Efeu - Die Kulturrundschau

Das Gelb und Gold ihres Mieders

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.01.2023. Die SZ begleitet Niklas Frank nach Turin zur Abrechnung mit seinem verbrecherischen Vater Hans Frank und dem opportunistischen Richard Strauss. Der Observer geht vor der Herzogin von Alba auf die Knie. Die Feuilletons nehmen erstaunt die Oscar-Nominierungen von Edward Bergers Kriegsfilm "Im Westen nichts Neues" zur Kenntnis. Die FAZ gibt Marie Creutzers Film "Corsage" nach den Enthüllungen um Florian Teichtmeister verloren - so leid es ihr tut. Der Standard hört Speed Songs.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.01.2023 finden Sie hier

Kunst

Goyas "Herzogin von Alba", 1797. Bild: Hispanic Society of America, New York


Das Museum der Hispanic Society in New York beherbergt mit Werken von El Greco, Zurbarán, Velázquez und Goya die größte Sammlung spanischer Kunst außerhalb Spaniens. Während fälliger Renovierungsarbeiten nimmt das Museum Quartier in London, und im Observer nutzt Laura Cumming die Gelegenheit, Goyas Porträt der "Herzogin von Alba" von 1797 zu bewundern: "Es zeigt eine kämpferische, intelligente Frau, die in knisternde schwarze Spitze gekleidet in einer romantischen Landschaft steht. Ihre Augen blitzen, ihre Schärpe leuchtet scharlachrot, das Gelb und Gold ihres Mieders schimmert wie Flammen durch die Spitze. Die Herzogin von Alba ist ebenso schön wie hochmütig. Mit einer Hand an der Hüfte deutet sie mit der anderen auf einige Worte, die in den Sand unter ihren Füßen geschrieben sind. Solo Goya - Nur Goya. Ist es ein Liebesschwur oder eine Aufforderung, als ob der Künstler vor ihr niederknien sollte? Er stellt sich und uns auf Augenhöhe mit ihren vergoldeten Pantoffeln. Die Herzogin war seine Gönnerin und Freundin, und vielleicht noch mehr."

Besprochen werden eine Ausstellung mit Fernseh-Bildern des Malers Matthias Groebels im Kunstverein Düsseldorf (deren Mattscheiben-Ästhetik FAZ-Kritiker Georg Imdahl wirklich fasziniert) und eine Ausstellung des Malers Michael Bette in der Berliner Galerie Luzan (Tsp).
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Film

Plötzlich Oscar-Favorit: Edward Bergers "Im Westen Nichts Neues"

Aus dem Westen gibts Neues: Edward Bergers von der hiesigen Kritik beim Erscheinen eher abgetaner deutscher Netflix-Kriegsfilm "Im Westen nichts Neues" ist nach seinem erstaunlichen BAFTA-Erfolg vor wenigen Tagen nun auch bei den Oscars mit satten neun Nominierungen vertreten. Drei Nominierungen gibt es in den Hauptkategorien (bester Film, beste Kamera, bestes adaptiertes Drehbuch) und eine für die prestigereiche Kategorie "bester internationaler Film". Der eigentliche Hauptfavorit der Oscars mit elf Nominierungen ist aber Daniel Kwans und Daniel Scheinerts "Everything Everywhere All at Once", schreibt Hanns-Georg Rodek in der Welt. Auch Andreas Busche im Tagesspiegel hält es für "eher unwahrscheinlich", dass Bergers Film, wie einst Bong Joon-hos "Parasite" (unsere Kritik) zweimal als bester Film des Jahres ausgezeichnet wird. Die Oscars, traditionellerweise sehr auf Hollywood bedacht, sind internationaler geworden, stellt Tobias Kniebe in der SZ fest. Auch der Durchmarsch von "Everything Everywhere All at Once" ist eine Überraschung: "Der Film, der im März 2022 mit fast lächerlichen zehn Kopien in den USA gestartet ist, erwarb sich eine stetig größere Fangemeinde, obwohl Hollywood ihn nicht wirklich auf der Rechnung hatte."

Nicht nominiert wurde Marie Kreutzers "Corsage" (unsere Kritik), auf den zuletzt der Schatten des Kinderpornografie-Skandals rund um den Nebendarsteller Florian Teichtmeister fiel. Sollte man sich den Film überhaupt noch ansehen? Wenig überraschend bejahte die Regisseurin diese Frage in einem SZ-Gespräch (unser Resümee). Anderenfalls verleihe man einem Nebendarsteller zu viel Macht darüber. "Nur dass das Kino eben so nicht funktioniert", hält Claudius Seidl dem in der FAZ entgegen: "Mit einem Als-ob bewältigt man keine Rolle, mit Mimikry allein lässt sich kein Zuschauer gewinnen. Es ist ein Spiel auf Gegenseitigkeit: Die Zuschauer wagen sich aus der Deckung, die Schauspieler erst recht. Die ambivalente Präsenz von Florian Teichtmeister in 'Corsage' hat, für Frauen wie für Männer, etwas Verführerisches. Es ist deshalb das gute Recht des Publikums, sich jetzt, da alles bekannt ist, um seine Emotionen betrogen zu fühlen. Wäre Teichtmeister nicht so gut, dann wäre er auch nicht so gefährlich. So leid es einem also tun muss für das ganze Team - der Film 'Corsage' ist verloren."

Weitere Artikel: Thomas Abeltshauser unterhält sich für die taz mit dem Regisseur Lukas Dhont über dessen oscarnominiertes Drama "Close". Bert Rebhandl schreibt im Standard über die Filme von Ulrich Seidl, dem das Filmarchiv Austria jetzt eine Retrospektive widmet.

Besprochen werden Volker Heises von Arte online gestellte Doku "Berlin 1933 - Tagebuch einer Großstadt" (FAZ), Dominik Molls "In der Nacht des 12." (Standard) und Chinonye Chukwus "Till - Kampf um die Wahrheit" (FAZ).
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Bühne

Seit Jahrzehnten arbeitet sich Niklas Frank an seinem Vater Hans Frank ab, dem berüchtigten Generalgouverneuer von Polen, der als Herr der deutsche Besatzung die Ermordung von Millionen Polen und Juden organisierte. Für die SZ begleitet Josef Wirnshofer den unglücklichen Sohn für eine seltsam morbide Aufführung nach Turin. Zusammen mit dem Komponisten Erik Battaglia hat Niklas Frank ein triviales Ständchen weitergearbeitet, das Richard Strauss dem NS-Verbrecher einst gewidmet hatte: "Cello und Bratsche umspielen sich, die Geigen greifen das Strauss-Thema auf, setzen immer wieder Pausen, Diego Maffezzoni rezitiert dazu Niklas Franks Text. Er spricht die Worte in die Stille hinein: "'Wer tritt herein, so Geistes blank? Es ist der Massenmörder Frank. Wie Beelzebub von Gott gesandt, hat die Moral er abgebrannt. Drum ruf ich Heil! und tausend Dank dem lieben Judenschlächter Frank.' Der Sänger heizt seinen Ton immer weiter auf, 'wer wurde schnell zum Polen-butcher, es ist Hans Frank, der Nazi-Lutscher' noch weiter, 'wir Deutschen haben das verdrängt, wofür Hans Frank wurd' aufgehängt'. Die Streicher klingen bedrohlicher, chaotischer, 'wer kommt herein vor Wut ganz krank, der Sohn ist's von Minister Frank', und erst ganz am Schluss beginnt der Bariton zu singen. 'Bis heute bin ich hoch geehrt und von Orchestern sehr begehrt', er wird lauter, 'drum sage ich dem Himmel Dank, bin stets zu Diensten jedem Frank'. Dann ist Stille."

Weiteres: In der SZ berichtet Reinhard Brembeck vom Streit in Wiesbaden um einen Auftritt Anna Netrebkos bei den Maifestspielen, wo Opernintendant Uwe Eric Laufenberg den umstrittenen Star zur Schlüsselfigur in der westlichen Selbstbehauptung stilisiert.

Besprochen werden Lydia Steiers Inszenierung von - ja- Richard Strauss' "Rosenkavalier" (die NZZ-Kritiker Christian Wildhagen gleichwohl als erhellend und ironisch zugleich feiert), Leonid Andrejews russisches Revolutionsdrama "Hinauf zu den Sternen" am Theater Freiburg (FAZ), Angelina Nikonovas Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs Oper ""Lady Macbeth von Mzensk" in Hamburg (FAZ), Maria Lazars "Die Eingeborenen von Maria Blut" am Wiener Akademietheater (SZ), Yana Ross' Inszenierung von Tschechows "Iwanow" (die SZ-Kritiker Peter Laudenbach schnell vergessen möchte) und Performances des französischen Choreografen Jérôme Bel im HAU (Tsp).
Archiv: Bühne

Literatur

Sergei Gerasimow schreibt in der NZZ weiter Kriegstagebuch aus Charkiw. Im Tagesspiegel stimmt Lars von Törne auf das morgen beginnende Comicfestival im westfranzösischen Angoulême ein. Sanft amüsiert muss Joachim Hentschel in der SZ feststellen, dass Suhrkamp jetzt auch Baseball-Mützen im Merchandise-Angebot hat. Die Welt-Redakteure empfehlen ihre Lieblings-Podcasts, darunter Sonja Hartls "Abweichendes Verhalten" über Kriminalliteratur: "Kein Gespräch, aus dem man nicht mit einem Arm voll Büchern herauskommt", schwärmt Elmar Krekeler.

Besprochen werden unter anderem Julian Barnes' "Elizabeth Finch" (NZZ), Michael Köhlmeiers "Frankie" (online nachgereicht von der FAZ), Juli Zeh und Simon Urbans "Zwischen Welten" (FR), der von Michael Braun herausgegebene Band "Was ich weiss, geht mich nichts an" über den Schriftsteller Günter Eich (NZZ) und Dževad Karahasans "Einübung ins Schweben" (SZ, FAZ).
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Musik

Christian Schachinger amüsiert sich im Standard über den TikTok-Trend "Speed Songs", für den sonst eher gemächliche Popsongs mitunter aufs Doppelte ihrer Geschwindigkeit gebracht werden. Aus einer schwülstigen Highway-Ballade wie Lana del Reys "Summertime Sadness" wird damit "eine mehr als doppelt so schnelle Turboversion mit hochfrisierter, nach einer Überdosis Helium klingender Stimme wie Alvin und die Chipmunks, die Schlümpfe oder Dschi Dsche-i Wischer Dschunior. ... Man muss mit dem Auto nicht den Weg des James Dean gehen. Vor dem tödlichen Crash kann auch ein Herzinfarkt nach einem Doppelliter Espresso dazwischenkommen. ... Die Langsamkeit während der Pandemie ist vorüber, hier kommt schnell, schnell die neue Pest."



Außerdem: Im Standard erinnert Christian Schachinger an Roy Black, der heute 80 Jahre alt geworden wäre. Besprochen werden Sophie Jamiesons Album "Choosing" ("ein Meisterwerk", schwärmt Stefan Michalzik in der FR), ein gemeinsames Konzert der Jazzpianisten Joachim Kühn und Michael Wollny (FR), ein Konzert von Daniil Trifonov im Musikverein Wien (Standard) und ein Berliner Paganini- und Schubert-Abend mit Joshua Bell und der Academy of St Martin in the Fields (Tsp).
Archiv: Musik