9punkt - Die Debattenrundschau

Die Botschaft des Netzes als Medium

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.09.2015. Wenn die Kartoffel so heiß gegessen wird, wie sie gestern kochte, ist Katalonien demnächst unabhängig, meint der Guardian. In der Welt leisten Kurt Flasch und Friedrich Wilhelm Graf dem Teufel Sterbehilfe. Ebendort warnt Wolf Lepenies vor einem Bündnis von Rechts- und Linksextremisten in Frankreich. Theodor-Wolff-Preisträgerin Barbara Sichtermann wendet sich in ihrer Preisrede gegen die "Kostenlosmentalität". Teheran wird bunter, berichtet die FAZ, aber das Internet wird ab und zu abgeschaltet.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.09.2015 finden Sie hier

Europa

Riesige Demonstrationen für die Unabhängigkeit in Barcelona. So sieht der Fotostrom bei Twitter zum Hashtag #Catalunya aus:



Was geschehen könnte, wenn das sezessionistische Parteibündnis Junts pel Sí die Regionalwahlen gewinnt, erzählt Ashifa Kassam im Guardian: "Wenn Junts pel Sí eine Mehrheit in dem Parlament mit 135 Sitzen gewinnt, will Artur Mas von den konservativen Sezessionisten eine Übergangsregierung anführen, die eine katalonische Verfassung formuliert und eine Sezession mit der Zentralregierung aushandelt. Eine Mehrheit würde Mas auch gestatten, im Jahr 2017 einseitig die Unabhängigkeit zu erklären." Allerdings rechnen Umfragen nur mit 38 Prozent für das Bündnis, das mit Sezessionisten vom linken Rand zusammengehen müsste.

Wolf Lepenies warnt in der Welt: ein Bündnis von Rechts- und Linksextremisten à la Griechenland könnte auch in Frankreich möglich sein: "Es ist nicht länger ausgeschlossen, dass sich in Frankreich eine politische Bewegung bildet, die ihr Wählerpotenzial bei den Euro- und EU-Gegnern sieht, ganz gleich welcher ideologischen Überzeugung sie anhängen. In den gegenwärtigen Meinungsumfragen liegt Marine Le Pen bei der nächsten Präsidentenwahl im ersten Wahlgang an der Spitze. Kommt es zur Gründung einer Anti-Euro-Front, könnte sie auch den zweiten Wahlgang gewinnen."

Außerdem: In der SZ unterhält sich Andreas Zielcke mit dem Soziologen und Kursbuch-Herausgeber Armin Nassehi über die Flüchtlingskrise.
Archiv: Europa

Religion

Ein Treffen der Giganten in der Literarischen Welt: Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf bespricht Kurt Flaschs Geschichte des Dämonenglaubens "Der Teufel und seine Engel". "Flasch meint, dass der Teufel in Europa nun definitiv einen Schwächetod gestorben sei. Auch erklärt er mit einiger Überzeugungskraft, dass ein Christentum ohne Teufel nur blass und auf Dauer nicht überlebensfähig sei. Darüber mag man streiten."
Archiv: Religion

Internet

Marshall McLuhan hat nicht recht, sagt die mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnete Autorin Barbara Sichtermann in ihrer Preisrede, die beim Freitag abgedruckt ist, und sie bringt die üblichen Argumente gegen die "Kostenlosmentalität": "Was ist denn nun eigentlich die Botschaft des Netzes als Medium? Soweit ich die verstanden habe, lautet sie: Alles sofort, for free, und jeder kann mitmachen. Jeder kann mitmachen, das geht in Ordnung. Aber was ist mit "sofort"? Das heißt doch wohl: Alles, was Zeit kostet, also die Reflexion einer Botschaft, fehlt. Das ist schon mal nicht so gut. Und "for free"? Gibt"s nicht, das weiß jeder. Warum lügt das Netz?"
Archiv: Internet

Politik

Waltraud Schwab porträtiert in der taz die Grüne der ersten Stunde Eva Quistorp, die gerade ihren Siebzigsten feierte: "Die entschiedene Pazifistin fordert als eine der Ersten nicht nur, dass Vergewaltigung im Krieg als Kriegsverbrechen anerkannt wird, sondern im August 1992 auch, dass die UNO militärisch in Bosnien eingreift, um die Lager und Sarajevo zu befreien. Das nehmen ihr viele übel. Es beendet ihre Karriere bei den Grünen."
Archiv: Politik

Medien

Ensaf Haidar, die Frau des saudischen Bloggers Raif Badawi, dem nach wie vor jahrelange Haft und tausend Peitschenhiebe drohen, gründet im Namen ihres Manns eine Stiftung, berichtet Thorsten Denkler für die SZ: "Die Stiftung ist seit diesem Freitag in Kanada in das Stiftungsregister eingetragen. Dort, in der Provinz Québec, lebt Haidar mit den drei gemeinsamen Kindern. Von dort koordiniert sie ihren Kampf für die Freilassung ihres Mannes. Die Stiftung geht darüber hinaus. Sie soll Presse- und Meinungsfreiheit in der arabischen Welt fördern. Blogger und Journalisten sollen hier Beratung und Unterstützung finden." Haidar ist gerade in Berlin.

Die Krautreporter haben vor einem Jahr ein beachtliches Funding eingeworben, um ein Internetmagazin zu machen. Dann hat man wenig gehört. Nun melden sie sich wieder: "Am 15. Oktober beginnt das zweite Krautreporter-Jahr. Schon heute wollen wir euch auf eine wichtige Änderung aufmerksam machen: Nur Krautreporter-Mitglieder können in Zukunft unsere Beiträge lesen. Mitglieder können unsere Beiträge aber verschenken, indem sie diese für ihre Freunde und Follower freischalten."

Weiteres: Google und Twitter schaffen ein "open-source "instant article" Format", mit dem sie Facebook Konkurrenz machen wollen, meldet Peter Kafka in recode.net. Die New York Times will mitmachen.
Archiv: Medien

Kulturpolitik



Für ein prächtiges Paar mit Rembrandts Ganzfigurenporträts des Marten Soolmans und seiner Frau Oopjen Coppit, das die Rothschilds für 160 Millionen Euro verkaufen wollen, finden der Louvre und das Rijksmuseum in Amsterdam eine europäische Lösung, berichtet Bettina Wolfarth in der FAZ: Sie kaufen sie gemeinsam und stellen das Paar alternierend in Paris und in Amsterdam aus. Außerdem in der FAZ: Jan Brachmann besucht die neue Philharmonie von Breslau.
Archiv: Kulturpolitik

Gesellschaft

Das Leben unter dem Präsidenten Hassan Rohani ist freier geworden, schreibt Bita Schafi-Neya in einer FAZ-Reportage aus Teheran. Es gibt allerdings Grenzen: "Immer wieder wird das Internet für Tage gesperrt. Als Fotos einer illegalen Pool-Party auf Facebook auftauchten, wurden drei Jugendliche festgenommen. Gerade Teenager haben es schwer in Iran. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre, etliche von ihnen sind arbeitslos. Die offizielle Statistik nennt zwar eine Arbeitslosenquote von gut fünfzehn Prozent, nach Meinung von Experten dürfte die tatsächliche Zahl allerdings weit höher liegen. Viele Jugendliche hängen herum, ohne etwas Nützliches zu tun. Drogenkonsum ist auch in Teheran ein verbreitetes Problem."

Ludwig A. Minelli von der Sterbehilfeorganisation Dignitas begründet im Gespräch mit der taz-Redakteurin Waltraud Schwab, warum er für ein Recht auf Suizid und Begleitung beim Suizid eintritt: "Es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit Suizidgedanken, der sich mit anderen austauschen kann, eine Lösung zum Leben hin finden kann oder zumindest nicht auch noch andere mit in den Tod reißt. Nur etwa 15 Prozent aller Menschen, die eine Zusage haben, dass wir ihren Freitod begleiten, nehmen eine Freitodbegleitung in Anspruch, 85 Prozent nicht. Es besteht also eine gute Chance fürs Leben, wenn man mit anderen über den Tod sprechen kann. Eigenartig ist allerdings, dass sich niemand, schon gar nicht die Politik, um die gescheiterten Suizidversuche kümmert. 92 Deutsche haben 2013 Dignitas in Anspruch genommen, doch 10.076 Suizide hat es in Deutschland in dem Jahr gegeben, und nach meiner Logik bis zu 490.000 gescheiterte Suizidversuche."
Archiv: Gesellschaft
Stichwörter: Iran, Sterbehilfe, Teheran, Suizid