Efeu - Die Kulturrundschau

Heikel, haarig und subtil

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02.08.2016. Durchgefallen: Alvis Hermanis' Salzburger Inszenierung der Strauss-Oper "Die Liebe der Danae". Nur die Presse meint: es liegt an Strauss. FAZ und SZ schwärmen vom Ring, wie ihn Marek Janowski in Bayreuth dirigiert. Nur der Abendzeitung blieb bei dem Turbo-Tempo die Luft weg. Die NZZ betrachtet einen kanariengelben dissonanten Akkord von Katharina Fritsche. Die SZ besucht eine Ausstellung über die Beat-Generation im Centre Pompidou. Die Spex lobt die notorisch inadäquate Männlichkeit der White Beasts.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.08.2016 finden Sie hier

Bühne


Und dann und wann ein weißer Elefant. Szene aus "Die Liebe der Danae". Inszenierung von Alvis Hermanis. Foto: © Salzburger Festspiele / Forster

"Die Liebe der Danae" in Salzburg war kein Erfolg. Aber lag es an Alvis Hermanis, der die Strauss-Oper inszenierte. Oder am Meister selbst? Hermanis ist ein Gegner des Regietheaters, er bringt Kunst der Kunst wegen auf die Bühne und hat dies auch so annonciert habe, schreibt Michael Stallknecht in der SZ: Hervorgehoben - auch im Bühnenbild, das ein prächtig ausgestattetes Fantasie-Morgenland darstellt - werden die ornamentalen Qualitäten des Stücks: "Nun ist Ornament kein Verbrechen. Ein Verbrechen an jeder sinnvollen Form von Musiktheater aber ist es, wenn eine Inszenierung im Ornament erstarrt. ... Hermanis kopiert leider nur das Schlechte der Vorregietheaterära: einen bleiernen Hang zur Statuarik und zum folkloristischen Ungefähr." Ulrich Amling vom Tagesspiegel fühlt sich von Hermanis' verkacheltem Bühnenbild gar mächtig angefrostet: "Hier ist alles verpanzert. ... Der Regie [fehlt] jegliches Interesse an Wärme, an menschlicher Nähe."

Auch NZZ-Kritiker Christian Wildhagen ist enttäuscht von der Inszenierung: "Das goldige Spektakel hat, wider alles Erwarten, keinen doppelten Boden. Es ist ernst gemeint [...] Viel schlimmer als die äußerliche Bebilderung ist indes das, was die Regie bei den Figuren anrichtet. Keine einzige von ihnen 'lebt', keine formt sich zum Charakter." Toll gespielt, toll gesungen, lobt Ljubisa Tosic im Standard, rümpft aber ebenfalls die Nase über die "Edelkitschinszenierung, die ein bisschen an jene Hollywoodfilme der 1950er-Jahre erinnert, in denen Esther Williams die Wassernixe gab". Solche Probleme hat FAZ-Kritiker Jan Brachmann nicht, er gibt sich ganz dem Genuss des Schönen hin: Der Regisseur wolle "bezaubern, faszinieren, entrücken".

"Dieses Werk wird sich im Repertoire nie durchsetzen", meint dagegen Wilhelm Sinkovicz in der Presse - mit Blick auf den Komponisten. Strauss habe "die künstlerischen Anforderungen in geradezu irreale Höhen getrieben. Chor und Orchester stehen vor heiklen, haarigen und subtilen Aufgaben; die großen Solopartien sind nahezu unsingbar... Vor allem aber mangelt es dieser Partitur an melodischen Eingebungen und motivischer Prägnanz. Es mögen Situationen berührende Kraft entfalten; die Musik tut es nie."


Szene aus Wagners "Götterdämmerung" in Bayreuth. Bild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Mit der "Götterdämmerung" ist in Bayreuth die wiederaufgenommene "Ring"-Inszenierung Frank Castorfs an ihr Ende gekommen. An Castorfs mit Insignien der Trash- und Popkultur spielende Inszenierung haben sich die Kritiker mittlerweile gewöhnt, auf die Knie gehen sie allerdings vor Dirigent Marek Janowski, der hier mit 77 Jahren sein Bayreuth-Debüt gibt. Janowski ist nicht nur ein Ersatz für Kirill Petrenko, der Castorfs "Ring" bislang dirigierte, schwärmt Wolfgang Schreiber in der SZ, der Bilanz zieht: "Janowskis 'Ring'-Poesie: Nach dem gelenkigen Konversationsstück 'Rheingold' erscheinen das Symphonische der 'Walküre' und des 'Siegfried' wie aus einem Guss - im Lyrischen spannungsvoll melodisch, voller Poesie, in den Erregungsmomenten voller beklemmendem und manchmal auch arg lautem Pathos. In der 'Götterdämmerung' ist in der Klangverdichtung das finster chromatische Zerbersten der Akkorde durch alle Leitmotive hindurch hörbar."

Auch Eleonore Büning von der FAZ ist begeistert: Anders als Petrenko, der sich in den Dienst der Sänger stelle, erzähle Janowski "mit klarer Klangrede, feurigen Gesten, Brio und Furor. Janowski ist ein musikdramatischer Dirigent, kein Diplomat am Pult. Dass er dergestalt eine der Petrenko-Lesart in fast jeder Hinsicht ebenbürtige, dennoch so grandios verschiedene Lesart der 'Tetralogie' liefert, spricht für Wagners Werk, zunächst. Und wird, von Aufführung zu Aufführung, zum Glanzpunkt dieser Bayreuther Saison."

Etwas mehr Dienst an den Sängern hätte Christa Sigg in der Abendzeitung dagegen ausdrücklich begrüßt. Ihr war das Tempo Jankowskis viel zu schnell: "Jeden sitzgepeinigten Wagner-Gänger mag das von Herzen erfreuen, nur blieb bei dieser Turbo-Tour zu viel auf der Strecke. Dafür gab's am Ende des 'Rings' dann auch ein paar böse Buhs. Man fragt sich sowieso, welches musikalische Konzept hinter dieser Rallye steht. Die Sänger starren wie ängstliche Karnickel auf den Mann am Pult. Die Musiker vermutlich auch, denn vorhersehbar ist leidlich wenig." Ähnlich sieht es Johann Jahn im Bayerischen Rundfunk: "Besonders schmerzlich vermisst man emotionalen Tiefgang bei Siegfrieds Tod und anschließendem Marsch. Beinahe unterkühlt fegt das Orchester drüber weg, und ehe man sich versieht, ist auch schon Schluss. Vom Zauber der orchestralen letzten fünf Minuten hält Janowski wenig. Man wird das Gefühl nicht los, Janowski verweigere sich an manchen Stellen der Bühne."

Andere Themen: Im Freitag erinnert Klaus Bittermann an den vor fünfzig Jahren gestorbenen Stand-Up-Comedian Lenny Bruce, der dem öffentlichen Diskurs der USA das Wort "Fuck" schenkte und damit "die Amerikaner mit ihrer Schizophrenie konfrontierte, denn so gebräuchlich und beliebt das kleine dreckige Wörtchen im amerikanischen Alltag war, es war unter Strafe verboten, es auf der Bühne vor Publikum auszusprechen." Für den Tagesspiegel porträtiert Patrick Wildermann den Volksbühnenschauspieler Daniel Zillmann. Hilal Sezgin (taz) und Lisa-Maria Röhling (Tagesspiegel) freuen sich über J.K. Rowlings jetzt auch im Handel erhältliches Skript zum neuen "Harry Potter"-Teil, der jüngst als Bühnenstück in London Premiere feierte (mehr dazu in der Welt). Im Tagesspiegel gratuliert Frederik Hanssen der Bassstimme Theo Adam zum Neunzigsten.

Besprochen werden Dieter Dorns Salzburger "Endspiel"-Inszenierung (FR, Welt, online nachgereicht von der FAZ, mehr im gestrigen Efeu).
Archiv: Bühne

Kunst


Zita - Щapa. Kammerstück von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow. Bild: Schaulager Basel

Wer die Ausstellung "Zita - Schtschara" von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow im Schaulager Basel betrachten will, muss sich erst mal an den Wärtern vorbei schieben, lernt NZZ-Kritikerin Maria Becker: "Grell ist das Licht, hart sind die Farben, bizarr die Werke. Ein Ensemble wie ein dissonanter Akkord. Drei lebensgroße Folklorepuppen aus gelbem Kunststoff chargieren vor einem Kachelofen in Gestalt einer explodierenden Granate. Auf ihren gesichtslosen Köpfen ist kein Ausdruck ablesbar. Sie hantieren mit Besen, Ball und Leintuch, als wäre die Keramik, in deren offener Luke ein künstliches Feuer flackert, selbstverständlicher Teil ihrer Häuslichkeit. Dabei sind die Gesten der Puppen ebenso erstarrt wie die Explosionswolken des Granatenofens."

Weitere Artikel: Uwe Mattheis hat für die taz die Performance "Critical Joy" von Keith Hennessy und Peaches im Wiener Museum Moderner Kunst besucht. Barbara Villiger Heilig besucht in Paris für die NZZ die Restaurierungsarbeiten an der Chapelle des Saints-Anges in der Eglise St-Sulpice.

Besprochen werden die Ausstellung "Kontrast Syrien - Fotografien von Mohamad Al Roumi" im Pergamonmuseum in Berlin (FAZ) und Amy Sillmans Ausstellung "the ALL-OVER" im Portikus in Frankfurt am Main (FAZ).
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Literatur


Jack Kerouac, 1959. Foto: John Cohen / Centre Pompidou

Die Ausstellung über die Beat Generation im Centre Pompidou bietet "jede Menge Fetische", schreibt Joseph Hanimann in der SZ: "Statt Bilder einer abgelaufenen Epoche gibt es in der Ausstellung lauter Dinge zum Anhören, Ansehen und Anfassen. Wie sperrig waren doch damals die Plattenspieler, Schreibmaschinen, Fotokameras, Rundfunkempfänger und Telefonapparate aus Bakelit, lackiertem Holz oder schwerem Metall im Vergleich zu der durch LSD und Marihuana beflügelten Fantasie." Es zeige sich jedoch auch, "dass diese adrett gekleideten frühen Aussteiger aus der bürgerlichen Welt trotz ihres Aufbegehrens gegen Krieg, Rassismus, sexuelle Unterdrückung und künstlerische Kanons kein klares Programm hatten."

Weiteres: In der SZ bringt Bernd Graff Hintergründe zur Löschung des Blogs des Schriftstellers Dennis Cooper durch Google. Christoph Haas unterhält sich in der taz mit dem Comiczeichner Andreas. Die Presse meldet, dass die Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff gestorben ist.

Besprochen werden Fiston Mwanza Mujilas Roman "Tram 83" (Standard), Léon Werths "33 Tage - Ein Bericht" (FR), Senthuran Varatharajahs "Vor der Zunahme der Zeichen" (Zeit), Wilhelm Genazinos "Außer uns spricht niemand über uns" (SZ) und Tilman Rammstedts "Morgen mehr" (FAZ).
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Film

In der NZZ beschreibt Josef Nagel in einem ausführlichen Artikel Chinas Weg zum Global Player auf dem Filmmarkt. Für den Freitag hat Matthias Dell bei dem Swahili-Übersetzer Guido Korzonnek nachgefragt, wie es um die Sprachkenntnisse der "Tarzan"-Filme bestellt ist, von denen aktuell ein neuer im Kino läuft.

Besprochen wird der erste Teil aus Miguel Gomes' "1001 Nacht"-Trilogie (SZ, unsere Kritik hier).
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Musik

Auf ihrem neuen Album "Boy King" verhält sich die Band White Beasts zur Codes von Männlichkeit im Indie-Rock, beobachtet Alexis Waltz von der Spex: "Die Brisanz der Band [liegt] darin, Männlichkeitsentwürfe nicht aus einer abstrakten Metaposition zu problematisieren. Dem Slackertum, der pubertären Bedürftigkeit und der emotionalen Ferne des hegemonialen Indierock setzen sie eine zerrissene, widersprüchliche, notorisch inadäquate Männlichkeit entgegen: Unsicherheiten und Ängste lassen eine unvermittelte Aggressivität in sich kollabieren."

Weiteres: Tazler Sven Sakowitz gratuliert dem Hamburger Club Hafenklang zum 20-jährigen Bestehen. In der NZZ schreibt Marcus Stäbler den Nachruf auf den Schlagzeuger Peter Sadlo.

Besprochen werden Konzerte von Sting (FR) und Beyoncé (FR, online nachgereicht von der FAZ).
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