Efeu - Die Kulturrundschau

Zwerchfell-Attacken

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.04.2014. Der Freitag beobachtet den rauschenden Erfolg des Underdogs Mike Kelley bei der großen Retro in Los Angeles. Die NZZ beobachtet die Entstehung eines japanisch-schweizerischen Kettengedichts. Mit fliegenden Brathähnchen im "Freischütz" gewinnt Regisseur Viestur Kairish keinen Blumentopf bei der Kritik. Die SZ hört, wie Alexander Melnikov Schumann auf einem Érard explodieren lässt.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.04.2014 finden Sie hier

Kunst

Für den Freitag hat Tom Kummer im Moca in Los Angeles die große Retrospektive des 2012 gestorbenen Mike Kelley besucht. Bei der Eröffnung kamen jede Menge Hollywood- und Popstars und dass, wo Kelley den Erfolg doch hasste! Er war ein Anti-Warhol, meint Kummer: "Kelley wurde Kultfigur als Underdog. Er bebilderte die Schattenseite des Populären. Von allen Künstlern der achtziger Jahre war er derjenige, der eine neue, komplexe Identität für seine Generation etablierte. Dass er obendrein kommerziell erfolgreich werden sollte und am Ende seines Lebens eine Mannschaft von 30 Mitarbeitern in seinen Ateliers beschäftigen musste, machte ihn fertig." (Bild: Mike Kelley, Plaid Dialogue, 1997)

In der NZZ berichtet Judith Leister vom Münchner Kulturfestival "Sta ima?" (etwa: "Was geht ab?") über den Mythos Sarajewo. Zu den wichtigsten Erinnerungsmomenten gehörten das Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand 1914 und die Belagerung der Stadt durch die Serben 1992-95: "Adela Jusićs Video 'Sniper' beschäftigt sich mit familiärer Schuld und Trauer: Ihr Vater, Scharfschütze im Bosnienkrieg, wurde durch einen Schuss ins Auge getötet - später entdeckte sie ein Notizbuch, in dem er die Zahl seiner Opfer notiert hatte."

Weitere Artikel: Anne Katrin Feßler lässt sich für den Standard von Heinrich Dunst durch dessen Ausstellung in der Wiener Secession führen und verspürt dabei ein starkes "Unwohlsein angesichts der Unschärfe, die sich im Zusammenspiel der disparaten Zeichensysteme Sprache und Bild ergibt". Ullrich Schwarz, Professor für Architekturtheorie an der HafenCity Universität Hamburg, erklärt in der Zeit, warum er wenig Sympathie für den "Neuen Realismus" in der Architektur hat.

Besprochen werden eine Ausstellung von Fred Steins Fotografien im Jüdischen Museum Berlin (Tagesspiegel), die Sigmar-Polke-Retrospektive im New Yorker MoMa (Zeit) und die Ausstellung "Zwischen Dürer und Napoleon. Die Gründung der Albertina" in der Wiener Albertina (taz).

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Literatur

In der NZZ erzählt Eduard Klopfenstein von einem japanisch-schweizerisches Poetentreffen in Tokio, das er als Organisator und Übersetzer begleitet hatte. Bei dem Treffen verfassten Tanikawa Shuntaro, Kaku Wakako, Klaus Merz und Raphael Urweider gemeinsam ein Gedicht: "Mit Blick auf die Gartenanlage verfassten die vier Beteiligten eine 36-gliedrige Gedichtkette, die am Ende öffentlich in beiden Sprachen vorgetragen und kommentiert wurde. Der nachstehend abgedruckte Anfang der Kette (die Gedichte 1 bis 7) gibt einen ersten Eindruck des poetischen Reigens. Die Idee zu einem solchen schöpferischen Prozess leitet sich von der altjapanischen Tradition der Kettendichtung (renga) her. Doch bei der Übernahme in die moderne Dichtung hat man sich vom ganzen Regelwesen und von den klassischen Formen befreit."

Weitere Artikel: Jan Küveler berichtet für die Welt über das Literaturfestival Eventi Letterari auf dem Monte Verità. Die American Library Association hat eine Liste der zehn Bücher veröffentlicht, die 2013 am häufigsten beanstandet wurden: In der NZZ wundert sich Angela Schader, dass die afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison und der indianische Autor Sherman Alexie die beiden einzigen etablierten Autoren sind, die auf der Liste stehen. In der FAZ erinnert Mark Lehmstedt an den Verleger Philipp Erasmus Reich, der vor 250 Jahren mit seinem Entschluss, Frankfurt gen Leipzig den Rücken zu kehren, Leipzig auf viele Jahre zum literarischen Zentrum Deutschlands machte. Auf der Seite drei der SZ porträtiert Carlos Widmann den Schriftsteller Zia Haider Rahman aus Bangladesch (mehr hier), den Superagent Andrew Whylie gerade als neuen Stern über der Literaturszene aufgehen lässt.

Besprochen werden unter anderem Dietmar Daths und Oliver Scheiblers Graphic Novel "Mensch wie Gras wie" (Presse), Angelika Limmroths Biografie über Jenny Marx (Freitag), Paul Boghossians "Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus" (taz), ein Buch von Monika Stucky-Schürer über die Thron-Tapisserie im Louvre (NZZ) und Rudolf Steiners "Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte" (FAZ).
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Bühne



Viestur Kairishs
Inszenierung von Webers "Freischütz" an der Kölner Oper stößt auf wenig Gegenliebe. Als "spektakulär an die Wand gefahren" bezeichnet Markus Schwering im Kölner Stadt-Anzeiger die Aufführung: "Während ein integrierendes Konzept, so es vorhanden ist, kaum erkennbar wird, fallen einige plumpe Zwerchfell-Attacken umso mehr auf: Wenn Max nach einem Adler schießt und ein Brathähnchen erntet, genügt dies zweifellos dem Niveauanspruch einer Comedy-Show. Das ständige Gekicher auf der Bühne hingegen nervt nur noch. Der 'Freischütz' ist nun mal keine Boulevardkomödie, und wer ihn mit Gewalt in diese Richtung zu bürsten versucht, muss scheitern." In der FAZ bescheinigt Gerhard Rohde der Inszenierung ebenfalls eine "eher alberne studententheatermäßige Qualität". (Foto: Bernd Uhlig)

Patrick Wildermann porträtiert für den Tagesspiegel den aus Afghanistan geflohenen Schauspieler Marof Yaghoubi, der nun am Deutschen Theater in Berlin spielt.

Besprochen werden Walter Braunfels' Oper "Der Traum ein Leben" in Bonn (Welt) und Alberto Triolas Inszenierung von Mozarts "La clemenza di Tito" an der Kammeroper in Wien (Presse).
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Film

Besprochen werden Marc Webbs "The Amazing Spider-Man 2 - Rise of Electro" (Standard) und zwei Filme über jüdische Schicksale im 20. Jahrhundert: "Lauf Junge lauf" von Pepe Danquart und "Ida" von Paweł Pawlikowski (Zeit).
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Stichwörter: Electro, Spider-Man, Pepe

Musik

Für die SZ hat Reinhard J. Brembeck die Proben zur Konzertreihe "Schumann pur" besucht, die er mit zum Ambitioniertesten zählt, was dieses Jahr in deutschen Konzerthäusern zu hören sein wird: "Bei Alexander Melnikov ist es nicht mit Saitenwechseln getan, er braucht ein anderes Instrument. Edwin Beunk, Restaurator und Sammler alte Klaviere, hat daher aus Enschede einen herrlichen Érard von 1837 vorbeigebracht. Vom Klang her ähnlich dem der dunklen FBO-Bläser, die explosive Attacke erinnert an harte Cembalo-Effekte, bei gehobener Dämpfung ist der Nachhall nie so penetrant wie beim modernen Instrument. Melnikov, der große Grübler im Trio, spielt mit analytischer Exaktheit, meidet jede Verklärung. In der trockenen Freiburger Akustik wirkt das wie eine Vivisektion."

Außerdem: In der FR gratuliert Stefan Schickhaus dem Dirigent und Musiker Sir Neville Marriner zum 90. Geburtstag. Charlotte Gerling bringt in der taz Hintergründe zum Record Store Day (mehr), der sich mit lockenden Schnäppchen und limitierten Exklusivauflagen zum umsatzstärksten Tag des Jahres für die Plattenläden entwickelt hat. Manuel Brug hat sich für die Welt von Vadim Repins Trans-Siberian Art Festival nach Novosibirsk einladen lassen, bekam dort aber nur "Klassikborschtsch mit vielen regimetreuen Künstlern" zu hören. Der Schweizer Komponist Beat Furrer erhält den Großen Österreichischen Staatspreis, meldet Ljubiša Tošic im Standard.

Besprochen werden Uli Aumüllers und Sebastian Rauschs Konzertinstallation "Im Wald" (Berliner Zeitung), Boy Georges Auftritt in Köln (Berliner Zeitung), Johnny Cashs bislang unveröffentlichtes Album "Out Among the Stars" aus den 80ern ("mit kleinen Einschränkungen ein würdiges posthumes Album", schreibt Sylvia Staude in der FR), eine CD von Christopher Taylor alias Sohn (Welt) und eine CD von Alban Gerhardt mit Pfitzners Cello-Konzerten (Tagesspiegel).
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