9punkt - Die Debattenrundschau

Du musst aus moralischer Pflicht handeln

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.03.2016. Auch bei der Leipziger Buchmesse wird die Flüchtlingsthematik wird eine Rolle spielen, ist sich die FAZ sicher, zumal Flüchtlinge direkt neben dem Messegelände campieren. In der NZZ schlägt Karl-Markus Gauß vor, einmal die Roma zum "Gastland" einer Buchmesse zu machen. Pünktlich zur Messe gibt auch Justiziminister Heiko Maas dem Drängen der Verlage auf Entschärfung des Urheberrechtsgesetzes nach, so die Welt. Außerdem: In der FR empfiehlt Pussy Riot Kant. So stark sind die Refomer im Iran nicht, weiß politico.eu. Und was will die AfD mit ARD und ZDF machen?, fragt die FAZ.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.03.2016 finden Sie hier

Politik

In einer sehr interessanten Analyse in politico.eu zeigt Dennis Ross, dass im Iran die reformerischen Kräfte nach dem Atom-Deal keineswegs obsiegen. Zwar würden die Iraner, wenn sie könnten, für die Reform stimmen, aber schon vor den Wahlen wurden die meisten Reformer gar nicht zur Kandidatur zugelassen. Also stimmte das Publikum gegen die Konservativen - ohne für die Refomer stimmen zu können. Präsident Rouhani war unterdessen "unfähig irgend eine politische oder soziale Reform durchzusetzen, Khamenei bleibt der Hauptentscheider. Rouhani kontrolliert weder den Justizapparat, noch die führenden Sicherheitskräfte oder gar die Revolutionsgarden. Um einen Beweis für seine begrenzte Macht zu erhalten, muss man nur zur Kenntnis nehmen, dass er bisher die beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten von 2009 - Musawi und Mehdi Karroubi - nicht aus dem Hausarrest befreien konnte." Nebenbei erwähnt Ross, dass der Iran seit Februar jeder Familie eines palästinensischen "Märtyrers" 7.000 Dollar anbietet.

Nach den letzten Vorwahlen scheint festzustehen, dass Donald Trump der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird. Für Ilija Trojanow ist die Sache in der taz klar: Alles Rassisten, Trump ebenso wie seine Anhänger, die Trojanow ausschließlich beim "kleinen weißen Mann" sieht. "Das erklärt auch, wieso Trump bei seinen Reden am meisten Applaus für seine grobschlächtigen Attacken auf Obama ergattert, nicht für seine äußerst vagen Visionen eines anderen Amerikas. Die vielen Kommentatoren, die Trump als autoritären Führer bezeichnen (Vergleiche mit Mussolini und Berlusconi füllen die Gazetten), übersehen, dass er nicht die Meinungen der Massen lenkt, sondern vielmehr ihr Produkt ist. Trump ist der leibhaftige Querschnitt aller Tiraden aus den Internetforen. Er ist der Spucknapf des schimpfenden Volkes."
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Medien

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wird nochmal über die Haushaltsabgabe für ARD und ZDF verhandelt. Das wird nicht viel bringen, meint der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler bei Zeit online, der sich eine grundsätzlichere Debatte wünscht: "Die etwa 8,3 Milliarden Euro, zu denen sich der Rundfunkbeitrag von monatlich 17,50 Euro im Jahr 2014 summierte, sind ja ein hübscher Batzen Geld, weit mehr als etwa dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Verfügung steht. Auch wer grundsätzlich das öffentlich-rechtliche System gutheißt und keineswegs dessen Marginalisierung anstrebt, kann bezweifeln, ob der Beitrag seine Steuerungsfunktion erfüllt."

Es werden jetzt eine Menge AfDler in die Rundfunkräte jener bei ihnen so verhassten Sender einziehen, schreibt Julia Bähr in der FAZ: "Das wirkt paradox, denn in ihrem Programm, das die Partei am 30. April beschließen will, fordert sie: 'Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten werden privatisiert.' Der Zeitplan für die Abschaffung von ARD und ZDF ist ehrgeizig: 'Sie finanzieren sich von 2018 an selbst. Der Beitragsservice wird ersatzlos abgeschafft.'"
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Ideen

Ein Gespräch von Pussy-Riot-Mitglied Nadja Tolokonnikowa mit dem oppositionellen Philosophen Michail Ryklin in Berlin ging gründlich daneben, berichtet im Tagesspiegel Jens Mühling. Die 26-Jährige, die für ihre künstlerischen und politischen Überzeugungen zwei Jahre im Straflager gesessen hat (was sie für Mühling zum "Poster-Girl des Putin-Widerstands" macht), verweigerte sich einer Diskussion. Auch im Interview mit der FR knarrt es, wenn Michael Hesse mit seinen Fragen den falschen Ton anschlägt. Soviel immerhin erfährt man: Tolokonnikowa, die fünf Jahre Philosophie studiert hat, hat ihren Kant verinnerlicht: "Was Kant wirklich ausmacht, ist, dass er die goldene Regel der Moral zum Einsturz brachte. Sie besagt: Wenn du möchtest, dass sich jemand in einer bestimmten Weise dir gegenüber verhält, solltest du dich ihr gegenüber genauso verhalten. In der Bibel findet sich Ähnliches, auch die ältesten Kulturen sprechen dieses Prinzip aus. Aber Kant stellte das höchste Moralprinzip auf eine neue Basis. Er lehrte, du musst aus moralischer Pflicht handeln und kannst nicht einfach einen moralischen Gewinn erwarten. Du handelst als moralische Person, also aus deiner eigenen Einsicht. Dafür gibt es keinen Profit."
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Urheberrecht

Die Wirtschaftsseiten der FAZ hatten es schon vor ein paar Tagen gemeldet (unser Resümee): Heiko Maas reagiert auf die Proteste der Verleger und entschärft die geplante Fünfjahresregel, aus der nun im überarbeiteten Entwurf für ein neues Urheberrechtsgesetz eine Zehnjahresregel wird, berichtet nun auch Christian Meier in der Welt: "Das bedeutet, dass beispielsweise ein Buchverlag nach zehn Jahren die Exklusivrechte an einem Werk verliert - wenn er zuvor mit dem Autor einen Pauschalvertrag ausgehandelt hatte. Nach dieser Zeitspanne könnte der Urheber also losgehen und sich einen anderen Abnehmer suchen, der eine Zweitverwertung des Werkes anstrebt. Er kann sich freilich dieses Zweitverwertungsrecht von seinem Verlag abkaufen lassen."
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Kulturmarkt

Direkt neben dem Gelände der heute beginnenden Leipziger Buchmesse befindet sich ein Flüchtlingslager, schreibt Andreas Platthaus im Leitartikel auf Seite 1 der FAZ - bisher hatten die Flüchtlinge in Halle 4 des Messegeländes campiert, wo jetzt Verlage einziehen: "Mit der Buchmesse findet nun jene Veranstaltung der Leipziger Messe statt, welche die größte Außenwirkung hat. Und wenig überraschend: Das Flüchtlingsthema ist auch inhaltlich für viele Aussteller wichtig - vor allem im Sach- und Kinderbuchsegment gibt es in diesem Frühjahr eine Flut an Neuerscheinungen, die sich den unterschiedlichsten Facetten der Flüchtlingskrise widmen." Ob sich das Publikum der Flüchtlingsunterkünfte und das der Messe mischen werden? Die Messe, so Platthaus, will das Flüchtlingsthema jedenfalls mutig angehen. Im Aufmacher des Feuilletons denken FAZ-Autoren über die Frage "Wie geht Bestseller?" nach.
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Kulturpolitik

Die Roma bilden die einzige Gruppe in der EU, für die eine Art Apartheid-Regeln gilt, kritisiert in der NZZ Karl-Markus Gauß. Wie kann man sie am besten unterstützen? Zum Beispiel, so sein exzellenter Vorschlag, mit einem Buchmessenschwerpunkt zur reichen Literatur der Roma. Dazu gehören für Gauß Lebenszeugnisse einzelner Roma, Märchen und Legenden, Bücher auf Romanes, aber auch die Bücher von Roma-Autoren, die "auf Ungarisch oder Serbisch, auf Französisch, Spanisch oder Bulgarisch" oder einer anderen Sprache schreiben. Gauß verbindet damit "etliche Absichten und Hoffnungen: etwa dass die Roma-Literatur, die in vielen Ländern und mehreren Sprachen entsteht, im großen Überblick gesammelt und an einem renommierten, beachteten Ort der Literatur, vielleicht der Leipziger Buchmesse, versammelt werde. Dazu ist es nötig, dass diese Literatur, die oft in Nischenverlagen erscheint und leider auch verborgen bleibt, systematisch erkundet, gesichtet und in großer Zahl ins Deutsche übersetzt wird. Es wäre durchaus erwünscht, wenn auch Buchmessen in anderen Ländern einmal die Roma-Literatur ins Zentrum ihres Programms rückten. Mögen die Buchmessen verschiedener Länder darin wetteifern, Roma-Literatur in ihre Sprachen zu übersetzen!"

Außerdem: Bilder shoppen geht Bernd Müllender für eine taz-Reportage mit dem Generaldirektor der Brügger Museen Till-Holger Borchert auf der größten Kunstmesse der Welt, The European Fine Art Fair (TEFAF). In der SZ zeichnet Franziska Augstein ein liebevolles Porträt der amerikanischen Bibliothekare (die American Library Association ist derzeit zu Gast in Leipzig), die oft genug gleichzeitig auch Sozialarbeiter und Lehrer sind. Marcus Stäbler fordert in der NZZ mehr zeitgemäße Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche: "Heute geht es nicht mehr bloß um Besucherzahlen, sondern um die Verankerung von Musik und Kultur in einer Gesellschaft."
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Europa

Europa schließt in der Flüchtlingskrise die Augen und dreht sich weg, kritisiert Zacharias Zacharakis auf Zeit online angesichts der Krise, die sich im Lager von Idomeni zuspitzt: "In Europa ist man am Ende immer noch sich selbst am nächsten. Das Flüchtlingsproblem wird einfach dem Schwächsten in der Gemeinschaft überlassen: Griechenland. Einem Land, das seit sechs Jahren mit der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu kämpfen hat. Die Regierung in Athen unternimmt ihr Möglichstes, um die chaotische Situation an der Grenze zu entschärfen. Das griechische Militär hat in kurzer Zeit genügend Notunterkünfte geschaffen, um die im Land gestrandeten Flüchtlinge zu versorgen. Die Menschen in Idomeni aber wollen die Grenze nicht verlassen, obwohl dort Busse bereitstehen, die sie zurück nach Athen bringen könnten."

In der taz macht dagegen Klaus Hillenbrand die Griechen sehr wohl für die Zustände in Idomeni mitverantwortlich: "Die Betreuung der Menschen an der Grenze überlässt man weitgehend freiwilligen Helfern. Als Ersatz für Idomeni werden von der Armee jetzt endlich und viel zu spät neue Lager errichtet. Doch es sind schlecht ausgestattete Zeltstädte, und das, obwohl Zehntausende Hotelbetten im Norden des Landes leer stehen. Griechenlands linker Regierung, so der häufig geäußerte Verdacht, geht es offenbar darum, der Welt ein größtmögliches Elend zu präsentieren - in der Hoffnung auf maximalen Geldsegen oder eine rasche Abschiebung der Flüchtlinge."

Für Gelassenheit im Umgang mit der AfD plädiert Thomas Schmid in der Welt und macht übrigens in der AfD eine überraschende soziale Kategorie aus: "Hier melden sich nicht nur die Bedrohten, sondern vielleicht mehr noch die Gesättigten zu Wort, nicht die Verlierer, sondern die Saturierten. Wenn die endlos vermittelte parlamentarische Demokratie, die so kompliziert ist, die selten Ja-ja-nein-nein-Antworten zu bieten hat und die dem Bürger das Auf-den-Tisch-Schlagen sehr erschwert - wenn sich diese Demokratie in fast ganz Europa und schon gar in Deutschland rundum durchgesetzt hat und große Erfolge vorzuweisen hat: Dann wächst offensichtlich das Mütchen derer, die gerne einmal auf die Sahne hauen möchten."
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Wissenschaft

Thomas Ribi annonciert in der NZZ die Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag des Züricher Universalgelehrten Conrad Gessner. Ludger Lütkehaus bespricht Ernst Peter Fischers "Naturgeschichte der Dunkelheit".
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Stichwörter: Naturgeschichten