern, sei aber ein gutes Zeichen, erfährt Kreye von Matthias Hornschuh, Sprecher der Initiative Urheberrecht. "'Dass Tennessee mit dem ELVIS-Act nun mit der Stimme das intimste und verletzlichste Musikinstrument gegen Missbrauch schützt, ist, unabhängig von der Frage nach der Durchsetzbarkeit des Rechts, die richtige Maßnahme zum richtigen Zeitpunkt. Denn damit ist die Anerkenntnis verbunden, dass es weder den Anbietern noch den Nutzern der Technologie freisteht, Entscheidungen über Persönlichkeit anderer Menschen zu treffen - nur weil es geht.'"
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Gesellschaft

Ein Verband von Frauenärzten und -ärztinnen, der  Berufsverband der Frauenärzte, hat sich gegen eine Legalisierung von Abtreibung in Deutschland ausgesprochen. Bisher wird Schwangerschaftsabbruch nach den Regeln des Paragraf 218 im Strafgesetzbuch ausgeübt. Bremer Ärzte haben sich gegen das Statement der Kollegen gewandt, berichtet Eiken Bruhn in der taz. Unter anderem machen sie darauf aufmerksam, dass Abtreibung schon jetzt in Deutschland mit vielen Hindernissen verbunden ist: "Erst am 10. April werden erstmals gesicherte empirische Daten zur Versorgungssituation veröffentlicht, wenn die Ergebnisse der sogenannten Elsa-Studie vorgestellt werden. Aber bereits jetzt ist durch zahlreiche Recherchen von Journalisten - zuerst 2017 in der taz - bekannt geworden, dass es Regionen gibt, in denen Schwangere 150 Kilometer und mehr für eine Abtreibung fahren müssen. Auch in vielen Großstädten gibt es mittlerweile immer weniger Ärzte und Kliniken, bei denen das möglich ist. Schwangere müssen entweder warten oder längere Wege auf sich nehmen."

Susan Neiman hat sich neulich in der Irish Times beklagt, jüdische Kritiker Israels würde in Deutschland zum Schweigen gebracht (unser Resümee) und in Monopol behauptet, Künstler hätten wegen eines hier grassierenden "philosemitischer McCarthyismus" Angst, nach Deutschland zu reisen. Geht's noch, fragt Alan Posener in der Welt. "Während jüdische Kinder hierzulande nur unter Polizeischutz zur Schule gehen können, während ganze Stadtviertel als No-Go-Area für Kippa-Träger gelten, ist es vielleicht nicht ganz so schlimm, wenn Israelhasser befürchten müssen, hier in den Medien kritisiert zu werden oder mal keinen Preis zu bekommen. Was hier passiert, ist nämlich, dass sich endlich diejenigen zu Wort melden, die jahre- und jahrzehntelang zum Antisemitismus der Linken geschwiegen haben; ein Antisemitismus, den Neiman leugnet. ... Susan Neiman sagt richtigerweise, dass die AfD ihren Philosemitismus vor sich herträgt, um von ihrem Rassismus abzulenken. Freilich gibt es kaum Juden in Deutschland, die darauf hereinfallen. Die Linke jedoch trägt ihren Antirassismus vor sich her, um von ihrem Antisemitismus abzulenken. Darauf fallen leider immer noch zu viele herein."
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Kulturpolitik

Der Architekturhistoriker Philipp Oswalt kritisierte neulich erneut den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses mit Geldern von rechten Großspendern scharf (Unser Resümee). Was aber an den Statuen rechts sein soll, erschließt sich Matthias Heine in der Welt nicht: "Verblüffend an der Jeremiade von Zimmerer/Oswalt ist, dass acht Juden, die vor mehr als 2.500 Jahren lebten und deren Prophetenworte bis heute große Teile der heiligen Schriften des Judentums füllen, neuerdings als deutsch-völkische Symbolgestalten interpretiert werden. Am allerverblüfftesten wären wohl die Nazis gewesen. Die strichen nämlich den Namen eines der Acht - Zacharias - 1934 aus dem Buchstabieralphabet, weil sie es künftig judenfrei haben wollten. Auch Jakob und Samuel, zwei andere Namen aus dem alten Testament, mussten damals weichen." Und überhaupt versteht er die ganze Aufregung über die Spender nicht: "Dass Leute, die sehr viel Geld haben, seltener links sind", sein nun wirklich "keine neue Erkenntnis. Es macht den Wiederaufbau des Schlosses, der vom Bundestag demokratisch beschlossen wurde, noch lange nicht zu einem Nazi-Projekt."
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